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Stärkeres Gewicht in der Region - Mit 110.000 Einwohnern nach Stuttgart die zweitgrößte Kommune.

Böblingen/Sindelfingen - Die Oberbürgermeister von Böblingen und Sindelfingen wollen ihre Gewerbesteuern in einen Topf werfen und dann verteilen. Es wäre der erste große Schritt zur Fusion der Nachbarstädte. Beide Stadtchefs sagen im Interview zur Doppelstadt grundsätzlich "Ja". Wer für wen dann Platz macht, lassen sie offen.

Herr Vöhringer, Herr Lützner. Schön, dass wir die Oberbürgermeister der beiden größten Städte im Kreis Böblingen an einem Tisch haben. Aber eigentlich ist doch ein Stadtchef zu viel an Bord. Was meinen Sie, Herr Lützner?
Lützner: Da muss ich widersprechen. Für eine gemeinsame Stadt, und nur dann kann man einen Oberbürgermeister einsparen, braucht's noch einiges an Vorarbeit.

Herr Vöhringer, Sie haben vor zwei Jahren die Doppelstadt propagiert. Das war kurz vor der Wahl Ihres Kollegen in der Nachbarstadt Böblingen. Seither haben wir nicht mehr allzu viel gehört. Sind Sie gesprungen wie ein Tiger und gelandet wie ein Bettvorleger?
Vöhringer: Das sehe ich nicht so. Es ging darum, den Impuls zu geben. Ich habe das Thema auf die Agenda gesetzt und war angenehm überrascht über die vielen positiven Rückmeldungen, auch im Internet. Viele Menschen können sich die gemeinsame Stadt vorstellen. Aber man muss sehen, in Böblingen war Oberbürgermeisterwahl, und da ist es klar, dass in einer ersten Phase einer neuen Amtszeit so ein Thema nicht abschließend behandelt wird. Insofern habe ich in letzter Zeit ganz bewusst keine weiteren Aktivitäten unternommen.

Nicht abschließend behandelt bedeutet ja wohl, dass Sie etwas am Laufen haben. Was, Herr Vöhringer, wären denn aus Ihrer Sicht die wesentlichen Vorteile einer Fusion?
Vöhringer: Es gibt zwei zentrale Schlagworte. Das eine ist Kosteneinsparung. Ich bin der festen Meinung, dass wir durch eine gemeinsame Stadt sparen würden. Sei es im Bereich der Verwaltungsapparate ...

Haben Sie Herrn Lützner schon angeboten, dass Sie abdanken?
Vöhringer (lacht): Wir haben uns noch nicht geeinigt. Aber ernsthaft: Man könnte in den Führungsstrukturen einiges einsparen. Das ist wichtig in einer Zeit, in der die Finanzlage der Städte immer schwieriger wird. Was es bringt, Ressourcen zu bündeln, sehen wir ja bei der Congress Center Böblingen/Sindelfingen GmbH, in der wir unsere Veranstaltungshallen fusioniert haben. Das zweite Schlagwort ist Wettbewerb. Gemeinsam hätten wir eine deutlich bessere Position im Wettbewerb der Städte.

Wie sehen Sie das, Herr Lützner?
Lützner: Den zweiten Punkt teile ich. Es ist richtig und sinnvoll darüber nachzudenken, die beiden Städte zusammenzuführen, um am Markt schlagkräftiger zu sein. Und wir hätten ein stärkeres Gewicht in der Region. Beim Thema Kosteneinsparung bin ich etwas zurückhaltender. Das muss man sich noch genau anschauen.

Die Hausnummer, die Herr Vöhringer vor zwei Jahren nannte, waren zehn Millionen Euro Einsparungen jährlich. Das ist doch ein Wort, oder Herr Lützner?
Lützner: Die Zahl hat er in den Raum gestellt. Ich kann sie nicht nachvollziehen.

