Hätte die Bluttat von Kandel verhindert werden können? Strafrechtlich gesehen hat die Polizei im Fall der getöteten 15-Jährigen alles richtig gemacht. Fragen und Antworten zu einem Verbrechen, das ganz Deutschland aufwühlt.
Kandel/Stuttgart - Nach dem gewaltsamen Tod eines 15-jährigen Mädchens im rheinland-pfälzischen Kandel sind noch viele Fragen offen. Das Mädchen war am Mittwoch in einem Drogeriemarkt mit einem Messer erstochen worden. Dringend tatverdächtig ist ihr Ex-Freund, ein gleichaltriger Flüchtling aus Afghanistan, der in eine Jugendstrafanstalt gebracht wurde. Wie geht das Strafrecht- und Strafprozessrecht mit solchen Fällen um?
Strafanzeigen von Bürgern
Was geschieht mit dem Täter?
Bei einer Verurteilung müsste der Afghane mit Haft in Deutschland rechnen. Der Sprecher des rheinland-pfälzischen Justizministeriums, Christoph Burmeister, sagt über den aus Afghanistan geflohenen vermutlich 15-Jährigen Tatverdächtigen: „Wenn er in Deutschland wegen einer Tat in Deutschland verurteilt werden würde, dann würde die Strafe auch in Deutschland vollstreckt.“
Wo befindet sich der Afghane derzeit?
Die Ermittlungen laufen – und noch gilt die Unschuldsvermutung. Gegenwärtig sitzt der Beschuldigte in einer Jugendstrafanstalt in Untersuchungshaft. Nach bisherigen Erkenntnissen ist er der Ex-Freund des getöteten Mädchens.
Warum hatten die Eltern des Opfers Anzeige erstattet?
Die Eltern des Opfers hatten bereits Mitte Dezember bei der zuständigen Polizeiinspektion in Wörth Anzeige gegen den jungen Mann wegen Beleidigung, Nötigung und Bedrohung erstattet. Wird eine Person bedroht, genötigt oder beleidigt, kann sie bei der Polizei und/oder der Staatsanwaltschaft Strafanzeige stellen. Dies kann schriftlich und mündlich bei einer Polizeidienststelle oder einer Staatsanwaltschaft geschehen. In einigen Bundesländern, darunter Baden-Württemberg, kann die Anzeige auch online erfolgen. Rechtliche Grundlage für Anzeigen ist das Strafgesetzbuch (StGB) und die Strafprozessordnung (StPO).
Ermittlungen der Polizei
Muss die Polizei bei Strafanzeigen ermitteln?
Ja. Egal, ob es sich um den Geschädigten, einen Angehörigen oder einen Zeugen handelt – jeder kann Strafanzeige erstatten. Wenn eine Strafanzeige gestellt wird, ist die Polizei grundsätzlich verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Solche Verfahren sind eigentlich Sache der Staatsanwaltschaft. Weil die Ermittlungsbehörden aber buchstäblich in Arbeit ersticken, werden Fälle der kleineren und mittleren Kriminalität häufig von den zuständigen Polizeiinspektionen bearbeitet.
Muss ein Beschuldigter bei der Vorladung erscheinen?
Die Polizei muss generell jedem Anfangsverdacht nachgehen. Sie muss potenzielle Beweise sichern, Zeugen befragen und den Beschuldigten vorladen. Einer Vorladung muss dieser allerdings nicht Folge leisten – außer er ist ein Zeuge und muss im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Ermittlung aussagen.
Strafantrag und Antragsdelikt
Was unterscheidet einen Strafantrag von einer Strafanzeige?
Wenn eine Person einen Strafantrag stellt, verlangt sie von den Ermittlungsbehörden, dass eine andere Person wegen einer bestimmten Tat strafrechtlich verfolgt wird. Diese Form der Strafanzeige wird Antragsdelikt genannt. Es bezieht sich auf Straftaten, die grundsätzlich nur dann verfolgt werden, wenn der/die Betroffene die Strafverfolgung selbst beantragt. Der Strafantrag ist die Voraussetzung für eine Strafverfolgung durch Polizei und Staatsanwaltschaft.
Was geschieht nach der Strafanzeige?
Der Umgang der Polizei im Fall der getöteten 15-Jährigen entspricht dem üblichen, im Strafrecht vorgesehenen Prozedere. Ob eine Anzeige von der Polizei an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet oder intensiver bearbeitet wird, entscheidet der zuständige Sachbearbeiter der Polizei. Da die Polizei mit Anzeigen wegen Drohung, Nötigung oder Stalking überlastet ist, muss zwangsläufig nach Dringlichkeit, Schweregrad und Art der Bedrohung entschieden werden.
Wie realistisch ist es, dass die Polizei allen Strafanzeigen nachgeht?
Laut Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (BKA) wurden im Jahr 2016 rund 6,37 Millionen Straftaten erfasst. Da die Polizei nicht bei jeder Drohung – welche eine Straftat darstellt – intensiv ermitteln kann, werden viele Fälle nicht weiter verfolgt.