Bob Dylan hat ein neues Album veröffentlicht Foto: Sony

Während Countrysänger Johnny Cash einst in seinem Spätwerk zu einer herben Kargheit der Inszenierung fand, entdeckt Bob Dylan auf dem Album „Shadows In The Night“ mit Hilfe von Klassikern aus den 1940ern und 1950ern als 73-Jähriger seine sanfte Seite.

Stuttgart - Während die Pedal-Steel-Gitarre eine wehmütige Melodie seufzt, jammert ein alter Mann herzergreifend mit zitterndem Tremolo in der Stimme von der Geliebten, die ihm abhandengekommen ist: Was ist aus unseren Träumen geworden? Was aus den Plänen, die wir hatten? Warum liebst du mich nicht mehr? Und wieso hatte unsere Geschichte kein Happy End? „Where Are You?“ ist ein hemmungslos sentimentaler Song, in dem ein Liebender traurig-schön sein Herz ausschüttet. In der Rolle des Romantikers: der größte Grantler des Rock’n’Roll – Bob Dylan höchstpersönlich.

„Bob Dylan ist ein Planet, den es zu entdecken gilt“, sagt Tom Waits. „Elvis hat den Körper befreit – Dylan den Geist“, sagt Bruce Springsteen. Bob Dylan ist der Mann, der immer schon da war. Er hat in seiner nun über 50 Jahre andauernden Karriere so viele Rollen gespielt, sich so oft verwandelt, aus Folk, Rock, Blues, Soul und Pop neue unerhörte Großkunstwerke geschaffen, dass es eigentlich nichts gibt, das er nicht schon war. Er war böse, schlau, mysteriös, religiös, zynisch, poetisch, aber so zärtlich wie auf seinem 36. Studioalbum, das den Titel „Shadows Of The Night“ trägt, war er noch nie.

Selbst seine Liebeslieder hatten stets etwas Drängendes-Forderndes („I Want You“) oder waren karg-schöne poetische Entwürfe, bei denen das Herbe stets das Liebliche überdeckte („Girl From A Northern Country“). Doch im Alter von 73 Jahren ist Bob Dylan bei dem angekommen, was man Spätwerk nennt. Schon vor zwei Jahren glaubte man aus den düsteren Liedern auf dem grandiosen Album „Tempest“ einen fast fröhlichen Fatalismus herauszuhören. Angenehm altmodisch rekurrierte Dylan vor allem auf Blues- und Folktraditionen, bei der Nummer „Soon After Midnight“ spielte er aber bereits den romantischen Crooner, den er jetzt ein ganzes Album lang gibt.

Er verlässt sich dabei allerdings nicht auf eigene Stücke, sondern arbeitet sich an dem Song-Katalog von Frank Sinatra ab. Die bekannteste Nummer ist Jacques Préverts „Autumn Leaves“, das Dylan in eine verschwommen-melancholische Herbstimpression verwandelt, in der er so schön wie schon lange nicht mehr singt und einen mit seinem Lamento über die kürzer werdenden Tage und seinen Sehnsuchtsbekundungen fast zu Tränen rührt.

Diesen rührenden Ton hält er auf allen Songs des Albums durch – in „I’m A Fool To Want You“, das aus dem Jahr 1951 stammt, ebenso wie in „Some Enchanted Evening“, das er sich aus dem Musical „South Pacific“ geborgt hat, oder das wunderbare „What’ll I Do“, das aus der Feder von Irving Berlin stammt. Und obwohl Dylan bei diesen Stücken, die üblicherweise eher mit Big-Band- oder Orchesterbegleitung aufgeführt werden, nur von einer fünfköpfigen Band begleitet wird, gelingt ihm auf „Shadows In The Night“ nicht nur eine zauberhafte Zärtlichkeit, sondern auch eine verblüffende Opulenz.