Foto: Pressefoto Baumann

Deutsche BMX-Fahrer wollen die Olympischen Spiele nutzen, um ihren Sport noch bekannter zu machen.

Stuttgart/Birmingham - Wenn sich das Startgatter senkt, wird es ernst. Dann entlädt sich all die Anspannung, dann gilt es, innerhalb von 40 Sekunden höchste Kraftanstrengungen zu bewältigen. Dann geht es mit 60 Kilometer pro Stunde über Schanzen, durch Steilwandkurven und über die Wellenbahn. Dann fliegen die Athleten bis zu zwölf Meter durch die Luft, beim Absprung muss die Position stimmen, bei der Landung auch. Dann gibt es Kollisionen und Stürze, vor allem aber gibt es: „Tausend Fehlerquellen.“ Die BMX so komplex und anspruchsvoll machen.

So in etwa hört sich das an, wenn Luis Brethauer über den Sport spricht, den er einst als Kind begann und den er heute als Profi ausübt – und dies, das ist mittlerweile nicht mehr nur den Experten klar, als Leistungssportler. „BMX ist jetzt ein ausgereifter Hochleistungssport“, sagt der 20-Jährige aus Betzingen, „mit den Olympischen Spielen 2008 ist das deutlich geworden.“ In Peking feierte die Disziplin, die zuvor als Funsport gegolten hatte, ihre Premiere im olympischen Programm – allerdings ohne einen einzigen deutschen Starter. „Man hat verschlafen, dass BMX ein richtiger Sport ist“, sagt Brethauer.

BMX als Leistungssport

Aber man ist aufgewacht beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Der Nachwuchs wurde gefördert, es gibt einen Bundestrainer (Simon Schirle), und am Olympiastützpunkt Stuttgart betreiben die jungen Athleten einen Aufwand, der dem von anderen Spitzensportlern in nichts nachsteht. Der Lohn: Bei den Weltmeisterschaften an diesem Wochenende im englischen Birmingham brauchen die deutschen Fahrer nur noch einige wenige Punkte, um Platz acht in der Nationenwertung abzusichern. Dessen Gegenwert sind zwei Startplätze für die Olympischen Spiele in London. „Damit hätten wir mehr erreicht, als wir in der kurzen Zeit erwartet haben“, sagt Brethauer, der in der aktuellen Weltrangliste auf Platz 19 geführt wird. Und der aber auch sagt: „Wir haben gegenüber anderen Nationen immer noch Rückstand.“ Eben weil die Professionalisierung der Sportart noch nicht abgeschlossen ist.

USA, Australien, Holland, Lettland – in zahlreichen Ländern hat BMX als Leistungssport eine längere Tradition als in Deutschland. Technisch und athletisch ist das deutsche Team mit den Topathleten zwar so gut wie auf Augenhöhe, was aber fehlt ist Routine – die in einem Rennen, in dem acht Fahrer um die beste Linie kämpfen, viel wert sein kann. „Gewinnen zu können und dann tatsächlich zu gewinnen – das ist ein Unterschied“, erklärt Luis Brethauer und sagt über die Konkurrenz: „Ein erfahrener Hase weiß eben immer noch ein bisschen mehr.“

Der Sportsoldat aus Betzingen fühlt sich dagegen immer noch ein bisschen wie ein Frischling. Seit 2009 erst sitzt er als Leistungssportler auf seinem BMX-Rad, hat athletische Grundvoraussetzungen geschaffen, am Material getüftelt, Rennpraxis gesammelt – und auch Selbstvertrauen. Was durchaus hilfreich sein kann im Getümmel zwischen Schanzen und Kurven. „Da geht es mitunter recht brutal zu“, erzählt er, „jeder will eben unter die besten vier und sich so für die nächste Runde qualifizieren.“ Dazu kommt: Erlaubt ist beinahe alles, „zwischen Fairness und Brutalität ist es ein schmaler Grad“, erklärt Brethauer – der aber sagt: „Der saubere Weg führt auch ans Ziel, eine Attacke muss wohl überlegt sein.“

Schürfwunden gehören zum Alltag

Weil auch die eigene Gesundheit auf dem Spiel steht. Schürfwunden gehören zum Alltag, bewusstlos auf der Strecke landete Luis Brethauer auch schon. „Meine schlimmste Verletzung war ein Schien- und Wadenbeinbruch“, sagt er und lächelt, „aber den hab’ ich mir im Schulsport zugezogen.“ Seine Schlussfolgerung daraus: „Also brauche ich beim BMX keine Angst zu haben.“

Die ist auch nicht hilfreich, wenn es weiter vorangehen soll – mit Luis Brethauer, mit Maik Baier (Walheim), dem potenziellen zweiten deutschen Starter, und mit der Disziplin BMX. Die Plattform Olympia soll in London jedenfalls unbedingt genutzt werden, um den Sport in Deutschland bekannter zu machen und am Ende noch professioneller betreiben zu können. Und weil das nur über sportliche Erfolge geht, ist ein Platz unter den besten 16 das erklärte Ziel für London. „Die Saison läuft richtig gut“, sagt Brethauer, der beim letzten Weltcup in der Qualifikation auf Rang sechs gefahren ist, „von einer Medaille bei Olympia zu sprechen wäre aber überzogen.“ So viel Realismus muss schon sein. Ansonsten darf man beim BMX aber auch gern mal ein bisschen verrückt sein. Oder besser: Man muss es sein.

„Ein bisschen Chaot muss man schon sein“, sagt Brethauer, „sonst macht man solch verrückte Sachen wie wir doch gar nicht.“ Im Rennen allerdings „sind auch die Chaoten keine Chaoten mehr“.

Denn wenn sich das Startgatter senkt, wird es ernst.