Ihr Part, Herr Vöhringer.
Vöhringer: Die Schätzung war fünf bis zehn Millionen Euro. Aber das muss noch detailliert untersucht werden. Das war ja auch im ersten Schritt zu einer Fusion mein Ziel. Es müssen alle Positionen der Aufgaben, die Verwaltungen erfüllen, auf den Prüfstand. Wir haben uns damals die Haushalte angeschaut und geschätzt, welche Effizienzvorteile man generieren könnte. Ich bin mir sicher. Wenn wir es schaffen, unsere Leistungen gemeinsam zu organisieren, ergibt das ein erhebliches Einsparpotenzial. Dieses Geld könnten wir für Bürger investieren.

Lützner: Da muss ich mich einschalten. Wenn ich Einsparungen erzielen will, bedeutet das, dass in Teilbereichen Leistungen abgebaut werden. Das muss man den Bürgern auch sagen. Eine gemeinsame Stadt wird sich nicht so eine Bäderwelt leisten, wie wir sie heute haben. Das Problem ist, wenn man etwas allgemein hält, kriegt man alle Leute hinter sich. Wenn Effizienz aber damit verbunden ist, dass Einrichtungen geschlossen oder zentralisiert werden, dann geht die Diskussion los. Dann heißt es ja, ja, wir wollen schon einsparen, aber nicht bei uns, sondern auf der anderen Seite der Autobahn.

Wie wollen Sie das vermeiden?
Lützner: Es ist wichtig, dass das Thema gemeinsame Stadt langsam wächst und wir nach und nach zusammenfinden. Nicht dass wir hinterher den Effekt haben, dass der Stadtteil Sindelfingen genau das Gleiche haben muss wie der Stadtteil Böblingen oder umgekehrt. Dann haben wir unter dem Strich Mehrkosten. Das ergibt keinen Sinn.

Genaue Zahlen, was eine Fusion bringt, könnten schon auf dem Tisch liegen. Die Stadträte beiderseits der Autobahn hatten doch vor zwei Jahren gesagt, sie wollten die Untersuchung machen lassen. Warum ist das nicht geschehen, Herr Lützner?
Lützner: Aus meiner Sicht muss die erste Untersuchung in den einzelnen Rathäusern laufen. Wir analysieren jetzt die Arbeitsabläufe mit den Mitarbeitern. Erst wenn wir optimiert arbeiten und optimiert aufgestellt sind, können wir im zweiten Schritt prüfen, was wir, wenn die Städte zusammengehen, noch zusätzlich einsparen können.

Vöhringer: Ich behaupte mal, sie werden nie eine Verwaltung oder Organisation finden, die optimal aufgestellt ist. Sie werden immer Potenzial finden für weitere Optimierung. Was wir brauchen ist die Analyse, was genau bei einer Fusion herauskommt.

"Idee der gemeinsamen Gewerbesteuer hat Charme"

Wann könnte man an die Analyse rangehen?
Vöhringer: Aus meiner Sicht sofort.

Lützner: Wenn wir uns intern so optimal aufgestellt haben, dass wir den zweiten Schritt darauf setzen können.

Wann ist das?
Lützner: Ich denke in zwei, drei Jahren.

Ein Schritt zur gemeinsamen Stadt wäre, die Gewerbesteuereinnahmen aus Böblingen und Sindelfingen in einen Topf zu werfen und sie dann zu verteilen. Was halten Sie davon, Herr Vöhringer?
Vöhringer: Ich halte das für einen guten Vorschlag. Die Idee der gemeinsamen Gewerbesteuer gibt es aber schon. Sie hat viel Charme. Ich verfolge die Entwicklung der Finanzen der Städte schon seit Jahrzehnten. Meistens ist es so. Mal geht's Böblingen gut, mal geht's uns gut. Wir sind selten in der gleichen Situation. Sindelfingen hat einen großen Gewerbesteuerzahler (Red.: Daimler AG), der zahlt einmal gar nicht oder er zahlt richtig gut. Böblingen hat deutlich mehr Mittelständler. Die zahlen nicht so ganz Spitzenklasse, aber dafür konstanter. Die Städte könnten Schwankungen bei den Einnahmen besser ausgleichen. Und wir könnten Diskussionen wie die um eine gemeinsame Wirtschaftsförderung beenden.

