Großer Songwriter mit schwierigem Charakter: Bob Dylan Foto: Sony

Bob Dylan nimmt den Literaturnobelpreis in Stockholm entgegen. Im Gepäck hat er sein neues Album „Triplicate“.

Stuttgart - An diesem Samstag beginnt Bob Dylan seine neue Europatour, und natürlich will es nicht der Zufall so, dass ihn der erste Auftritt seiner seit Jahren nicht endenden Welttournee ausgerechnet nach Stockholm führt. Mit Sicherheit ist das nicht gegen den Willen des amerikanischen Songwriters so gebucht worden. Rätselhaft blieb allenfalls, warum Dylan nicht vorab ankündigte, an diesem Tag endlich beim Nobelpreiskomitee vorbeizuschauen und seine überfällige Nobelvorlesung zu halten – was Grundvoraussetzung ist, um das Preisgeld ausbezahlt zu bekommen und was er bis spätestens 10. Juni erledigt haben müsste.

Bei der Verleihung am 10. Dezember glänzte Dylan wegen „anderer Verpflichtungen“ bekanntlich frech mit Abwesenheit, seit Monaten hatten die Nobeljuroren keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt, und ob er wenigstens mal vorbeischauen werde, stand bis vor zwei Tagen ebenfalls in den Sternen. Nun hat er auf den letzten Drücker verkündet, an diesem Samstag doch den Preis entgegenzunehmen, bei einer Feier allerdings, die auf Wunsch des Stars nur Dylan und Mitglieder der Akademie besuchen sollen. Aber vom letzten Kapitel, mit dem dieses unwürdige Spektakel endlich zu einem Ende kommen könnte, nämlich der dazugehörigen Rede: davon war bei ihm keine Rede.

Dabei ist das Komitee angesichts des kapriziösen Künstlers längst bescheiden geworden. Notfalls würde es auch reichen, wenn er ein Video mit der Rede einreichte, teilte Sara Danius mit, die Chefin der Schwedischen Akademie. Sie sei auch guten Mutes, dass dies noch passieren werde, aber Genaueres wisse sie leider mal wieder nicht.

Alles bleibt rätselhaft

Entweder ist Bob Dylan das alles völlig egal, oder aber er will es als nächsten Wink mit dem Zaunpfahl verstanden wissen, dass sich ein Musiker seines Formats wohl kaum von den Verleihern der bedeutendsten künstlerischen Auszeichnung der Welt ihm nicht genehme Konventionen aufzwingen lässt. Beides wäre befremdlich, beides würde sich aber auch in die groteske Reihe der Respektlosigkeiten einfügen, mit denen der Exzentriker bislang auf die Zuerkennung des Literaturnobelpreises reagiert hat. Und so würde es am Ende niemanden mehr wundern, wenn er das Preisgeld – die Rede ist von acht Millionen schwedischen Kronen, rund 840 000 Euro – einfach sausen lässt.

Als ultimativen genialischen Ausweis künstlerischer Integrität könnte man das werten – oder aber als Ohrfeige ins Gesicht all jener, die mäzenatisch ein gedeihendes Kulturleben in zivilisierten Gesellschaften überhaupt erst ermöglichen – von der Demütigung für die Heerscharen von Künstlern, die ein prekäres Leben am Rande des Existenzminimums führen müssen und die schon für kleine Stipendien dankbar sind, die man mit dem Preisgeld initiieren könnte, wenn man offenbar ohnehin keine andere Verwendung dafür hat, davon also mal ganz abgesehen.

Vielleicht kommt an diesem Abend aber zumindest das Stockholmer Publikum in den Genuss, Neues von Dylan zu hören. An diesem Freitag ist nämlich sein aktuelles Werk erschienen. Es handelt sich, erstmals in der langen Diskografie des Musikers, der einst das Doppelalbum in die Rockmusik brachte, um ein Dreifachalbum.

Den Grund, das eigentlich mühelos auf eine Doppel-CD passende Material auf drei Tonträger mit jeweils zehn Songs und der exakt gleichen Länge von je 32 Minuten zu verteilen, schildert er in einem zur Veröffentlichung erschienenen Interview mit in jeglicher Hinsicht epischen Ausmaßen, das der notorisch öffentlichkeitsscheue Musiker (seltsam eigentlich angesichts des Umstands, dass er permanent auf Bühnen steht) sich quasi selbst auf seiner Homepage gegeben hat. Es handele sich bei der Drei um eine magische Zahl, und Schallplatten klängen nun mal am besten, wenn sie auf jeder Seite nur mit rund 15 Minuten Spielzeit gepresst würden, erklärt er. Nun ja, dass der Vinylklangfetischist Dylan im gleichen Interview bekennt, Musik privat am liebsten auf CDs zu hören, sei geschenkt beziehungsweise der Ambivalenz seiner Künstlerpersönlichkeit zugestanden.

Wieder ein Album mit Coverversionen

Inhaltlich setzt Dylan indes auf Kontinuität. Wie die beiden in rascher Abfolge erschienenen Vorgänger „Shadows in the Night“ (2015) und „Fallen Angels“ (2016) – und im Gegensatz zu allen seinen 35 Alben davor – enthält auch „Triplicate“ ausschließlich Fremdkompositionen. Dylans Fans müssen also noch länger auf neue Eigenschöpfungen des Meisters warten als das Nobelpreiskomitee, nämlich seit nunmehr 2012, als sein letztes „richtiges“ Album „Tempest“ erschienen ist.

Bedient hat sich der Musiker wieder beim „Great American Songbook“, jener längst zum Volksliedkanon gewordenen Sammlung nordamerikanischer Musik aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Diesmal setzt Dylan jedoch auch auf einige Songs, die längst zu Standards geworden sind, darunter sind „As Time goes by“, „Sentimental Journey“ und „Stormy Weather“. Bei dem Album handelt es sich um eine doppelte Hommage, zum einen an die großen, wenngleich auf der anderen Seite des Atlantiks weitaus populäreren Songwriter, zum anderen an die großen Interpreten aus der Generation vor ihm.

Alle Titel sind sorgsam komponiert und arrangiert, die Einspielung seiner teils mit Bläsersätzen verstärkten fünfköpfigen Band ist vorzüglich. Aber ehrlich: Wenn eine x-beliebige Combo diese dahinplätschernden Stücke als Untermalung in einer x-beliebigen Hotelbar spielen würde, würden sie auch nicht viel anders klingen.

So bleibt „Triplicate“ trotz des gewiss vorhandenen geistigen Überbaus nur ein weiteres Duplikat zigfach vorhandener und auch (die Stimme bleibt Dylans Achillesferse) besser eingesungener Einspielungen dieser Lieder, deren Auswahl – keine gute Grundvoraussetzung für einen Tonträger – sich erst dann und auch dann nur annähernd erschließt, wenn man mit dem Eifer eines Dylanologen das dazugehörige Interview studiert. Somit bleibt auch reichlich schleierhaft, was uns der Dichter eigentlich sagen wollte. Aber da der bald 76-jährige Literatur-Nobelpreisträger es sich längst zur Lebensaufgabe gemacht hat, auf ewig rätselhaft zu bleiben, ist er sich immerhin diesbezüglich treu geblieben.

Bob Dylan: Triplicate. Columbia/Sony.

Der Künstler kommt für fünf Konzerte auch nach Deutschland. Er gastiert am 11. April in Hamburg, am 12. April in Lingen (im Emsland), am 13. April in Düsseldorf sowie am 24. April in Frankfurt und am 26. April in Hannover.