Der Stadtwerkechef Gerd Hertle rechtfertigt die neue Preisstruktur. Foto: Stadtwerke Böblingen

Die Interessengemeinschaft Fernwärme kündigt im Streit um die Preiserhöhung der Stadtwerke an, notfalls die Energiekartellbehörde einzuschalten. Die Stadtwerke wiederum rechtfertigen ihre „neue Tarifstruktur“.

Böblingen - Die Aktiven der Böblinger Interessengemeinschaft Fernwärme (IGF) haben einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um notfalls auf gerichtlichem Weg gegen die Preiserhöhungen der Stadtwerke bei der Fernwärme vorzugehen. Sie planen eine Beschwerde bei der Energiekartellbehörde, weil sie die erneute Preiserhöhung, die sie auf rund 20 Prozent beziffern, für unverhältnismäßig hoch halten. Vor gut einem Jahr mussten die rund 8500 Böblinger Haushalte bereits eine Preisanhebung von durchschnittlich 21 Prozent schlucken. Die Stadtwerke hatten die Erhöhungen mit Investitionen in das Fernwärmenetz begründet. Es sei in die Jahre gekommen, hieß es. Laut der Stadtwerke-Sprecherin Martina Mayer werden jährlich drei Millionen Euro investiert.

Die Chefetage der Unternehmensentwicklung bei den Stadtwerken hatte vor einiger Zeit berichtet, dass die Stadtwerke Böblingen noch über keine liquiden Mittel verfügen würden und trotzdem in den nächsten zehn bis 20 Jahren rund 50 Millionen Euro in die Sanierung der Leitungen stecken müssten. Die enormen Ausgaben werden von der IGF in Frage gestellt, vor allem, „weil sie nirgendwo dargestellt werden“, erklärt der IGF-Sprecher Peter Aue. Seine Initiative fordere mehr Transparenz hinsichtlich der Kosten und der Einnahmen. „Die jetzige Erhöhung wurde nicht begründet“, betont Aue, „wir wollen wissen wie die Stadtwerke zu dieser Preisgestaltung kommen.“

Grundpreis steigt, Verbrauchspreis sinkt

Die Stadtwerke weisen darauf hin, dass es sich keinesfalls um allgemeine Preiserhöhung handele, sondern, um „die Umstellung auf ein zeitgemäßes Tarifmodell, das von vielen Energieversorgern angeboten wird“. Der Verbrauchspreis – im Fachjargon Arbeitspreis genannt – sinke, der Grundpreis steige. Über künftige Änderungen entscheide eine Preisformel mit unabhängigen Preisindizes. „Tatsächlich zahlen hunderte Kunden durch das neue Modell weniger, andere zahlen künftig mehr“, erklärt Mayer. Wenn Kunden mehr zahlen müssten, spiegele dies die tatsächliche Kostenstruktur wider und sei im Einzelfall verursachergerecht.

Der Grundpreis müsse steigen, weil es in Böblingen „eine sehr schwierige Anschlussstruktur mit 75 Prozent Ein- und Zweifamilienhäusern gibt“, veranschaulicht Mayer weiter. Dies sei teuer.

Protest in einem offenen Brief an OB und Gemeinderat

Und was die Kostenaufschlüsselung angehe, erklären die Stadtwerke: „Wir sind ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das nicht allein der Stadt Böblingen gehört. Da die Fernwärme nur eine Sparte ist, befinden wir uns im Wettbewerb und müssen uns auf dem Energiemarkt behaupten.“ Man könne im Übrigen keine nur auf die Fernwärme bezogene Kostentransparenz herstellen, ohne Einblick in die gesamtwirtschaftliche Kostenstruktur des Unternehmens zu geben. Der Jahresabschluss 2015 werde außerdem in diesem Jahr noch dem Gemeinderat vorgestellt.

In einem offenen Brief fordert Peter Schild im Auftrag der IGF den Oberbürgermeister Wolfgang Lützner und den Gemeinderat auf, dass die angekündigte neue Tarifstruktur „zumindest ausgesetzt“ wird. Eine solche drastische Erhöhung sei im Bereich der kommunalen Daseinsfürsorge „sittenwidrig“. Manche Bürger haben deshalb bereits ihre letzte Rechnung nicht bezahlt – und lassen es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen.

Versorgung: 
Die Stadtwerke Böblingen beliefern 1870 Abnahmestellen mit Fernwärme, die im Restmüllheizkraftwerk gewonnen wird. Oft werden von der Abnahmestelle aus mehrere Wohnungen – etwa in Hochhäusern – versorgt. Insgesamt heizen rund 8500 Haushalte in Böblingen mit der Fernwärme.

Preisgestaltung
  Der Grundpreis ist in drei Zonen gestaffelt. In der ersten sind die meisten Abnehmer – mit einer Anschlussleistung von bis zu 50 Kilowatt. Der Grundpreis steigt zum 1. Januar von 34,40 Euro auf 75,57 Euro, der Verbrauchspreis sinkt von 85,78 Euro auf 66,72 Euro pro Megawattstunde. Kunden, die einen Liefervertrag abschließen, erhalten einen Abschlag von 2,5 Prozent.

Stadtwerke
  Der Energieversorger befand sich bis Ende 2012 in städtischer Hand und wurden neu gegründet. Seit Anfang 2013 ist die Stadt mit 59 Prozent beteiligt, der Konzern EnBW hält 41 Prozent.