Wie sinnvoll ist das für Sie, Herr Lützner?
Da habe ich die gleiche Position. Wir haben die Idee ja gemeinsam entwickelt.

Erstaunlich. Hat sich der Böblinger Gemeinderat nicht erst kürzlich wegen der Gewerbesteuer gegen eine gemeinsame Wirtschaftsförderung ausgesprochen?
Lützner: Mit wir meine ich Kollege Vöhringer und mich. Dass wir das Thema noch in den Gremien diskutieren müssen, liegt in der Natur der Sache.

Wäre die gemeinsame Gewerbesteuer dann das Ende des Kleinkriegs um die Ansiedlung von Unternehmen?
Lützner: Es würde die Konkurrenzsituation komplett ändern. Ich würde es aber nicht als Kleinkrieg bezeichnen. Die jetzige Konkurrenzsituation ergibt sich aus dem Gesetz. Wir haben als Oberbürgermeister den Amtseid abgelegt, dass wir das Wohl unserer jeweiligen Stadt fördern. Wenn in Böblingen ein Betrieb ansiedeln möchte, kann ich nicht sagen, gehe rüber nach Sindelfingen, der Kollege braucht ein neues Unternehmen gerade dringender. Wir sehen beide, dass die heutige Situation nicht optimal ist, und suchen Wege, sie zu ändern.

Hätte die Gemeinsamkeit auch den Charme, dass man offensiver auf Investoren zugehen könnte? Wir reden dann immerhin von einer Stadt mit 110.000 Einwohnern, also der zweitgrößten in der Region Stuttgart.
Vöhringer: Das ist meine feste Überzeugung. Wenn man sieht, welche Wirtschaftskraft hier versammelt ist, könnten wir in der Region eine ganz andere Rolle spielen. Ich glaube, wir hätten gute Möglichkeiten, wenn es zum Beispiel um Ansiedlungen des Landes und die Übernahme von Zentralfunktionen geht.

Böblingen und Sindelfingen sind ein Mittelzentrum. Es gibt in der Region nur ein Oberzentrum, nämlich Stuttgart. Können Sie sich vorstellen, als Oberzentrum zu agieren?
Lützner: Ich formuliere es mal ganz pointiert. Mit dem, was wir gemeinsam alles anbieten, sind wir de facto ein Oberzentrum. Wir werden uns demnächst gemeinsam dafür einsetzen, dass man an anderer Stelle darüber nachdenkt, das auch anzuerkennen.

Vöhringer: Wir haben das, allerdings eher informell, schon mal in Richtung Region und Land kommuniziert.

Die Begeisterung war sicher riesengroß.
Vöhringer: Grenzenlos. Aber im Ernst: Da steckt schon einiges dahinter. Wir sind in der Tat nur ein gemeinsames Mittelzentrum, und wenn man sieht, welche Leistungskraft wir heute schon getrennt haben, dann ist das Ärgernis. Das kann einfach nicht sein. Es wird der Bedeutung von Böblingen und Sindelfingen nicht gerecht.

"Stuttgart kann sich ungehemmt ausdehnen"

Was hätte es für Folgen, wenn die Städte ein gemeinsames Oberzentrum wären?
Vöhringer: Wir könnten mehr Planungsrechte wahrnehmen. Das Problem heute ist, dass wir vieles nicht selbst entscheiden dürfen.

Was denn zum Beispiel?
Vöhringer: Bei Handelsansiedlungen zum Beispiel. Eigentlich überall, wo die Regionalplanung Einfluss hat.

Heißt das, Sie fühlen sich in der jetzigen Situation von der Region gegängelt?
Lützner: Die Zusammenarbeit ist gut, aber es gibt Teilbereiche, wo wir die Haltung nicht nachvollziehen können. Gerade beim Handel sehe ich es sehr kritisch. Stuttgart kann sich ungehemmt ausdehnen, trocknet damit andere aus. Das betrifft nicht nur uns. Auch Städte mittlerer Größe müssen auf Dauer eine gute Einzelhandelsstruktur erhalten können. Man sollte dem derzeit einzigen Oberzentrum in der Region nicht so viel Freiheit geben, dass es zu Lasten anderer geht. Das ist nicht gut für die langfristige Entwicklung der gesamten Region.

