Jung und weiblich: eine wahre Rarität im Böblinger Kreistag: Lea Salemi und Gloria Graf (von links) wagen es trotzdem. Foto: factum/Andreas Weise

Nur drei der 84 Kreisräte sind 25 Jahre alt oder jünger. Sie wollen mehr Diskussionen und vor allem eine junge Sicht ins Kreisparlament bringen. Wichtigstes Thema ist für sie der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs.

Böblingen - Eine Torfrau, eine angehende Schauspielerin und ein Wirtschaftsfachmann wollen den gediegenen Betrieb des ehrwürdigen Böblinger Kreistags aufmischen. Zwischen 19 und 25 Jahren sind sie jung – der Altersdurchschnitt im Gremium liegt bei 54 Jahren.

Etwas exotisch käme er sich da schon vor, meint Jan Hambach. Der 25-Jährige, Mitarbeiter in der Stabsstelle der Böblinger Industrie- und Handelskammer, vertritt jetzt ganz neu als Renninger Rat die SPD im Gremium, ist sogar der stellvertretende Fraktionschef. „Man merkt schon, dass im Kreistag viele Leute aus repräsentativen Gründen sitzen, denen die Bereitschaft fehlt, zu diskutieren“, meint Hambach, der bereits vor einem Jahr als Nachrücker in den Renninger Gemeinderat eingezogen ist. Dort gebe es eine ganz andere Diskussionskultur.

Jung, weiblich, grün

Auch die Grüne Lea Salemi, die als jüngstes Ratsmitglied vor ein paar Tagen 19 Jahre alt wurde, muss sich an die gedämpfte Atmosphäre im Böblinger Kreistag erst noch gewöhnen. Seit drei Jahren ist sie Mitglied im Holzgerlinger Jugendgemeinderat, mittlerweile dort die Chefin. Mit sieben Mitgliedern ist dieses Gremium nicht nur wesentlich kleiner als der Kreistag, sondern auch viel lebendiger. Es werde viel diskutiert. „Wir haben ja alle ähnliche Themen, die uns bewegen, sind in einer ähnlichen Lebenssituation“, sagt Lea Salemi, die im Frühjahr ihr Abitur macht.

Es war vermutlich ihre Popularität als Jugendgemeinderätin, die ihr zum Sprung in den Kreistag verholfen habe, meint die junge Frau. Diese Chance will sie nutzen, „auch junge Ansichten in den Kreistag einzubringen.“ Dies ist nach ihrer Einschätzung am besten im Ausschuss für Umwelt und Verkehr möglich. „Das ist aus meiner Sicht der wichtigste Ausschuss für junge Themen. Da geht es um Busse und Bahnen. Das betrifft alle jungen Leute, die zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen“, sagt Salemi. Auch sie nutzt täglich den Öffentlichen Nahverkehr, um zum Unterricht nach Stuttgart zu fahren.

Mehr Nachtbusse fordern die Jungen

Mehr Nachtbusse, auch in die kleineren Kommunen, der Ausbau der S 60 – bei diesen Themen sind sich die drei jüngsten Kreistagsmitglieder einig. Salemis Fraktionskollegin Gloria Graf kennt das Dilemma mit dem Öffentlichen Nahverkehr aus eigenem Erleben. „Ohne ein Auto komme ich nicht immer zur Arbeit“, sagt die 23-jährige Sozialpädagogin, die in Mötzingen wohnt und in Tübingen vor zwei Monaten ihre erste Stelle angetreten hat – im Schichtdienst einer Wohngruppe. Neben dem Ausbau des ÖPNV liegt ihr vor allem das Soziale am Herzen. Deshalb ist sie Mitglied im Jugendhilfe- und Bildungsausschuss. Der Eindruck ihrer ersten Ausschusssitzung, bei der es um die Anschaffung neuer Lernmaterialien für Berufsschüler ging: „Da wurde sehr viel über die Kosten geredet, kaum über die Wichtigkeit dieser Materialien für die Jugendlichen.“ Vielleicht fehle den zumeist älteren Ratsmitgliedern schlicht und einfach der Bezug zu solchen Themen, meint Gloria Graf. Sie selbst sei da vermutlich näher dran, habe sie doch selbst erst kürzlich ihr Studium abgeschlossen.

Twitter aus der Kreistagssitzung

Zurückhaltend wirkt die 23-Jährige im Gespräch. Doch unterschätzen sollten sie die etablierten Ratsmitglieder deswegen nicht. Die Mötzingerin spielt seit 13 Jahren Fußball – als Torfrau des TSV Öschelbronn ist sie es gewohnt, auch harte Bälle zu parieren. Ihre Kollegin Lea Salemi ist die extrovertiertere der beiden. Seit sechs Jahren spielt sie Theater – der Anfang war eine Rolle im Sindelfinger Stadtmusical „Sirenen der Heimat“, wo sie beim Casting die Herzen der Jury mit Temperament und italienischen Flüchen eroberte. Ob Salemi die komplette Legislaturperiode im Kreistag mitwirken kann, das ist noch offen – je nachdem wo es nach dem Abitur mit einem Studienplatz klappt. Auch dabei hat sie das Theater im Visier.

Bis dahin will sie die Lebenswelten junger Menschen stärker in die Kommunalpolitik einbringen. Dieses Ziel eint die jungen Abgeordneten. Umgekehrt sollen auch junge Leute Einblicke in den kommunalen Politikbetrieb erhalten. Das hat sich Jan Hambach vorgenommen. Regelmäßig postet er auf Instagram, Facebook und Twitter über seine politische Arbeit.