Die Kirche St. Peter und Paul in Reichenau-Niederzell Foto: Tourismus Untersee /Mendl

Anlässlich des Konziljubiläums in Konstanz rücken auch am Untersee alte Pilgerwege und Traditionen in den Fokus. Besonders wohl können sich Pilger auf der Höri fühlen.

Gaienhofen - Chefkoch Jörg Hentzgen läuft eben nochmals in die Küche, um einen Laib Pilgermutschli zu holen. Der Schnittkäse aus Stein am Rhein spielt eine tragende Rolle in seinem Brotsalat, den er mit Zwiebelkonfitüre als ersten Gang seines Pilgermenüs serviert. Der Chefkoch des Höri-Hotels in Hemmenhofen führt seit April ein Pilgermahl-Menü auf der Speisekarte. Ganz nach dem Motto des „Genussnetzwerks Untersee“ zum 600-Jahr-Jubiläum des Konstanzer Konzils: Bedingung für die Speisen war, dass ausschließlich Produkte verwendet werden, die es auch schon im 15. Jahrhundert gab.

„Natürlich sind sie anders zubereitet und modern interpretiert“, sagt Hentzgen. Sonst wären die Gerichte für unseren Gaumen vielleicht etwas zu rustikal. Nach dem Brotsalat lässt er Gerstensuppe mit gebackenem Kalbsbries servieren, als Hauptgang kombiniert Hentzgen Zanderschnitte mit Pastinaken und Kräuterbutter. Nur beim Dessert wird ein wenig geschummelt: Das Grieskonfekt in der Hüppe kommt nicht nur mit Apfelkompott, sondern auch mit Honig-Nuss-Eis daher. Honig und Nüsse gab es von alters her, Speiseeis eher nicht.

Die Idee von Lucia Kamp und ihrem Team vom Untersee-Tourismus war es, zum Start des Konziljubiläums Pilgerrouten und Pilgerziele in den Fokus zu rücken. Und dort, wo Pilger zu Fuß unterwegs waren, stand immer auch Verpflegung bereit. Sicherlich nicht auf dem Vier-Sterne-Niveau des Höri-Hotels, aber doch schmackhaft und aus der Region. Fisch und Fleisch kamen vom Bodensee und der nahen Umgebung, Obst und Gemüse von den Gärten der Höri und der Reichenau, aus dem Thurgau oder dem Hegau. Wein durfte natürlich keinesfalls fehlen, und er nimmt auch heute noch eine tragende Rolle ein. So haben sich zwei einheimische Winzer gefunden, die einen Pilgerwein liefern.

Der Ausblick vom Gottesacker hinter der Kirche von Gaienhofen ist umwerfend

Einer von ihnen ist Hans Rebholz, der im Weinberg in Gaienhofen seine Reihen mulcht. Die Ruten für den neuen Jahrgang sind gebogen und fixiert, gerade springen die Knospen auf: „Wenn aus einem Auge zwei Triebe kommen, muss einer weg.“ Diese Arbeit wird im Mai erledigt. Sein Pilgerwein ist ein leichter Rosé, zu kosten zum Beispiel in seinem Weinladen in Radolfzell-Liggeringen. Oder bei einer der Gaststätten auf der Höri, zum Beispiel dem Hirschen in Horn. Der zweite Pilgerwein, eine weiße Burgunder-Cuvée, stammt vom Weingut Vollmayer aus Hilzingen. „Die Burgunder-Traube ist eine sehr alte Sorte“, so Rebholz.

Nach so viel Kulinarik wird es Zeit, sich der Kultur zuzuwenden: Im Ortskern von Gaienhofen, wo Hermann Hesse in einem Bauernhaus wohnte, steht die gotische St.-Mauritius-Kapelle. Ein besinnlicher Kirchenraum, der mit seinem schönen Renaissance-Altar zum Innehalten einlädt. Die weit größere und berühmtere Pfarrkirche St. Johann in Gaienhofen-Horn lohnt immer einen Besuch, und umwerfend ist der Ausblick vom Gottesacker hinter der Kirche. Etwas versteckt am nordwestlichen Rand des Friedhofs findet sich die Grabstätte von Hans Leip, der mit seinem Lied „Lili Marleen“ weltberühmt wurde.

In der Kirche selbst können aufmerksame Besucher einen Pilger-Button entdecken. Er hat die Form eines roten Siegels und wartet an ausgewählten Plätzen auf Sammler, die mit den Aufklebern einen „Bodensee Kirchenbesucher-Pass“ bestücken können. Angelehnt ist diese Idee an den Pilgerpass des Jakobswegs, in dem mit Stempeln die jeweils zurückgelegten Passagen dokumentiert werden. Hier auf der Höri muss man nicht zu Fuß gehen, um die Stationen zu erleben. Aber man kann. Beispielsweise führt von Bohlingen ein Kreuzweg hinauf zur Wallfahrtskirche in Schienen. Die romanische Wallfahrtskirche St. Genesius mit ihrem anrührenden Gnadenbild, einer kleinen Marienstatue von 1430, ist seit dem 13. Jahrhundert ein Pilgerziel.

Pilgern ist aktuell wie nie

Oberhalb von St. Genesius, auf dem Käppelesberg, blieb die Michaeliskapelle aus dem 8. Jahrhundert als Teil eines Wohnhauses erhalten. An der Südseite haben die Besitzer nach alter Klostertradition einen Kreuzgarten angelegt, dazu einen Obstgarten sowie einen Weinberg.

Während der letzten Jahrzehnte traten die Wallfahrten ein wenig in den Hintergrund. Aber das Pilgern ist aktuell wie nie – und sei es zu den Museen oder früheren Wohnorten berühmter Zeitgenossen. In Gaienhofen sind die erste Wohnung Hermann Hesses im Bauernhaus und sein erstes eigenes Haus oben am Erlenloh begehrte Ziele für Literaturfans. Selbst Udo Lindenberg wurde bereits dabei ertappt, wie er über den Gartenzaun von Eva Eberwein spähte, die Hesses früheres Domizil restauriert hat und mit ihrem Mann heute bewohnt. Sie öffnet in den Sommermonaten die Pforten für Führungen.

Seit letztem Sommer erstrahlt auch der Wohnsitz der Familie Otto Dix in Hemmenhofen wieder in neuem Glanz, jetzt unter der Regie des Kunstmuseums in Stuttgart. Nur einen Steinwurf weiter, in der Petruskirche in Öhningen-Kattenhorn, ziehen die berühmten Glasfenster des Künstlers Otto Dix die Besucher an. Ein neues Pilgerziel – aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Und wer sich nun berufen fühlt, selbst mit Stift und Pinsel aktiv zu werden, gelangt vielleicht zu einer der Malschulen auf der Höri. Möglicherweise nach Wangen zum Künstler Tom Leonhardt. Er unterrichtet im früheren christlichen Schulgebäude, mit Blick auf das Rathaus, in dem sich die Gedenkstätte an Jacob Picard findet. Der jüdische Dichter schrieb vor rund hundert Jahren kenntnisreich über die Höri. Heute wie damals ein Erlebnis.