Die Kreisräte staunen bei ihrem Besuch des norwegischen Krankenhauses: Die Technik dominiert bei der Kommunikation, es gibt nur noch digitale Datensammlungen. Bei der Behandlung hingegen bleibt man eher konventionell.
Oslo/Böblingen - Viel stärker als in Deutschland ist die Gesundheitsversorgung in Norwegen eine öffentliche Aufgabe. Privatkliniken gibt es nur wenige, sie spielen eine untergeordnete Rolle. Dies beeindruckte die Böblinger Kreisräte bei ihrem Besuch der Klinik im südnorwegischen Ostfold. Sind doch Diskussionen über Privatisierungen im Gesundheitsbereich in Deutschland an der Tagesordnung.
Die Aufgaben teilen sich der Staat und die Kommunen: Die großen Krankenhäuser mit Fachabteilungen sind zu hundert Prozent in staatlicher Hand und werden von einer der vier regionalen Gesundheitsbehörden betrieben. Die Grundversorgung erfolgt hingegen in kleineren Häusern, für die die Kommunen zuständig sind.
Ähnlich wie in Deutschland verweilen auch in Norwegen die Patienten im Schnitt nur knapp vier Tage in einer Klinik. Doch wenn sie entlassen werden, können sie bei Bedarf zur Weiterversorgung in eine Pflegeeinrichtung der Kommunen wechseln. Dafür gibt es auch private Anbieter, vor allem bei der ambulanten Betreuung, die jedoch voll in das öffentliche System integriert sind. Finanziert wird dieses Gesundheitssystem überwiegend durch Steuergeld. Doch müssen die Patienten bei jedem Arztbesuch einen kleinen eigenen Anteil dazu beitragen.
Viele Probleme sind die gleichen wie in Deutschland, zum Beispiel der Mangel an qualifiziertem Personal. Während der Klinikverbund Südwest mittlerweile ein eigenes Rekrutierungsprogramm hat, um Pflegekräfte aus Südeuropa zu gewinnen, kommen in Norwegen die meisten ausländischen Mitarbeiter aus Skandinavien, überwiegend aus Schweden. Doch auch Deutsche haben gute Chancen. Der Chefarzt der Neurologie im Ostfold-Krankenhaus ist Volker Moraeus Solyga, der aus Leipzig stammt und seit zwölf Jahren in Norwegen lebt. „Die Arbeitszeit ist geregelter als in deutschen Kliniken, das Einkommen etwas niedriger“, beschreibt er die Konditionen. Entspannter sei das Arbeiten vor allem im pflegerischen Bereich: „Die Pflegedichte ist höher, der Personalschlüssel höher.“
Papierakten gibt es nicht mehr in der im November eröffneten Ostfold-Klinik. „Alles läuft digital“, sagt Solyga und zeigt seinen Tablet-Computer, mit dem er die Patienten am Krankenbett aufsucht. „Hier gebe ich alle Werte ein. Sie können dann von allen Mitarbeitern abgerufen und ergänzt werden.“ Auch im Stationszimmer hat man Zugriff auf die Daten: über ein riesiges elektronisches Board an der Wand.
Bei der Behandlung hingegen setze man auf weniger Apparatemedizin als in Deutschland. „Wir behandeln hier viel mit konventionellen Methoden, mit den gleichen Ergebnissen.“ Auf Technik setzt man hingegen bei der Logistik. Acht selbstfahrende Roboterfahrzeuge sausen durch die Flure, bedienen selbstständig die Aufzüge und transportieren Wäsche und Materialien zu den Stationen. Begegnet ihnen ein Passant, stoppen sie und warten.
Luxuriös wirkt auf die deutschen Gäste der Standard der Patientenzimmer: Ausschließlich Einzelzimmer gibt es. Doch mit Luxus habe das wenig zu tun, sagt der Neurologe Solyga. „Wir haben dadurch keine Probleme mit Killerkeimen in der Klinik.“ Ein weiterer positiver Effekt: „Die Patienten dürfen von ihren Angehörigen rund um die Uhr besucht werden.“
Zum Medizinkonzept des Ostfold-Krankenhauses gehört auch die Einbindung der Psychiatrie, die einen eigenen Trakt hat. „Wir haben hier eine geschlossene Abteilung“, erklärt die stellvertretende Klinikchefin Irene Dahl Andersen. „Aber wir brauchen keine Zäune mehr.“ Die Absonderung psychisch kranker Menschen gehöre in Norwegen der Vergangenheit an. Sinnvoll sei die Kombination mit der somatischen Klink auch für Patienten mit mehreren Krankheiten. So wären alle Spezialisten in einem Haus vorhanden.
Auch in diesem Punkt gibt es Parallelen zu Böblingen: Nicht nur die medizinische Abteilung zieht in einigen Jahren aufs Flugfeld. Auch die psychiatrische Klinik in Böblingen, die vom landeseigenen Klinikum Nordschwarzwald in Calw-Hirsau betrieben wird, will 2023 mit an diesen zentralen Standort wechseln.
Generalunternehmer oder Einzelvergabe?
Eine 25-köpfige Delegation von Kreisräten, Verantwortlichen des Landratsamts und des Klinikverbunds Südwest sowie Journalisten haben das Ostfold-Krankenhaus in Norwegen besucht. Der Schwerpunkt der Reise lag dabei auf dem Building Information Modeling (BIM), einem digitalen Planungssystem, mit dem das Krankenhaus gebaut worden war und das Gegenstand des ersten Teils unserer Berichterstattung war. Diese innovative Methode soll auch bei der Flugfeldklinik zum Einsatz kommen.
Die Norweger vergaben anhand dieser digitalen Datensammlung alle Aufträge und Gewerke selbst – insgesamt arbeiteten sie mit mehr als 40 Firmen zusammen. Die Böblinger tendieren hingegen eher dazu, einen Generalunternehmer mit der Ausführung zu beauftragen. „Wir haben in der Region Stuttgart einige Unternehmen, die bereits mit BIM arbeiten“, sagt Harald Schäfer, der Projektmanager des Klinikverbunds für die Flugfeldklinik. Mit der Planung wurde bereits begonnen. Im Jahr 2023 soll das 700-Betten-Haus, das die Häuser in Böblingen und Sindelfingen ersetzen soll, fertig sein.
Mit der konkreten Planung des Krankenhauses Ostfold wurde vor sechs Jahren begonnen. Im vergangenen November ging es in Betrieb. Anders als in Deutschland plant in Norwegen nicht jeder Kreis sein eigenes Haus, sondern eine zentrale Behörde koordiniert die Krankenhausplanung. Die Planer in Ostfold können deshalb ihre Erkenntnisse beim Bau zweier weiterer Kliniken einbringen. Die Ostfold- Klinik hat 700 Betten und 3200 Mitarbeiter.
6, 3 Milliarden Kronen hat der 500 Meter lange Neubau gekostet – etwa 680 Millionen Euro. Dabei muss man wissen, dass die Lebenshaltungskosten und damit auch die Baukosten in Norwegen um 30 bis 40 Prozent höher sind als in Deutschland. Andererseits war das Grundstück sehr billig – Platz gibt es in dem Land mit seinen nur fünf Millionen Einwohnern genug.
Die Klinik auf dem Flugfeld wird deshalb nicht so sehr in die Fläche, sondern in die Höhe gebaut. 7,5 Millionen Euro hat das Grundstück gekostet. Mit 437 Millionen Euro für den Bau rechnet man für das 700-Betten-Haus. Die Inforeise nach Norwegen kostete etwa 25 000 Euro.