Vöhringer: Wir stellen schon eine gewisse Neigung zum Detaileingriff fest. Die Region hat uns auf den Quadratmeter genau vorgeschrieben, wie viel Einzelhandel wir auf dem Flugfeld machen dürfen.

Regionalpolitiker werden Ihnen jetzt sicher vorwerfen, Sie wollen zurück zum Kirchturmdenken. Das bedeutet, Sie werden dicke Bretter bohren müssen, um ein Oberzentrum zu werden. In welchem Zeitraum glauben Sie, das Ziel erreichen zu können?
Lützner: Das dauert sicher mehrere Jahre. Aber es geht nicht um Kirchturmdenken, sondern um die Anerkennung der Realität. Böblingen und Sindelfingen sind mit ihrer Wirtschaftskraft und ihren Arbeitsplätzen die starke Schulter der Region. Man muss uns unterstützen, damit wir das vorhandene Potenzial weiter ausbauen können. Das ist im Interesse der gesamten Region Stuttgart.

Vöhringer: Ich bin ein absoluter Befürworter der Region. Wir brauchen die regionale Bündelung. Aber man muss die Balance halten und aufpassen, sich nicht im Klein-Klein zu verzetteln.

Wir sind ja gerade auf dem Flugfeld, dem gemeinsamen Wohn- und Gewerbegebiet von Böblingen und Sindelfingen. Es werden hier viele Wohnungen gebaut, doch Betriebe lassen auf sich warten. Woran liegt's?
Vöhringer: Sie haben recht. Wohnungsbau läuft gut. Da ist eine sehr hohe Nachfrage. Beim Gewerbe hatten wir erwartet, dass es etwas zügiger geht. Da hat sicher auch die Wirtschaftskrise eine Rolle gespielt. Aber wir nehmen auch nicht jeden. Es geht nicht darum, die Flächen schnell zu füllen. Die Betriebe müssen zukunftsgerichtet sein.

Sie verlangen für den Quadratmeter Gewerbegrund rund 250 Euro. Ist der Preis zu hoch?
Lützner: Wir schauen uns die Preisgestaltung gerade an. Aber die Qualität der Infrastruktur auf dem Flugfeld hat ihren Preis.

Das Ziel war, das Flugfeld bis 2020 weitgehend bebaut zu haben. Etwa 4000 Menschen sollen hier wohnen, um die 5000 Arbeitsplätze entstehen. Was glauben Sie, wie viele Gewerbeflächen bis dahin bebaut sind?
Vöhringer: 2020? Ganz aufgesiedelt sicher nicht. Beim Gewerbe sage ich zwei Drittel.

Lützner: Die Beantwortung dieser Frage bringt nichts. Sie ist zu weit in die Zukunft gerichtet. Sie können solche Ansiedlungen vielleicht auf ein, zwei Jahre etwas abschätzen. Alles andere ist Kaffeesatz lesen.

Zum Abschluss, Herr Lützner, Herr Vöhringer, kommen wir noch einmal zum Anfang zurück und fragen: Wollen Sie die Doppelstadt?
Vöhringer: Ja, und wir sind auf einem guten Weg dahin.

Lützner: Ja, wenn es Sinn macht. Aber gebt uns noch Zeit zum Prüfen. Die Vorbereitungen dauern fünf bis zehn Jahre.

Wer dankt ab zugunsten von wem?
Lützner: Ich bin noch für sechseinhalb Jahre gewählt. Ich kann heute in meinem Kopf noch kein Kästchen mit der Aufschrift "Abdanken" finden.

Vöhringer: Ich habe noch knapp sechs Jahre. Dann könnte die Doppelstadt starten. Es gibt dann zwei Optionen: Platz frei machen oder antreten zur Wahl.