Maurice Kübler führt seit 2018 Interessierte durch den Bönnigheimer Sortengarten – und manchmal lässt er die Presse probieren. Foto: essigfoto.de

Im Bönnigheimer Sortengarten kann man sich zu dieser Jahreszeit einmal durch die Apfelernte probieren – und wird von der geschmacklichen Vielfalt alter Sorten überrascht.

Der Apfel, den Maurice Kübler aus der ausladenden Baumkrone holt, ist so groß wie ein Handball. Es ist die einzige Frucht, vergangenes Jahr hing der Baum voll. Der Ontario-Apfel schmeckt trocken, säuerlich – gut geeignet für Apfelkuchen und Kompott, erklärt der Naturerlebnisführer Kübler, während er ein Stück abschneidet. „Wie viel braucht man dafür? Drei Stück für einen Kuchen?“, sagt er lachend. Als Tafelapfel sei die Sorte aber nicht ideal. Es ist Ende September, der Herbst hat angefangen – die Zeit, in der man sich zumindest durch einen Teil des Bönnigheimer Sortengartens probieren kann.

 

Maurice Kübler führt seit Jahren Interessierte durch den Bönnigheimer Sortengarten, in dem mehr als 400 unterschiedliche Sorten wachsen. Steinobst, Quitten, Sanddorn, Mispeln – und Äpfel. Vor jedem Baum kann er stehen bleiben und über Geschmack, Farbe, Wachstum, Historie und Anpassung an den Klimawandel berichten. Es ist eine Leidenschaft, die ansteckend wirkt. Beim letzten Termin mit unserer Zeitung sagte Maurice Kübler: „Auf den Streuobstwiesen geht die Welt unter.“ Aber wenn sie schon untergeht, dann doch bitte nicht ohne, dass die Leserinnen und Leser von der Gewürzluike und dem Charlamowsky gehört haben. Eine Verköstigung in Gummistiefeln, ausgestattet mit einem alten Taschenmesser und einem Obstpflücker.

In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Apfelbäume

Prognosen sagen: In Baden-Württemberg werden in diesem Jahr auf einer Fläche von 11 600 Hektar voraussichtlich 362 000 Tonnen Äpfel geerntet. Eine überdurchschnittliche Ernte, ein gutes Apfel-Jahr. In keinem anderen Bundesland wachsen so viele Apfelbäume wie hier in Baden-Württemberg. Doch wie sieht es mit der Vielfalt aus? Auch wenn es Institutionen gibt, die sich für den Erhalt der Sorten einsetzen, „ist die Streuobstwiese für viele nur noch ein Grillplatz“, sagt Kübler.

Er fürchtet, dass viele Sorten untergehen, weil sie nicht mehr relevant sind. Das liege daran, dass immer weniger Menschen Lust haben, ihren Samstag mit dem Lesen von Fallobst oder der Baumpflege zu verbringen. „Das ist Kulturgut vom Menschen erschaffen, da müssen wir uns auch drum kümmern“, sagt Kübler. Dazu gehöre vorsichtiges Mähen, damit am Stamm keine Verletzungen entstehen, die den Baum anfällig für Krankheiten machen, pflegendes Zurückschneiden und vor allem: wässern.

Im unteren Teil des Sortengartens hat der schwarze Rindenbrand schon einige Bäume befallen hat. Foto: essigfoto.de

Ein Grund dafür, warum viele Menschen nur noch Gala, Elstar, Jonagold, Braeburn und Pink Lady kennen, reicht aber weiter zurück. 1957 entstand in Baden-Württemberg ein Plan, der Streuobstwiesen in Äcker oder Obstplantagen umwandelte. Während in Holland, Oberitalien und Dänemark ein Erwerbsobstbau mit einheitlichen Beständen marktgängiger Sorten und rationellen Anbauformen entstanden sei, „ist der Obstbau des Landes in seiner heutigen Form weder wettbewerbsfähig noch wirtschaftlich“, steht in dem Schreiben des Staatsministeriums. Ein Grund, weshalb Baden-Württemberg nicht mitgehalten hat: Sortenvielfalt. Das Ziel: Sortenbereinigung.

Die Goldparmäne: zähfleischig, nussig

Auf dem Weg durch den Bönnigerheimer Sortengarten holt Kübler immer wieder Äpfel von den Bäumen und schneidet sie in mundgerechte Streifen. Die Sternrenette, die in der Vollreife rosane Streifen bekommt, zum Beispiel: „Einer der ertragreichsten Bäume im Sortengarten. Leichte Säure, angenehme Würze.“ Und ganz anders als der Ontario: „Das ist das Schöne an Äpfeln“, sagt Kübler mit einer fast kindlichen Begeisterung. Dann der Öhringer Blutstreifling, aus dem Ende Oktober, Anfang November ein fast roséfarbener Apfelsaft gepresst werden kann. Die Goldparmäne: etwas zähfleischig und nussig im Geschmack, „eine wunderschöne Frucht“. Ein Großteil der Ernte wird zu Schnaps, sagt Kübler.  

Als Nächstes pflückt Krüger einen purpurroten Cousinot. Der kleine Apfel sieht mit seiner blutroten Schale zwar schön aus, überzeugt mit seiner etwas mehligen Konsistenz und dem herben Geschmack aber nicht ganz. Genauso wie der Bittenfelder – ein ausgezeichneter Mostapfel, „muss man so aber nicht gegessen haben“, sagt Kübler. Von dem Boskoop sucht sich Kübler zwei, drei Früchte zusammen und sammelt sie in der Seitentasche seiner Bundhose. „Die Säure macht ihn zu einem großartigen Apfel für Kuchen, dazu am besten braunen Zucker verwenden.“ Unterhalb der Schloßbergallee holt Kübler einen Charlamowksy vom Baum. Der Apfel hat eine goldgelbe Schale mit roten Streifen auf der Sonnenseite, schmeckt mild, saftig und leicht süßlich.

Gewürzluiken schmecken süß, säuerlich und würzig

Während an manchen Bäumen kaum ein Apfel hängt, wirkt Küblers Lieblingsbaum schon fast überladen: die Gewürzluike. Der Luikenbaum gehört zu den am häufigsten gepflanzten Bäumen auf Streuobstwiesen. „Vollerwerbslandwirte haben an ihr aber kein Interesse, weil sie nicht spalierfähig und damit nicht wirtschaftlich genug ist“, sagt er. Mit dem Saum seiner olivfarbenen Fleecejacke fährt er mehrmals über die Apfelhaut, bis die kantige Oberfläche schön glänzt. Die alte Apfelsorte hat ihren Namen nicht von irgendwoher: intensiv süß, säuerlich, würzig, saftig. „Wenn das kein geiler Apfel ist, weiß ich auch nicht“, so Kübler. Ideal sei es, wenn man ihn im Oktober ernte und im März esse, „der entfaltet sein Aroma erst noch“. Oder man macht aus dem Winterapfel einen Bratapfel mit Haselnuss und Honig, schlägt Kübler vor: „Der absolute Wahnsinn.“