Kriminaltechniker haben in der Nacht zum 16. Juli des vergangenen Jahres am Gartenzugang zu dem Reihenhaus in Nürtingen-Reudern zahlreiche Spuren gesichert. Foto: 7aktuell/Archiv

Ein 53-Jähriger steht vor Gericht, weil er seine Frau und den Freund seiner Tochter ermordet haben soll. Laut der Anklage und Zeugen soll er sie im Juli vergangenen Jahres in Nürtingen-Reudern erschossen haben, weil sich seine Frau von ihm habe trennen wollen.

Nürtingen - Als am Freitag die Bilder vom Tatort auf die Großleinwand im Saal 6 des Landgerichts Stuttgart projiziert werden, zeigt der 53-jährige Angeklagte erstmals in dem Prozess vor der 9. Schwurgerichtskammer eine Gefühlsregung. Für einige Momente kann er die Tränen nicht mehr unterdrücken angesichts der Fotos, die zwei auf einer Terrasse in Nürtingen-Reudern liegende Menschen zeigen, die er erschossen haben soll. Ihm wird vorgeworfen, am späten Abend des 15. Juli des vergangenen Jahres seine 45-jährige Ehefrau und den 40 Jahre alten Lebensgefährten seiner Tochter mit Kopfschüssen getötet zu haben. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart lautet auf zweifachen heimtückischen Mord aus Wut und gekränkter Ehre, weil sich die Frau nach 28 Jahren Ehe von ihm habe trennen wollen.

Fotos vom Tatort lösen Emotionen aus

Als die Fotos von den zwei in großen Blutlachen liegenden Leichen gezeigt werden, verlässt eine Tochter des Angeklagten schluchzend den Gerichtssaal. Ob den Vater auf der Anklagebank womöglich das Leid der jungen Frau berührt, ist unklar. Es würde zumindest nicht dem Frauenbild des im Kosovo geborenen Mannes entsprechen, das Zeuginnen – Kolleginnen und Freundinnen der erschossenen Frau – am Freitag gezeichnet haben. Sie habe von ihm „nie eine Wertschätzung als Frau erfahren“, sagt eine der beiden Frauen im Zeugenstand aus. Sie sei lediglich diejenige gewesen, die gearbeitet, den Haushalt und die fünf Kinder versorgt habe und jeden Abend habe „die Beine breit“ machen müssen. Ihre Freundin sei beispielsweise froh gewesen, dass ihr nach einem gynäkologischen Eingriff vom Arzt ein mehrwöchiges Sexverbot verordnet worden sei.

Freiheiten seien ihr indes nicht zugestanden worden, sie sei ständig von ihrem Mann kontrolliert und gegängelt worden. Dabei sei es der ebenfalls aus dem Kosovo stammenden Frau vor allem wichtig gewesen, „hier integriert zu sein.“ In den Wochen vor ihrem Tod müsse sich ihr Entschluss verfestigt haben, sich von ihm zu trennen, sagt die Frau aus. Darin habe sie sie auch bestärkt. „Schmeiß ihn raus“, habe sie ihr geraten. Der Sohn hingegen, der seine Mutter ebenfalls herablassend und respektlos behandelt habe, soll das verblendete Ehrgefühl seines Vaters sogar noch angefacht haben. „Wie kannst du die Frau gehen lassen, ein Albaner lässt seine Frau nicht gehen“, sei seine Ansicht gewesen, von der ihr das spätere Opfer erzählt habe. Der Sohn und sein Vater waren am Tatabend nach einem Streit mit der 45-Jährigen und weiteren Familienmitgliedern des Hauses verwiesen worden. Das Auto sei nur kurz angefahren, habe dann wieder gestoppt. Kurz danach fielen die Schüsse aus der Waffe, die der 53-Jährige laut der Anklage aus dem Handschuhfach holte.

Kriminaltechniker entdecken drei Projektile

Davon, dass nicht nur das Verhältnis des Deutsch-Kosovaren zu seiner Frau, sondern auch jenes zu seinen beiden jüngsten Töchtern zerrüttet gewesen sei, berichtet eine weitere Zeugin. Sie kannte die 45-Jährige schon seit 20 Jahren, hatte mit ihr zusammen gearbeitet und war mit ihr befreundet. Schlecht habe diese nie über ihren Mann geredet, erzählt sie, aber in den Monaten vor der Tat habe sie von „großen Problemen“ in ihrer Ehe berichtet.

Diese gipfelten an jenem Sommerabend im vergangenen Juli offensichtlich in der blutigen Tat. Der Angeklagte gibt zu, seine Frau und den Lebenspartner seiner ältesten Tochter erschossen zu haben, bestreitet aber, vorsätzlich gehandelt zu haben. Der 40-Jährige habe seine Frau gegen ihn aufgehetzt, hatte der Angeklagte zum Prozessauftakt ausgesagt. Die Eheleute waren 1990, ein Jahr nach ihrer Hochzeit, als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Ob der 53-Jährige auch auf seine Tochter geschossen hat, ist unklar. Laut einem Kriminaltechniker wurden am Tatort drei Projektile gefunden, die aus der alten Neun-Millimeter-Pistole der Marke Luger abgefeuert worden waren. Zwei trafen offenbar jeweils die beiden Opfer unmittelbar hinter dem Gartentor, ein weiteres habe die Scheibe der Terrassentür durchschlagen. Das decke sich auch mit der Aussage der Töchter, die „einen Schlag wahrgenommen“ hätten. Die Verhandlung wird fortgesetzt.