In der Staufener Altstadt fing die ganze Misere an. Foto: dpa

Eine Bohrung, viele Risse: Nach Staufen, Leonberg, Rudersberg und Schorndorf jetzt Rottenburg.

Rottenburg/Stuttgart - Nach einem starken Regen waren sie vor zwei Jahren plötzlich da: Löcher in Vorgärten und Straßen, Risse in Haus- und Garagenwänden, zentimeterbreite Spalten in Gartenmauern. Die Anwohner im Rottenburger Stadtteil Wurmlingen waren ratlos. Erste Gedanken an eine Erdwärmebohrung wurden von Experten rasch zerstreut: Viel zu lange her (nämlich schon im Jahr 2002) seien die Arbeiten, als dass sie noch mit den Rissen in Verbindung gebracht werden könnten. Vielmehr seien natürliche Verkarstungen im Untergrund schuld daran, dass sich die Erde auf einmal gesenkt habe. Schließlich liegt das Wohngebiet am Auslauf eines Hanggeländes. Am falschen Ort gebaut – Pech gehabt, so der Befund der Geologen.

Das war im vergangenen Jahr. Die Stadt wollte sich jedoch nicht damit abfinden, schließlich sind auch ihr Straßenschäden in Höhe von rund einer halben Million Euro entstanden. Eine Bohrfirma wurde beauftragt, welche die Hohlräume nochmals untersuchen sollte. Und siehe da: Die Schäden stehen doch mit der Bohrung vor zehn Jahren in Zusammenhang, wie ein Gutachten jetzt offenbart. Die Stadt Rottenburg und das Landratsamt Tübingen haben diese jüngsten Informationen bestätigt.

Wasser hat den Untergrund ausgehöhlt

Demnach trägt die von einem Anwohner seinerzeit in Auftrag gegebene Bohrung zum Einbau einer Erdwärmesonde zumindest eine Teilschuld an den Senkungen. „An der Sonde war eine kleine undichte Stelle, deswegen konnte Grundwasser in den Gipskeuper gelangen“, erklärt Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher. Anders als in Staufen im Breisgau, wo Wasser den Anhydrit im Untergrund hat aufquellen lassen wie einen Schwamm, sorgte das Wasser im Boden unter Wurmlingen für Auswaschungen. So entstanden mit der Zeit Hohlräume, welche die Oberfläche instabil machten. Da nur sehr kleine Mengen Wasser in den Keuper gelangten, dauerte es Jahre, bis die Folgen sichtbar wurden. „Im Jahr 2002 war die Erkenntnis noch nicht gereift, dass Gipskeuper kein geeigneter Untergrund ist für Erdwärmebohrungen“, bilanziert Stephan Neher den an sich gut gemeinten Vorsatz des Anwohners, sein Haus mit umweltfreundlicher Erdwärme zu heizen.

Nun lässt diese kleine Katastrophe nur Verlierer zurück: die geschädigten Anwohner, die noch nicht wissen, ob, wie und wann sie an Entschädigungszahlungen kommen und außerdem vor der Ungewissheit stehen, ob durch die geplante Auffüllung der Hohlräume die Erde unter ihren Häusern auch tatsächlich zur Ruhe kommt.

Dann die Stadt Rottenburg, die sich ebenfalls nicht sicher sein kann, alle Schäden ersetzt zu bekommen. Schließlich darf man davon ausgehen, dass das Bohrunternehmen – der dritte Verlierer, wie die gesamte Branche – darauf pochen wird, höchstens eine Teilschuld an den Senkungen zu tragen. Vermutlich folgt jetzt erst einmal ein langer Rechtsstreit, auch wenn sich die Firma anscheinend sehr kooperativ zeigt.

Nicht zuletzt ist die neuerliche Nachricht folgenschwerer Erdwärmebohrungen eine schlechte Nachricht für die grün-rote Landesregierung und ihren Bemühungen um den Klimaschutz. Hatte die Geothermie-Branche in den vergangenen Jahren ohnehin einen schweren Stand. Bei der Tiefengeothermie, mit der sich theoretisch auch Strom erzeugen lässt, tut sich nichts. Und auch die oberflächennahe Erdwärme zum Heizen steckt seit Staufen in der Krise. Wie aus einer aktuellen Antwort von Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) an die SPD-Fraktion im Landtag hervorgeht, sind 2011 und 2010 „deutlich weniger“ Erdwärmesondenanlagen verbaut worden als in den Jahren zuvor. Zwischen 2006 und 2009 waren es landesweit jährlich etwa 3500 bis 4000.

Eine Branche in der Krise

Vom Bundesverband Wärmepumpe herausgegebene aktuelle Absatzzahlen zeigen einen Trend zur Luft-/Wasserwärmepumpe. Diese bezieht ihre Energie aus der Umgebungswärme. Sie kann zwar keine Schäden anrichten (außer Lärm), ist aber auch nicht so wirkungsvoll wie ihr im Erdreich vergrabenes Pendant. Der Verband geht in seiner Branchenprognose davon aus, dass die Absatzzahlen für Erdwärmepumpen auch „unter konservativen Annahmen bis zum Jahr 2030 weiterhin stagnieren werden“.

Dessen ungeachtet hält das Land der vielversprechenden, aber anfälligen Technik die Treue. Die vom Umweltministerium im Oktober 2011 festgeschriebenen Leitlinien für höhere Qualitätsstandards hätten das Risiko für neue Schadensfälle „deutlich reduziert“, schreibt Untersteller. So würden nur die technisch versiertesten Firmen am Markt überleben. Der Umweltminister will bereits einen Umschwung und „erste positive Tendenzen“ erkannt haben. Das war freilich vor Rottenburg.

Und auch Staufen gibt nur bedingt Anlass für Hoffnung. Seit fast drei Jahren wird für viel Geld versucht, das Grundwasser dauerhaft abzusenken. Die Bohrlöcher, durch die das Wasser in den Anhydrit eingedrungen war, wurden abgedichtet. Mit dem Ergebnis, dass sich der Boden nicht mehr um elf Millimeter im Monat hebt, sondern „nur“ noch 3,5 Millimeter.