DNA-Spuren hatten die Angeklagte schwer belastet. Foto: AP

Das Landgericht verurteilt die Frau, die in einem Gewaltexzess ihre Nachbarin erstochen hat. Sie muss für 13 Jahre in Haft.

Sindelfingen - Norbert Winkelmanns Wortwahl ist deutlich: Er nennt die Tat menschenverachtend, eine Hinrichtung, einmal gar „ein Hinmetzeln einer Frau“. Der Richter begründet das Urteil gegen eine verrentete Altenpflegerin, die nach seiner Überzeugung in einem Sindelfinger Hochhaus vor fast genau einem Jahr ihre Nachbarin erstochen hat. Warum, bleibt auch nach diesem Totschlagprozess ein Rätsel. „Ein Motiv konnten wir nicht feststellen“, sagt Winkelmann. „Die Tat ist eine Blackbox.“ So hatte es der bundesweit renommierte psychiatrische Gutachter Peter Winckler formuliert.

Der Staatsanwalt Matthias Schweitzer glaubt, die Täterin habe sich vom Klavierspiel des Opfers gestört gefühlt. 13 Jahre Haft verhängt das Landgericht Stuttgart. Der Verteidiger Florian Mangold will seiner Mandantin die Revision empfehlen. Dem dürfte sie zustimmen. „Das Urteil ist unfair und ungerecht. Ich war es nicht.“ Das ist ihr Schlusswort. Außer dass sie unschuldig sei, hatte sie an den 20 Verhandlungstagen nichts zur Tat gesagt.

Ihre rote Jogginghose hatte die Täterin verraten

DNA-Spuren und die rote Jogginghose der Täterin hatten das Gericht überzeugt, dass sie keineswegs unschuldig ist. Mehr als 2000 rote Fasern fanden die Ermittler an den Kleidern der Toten. Mangold und sein Kollege Ulrich Wellmann hatten argumentiert, ein Hund habe die Fasern von ihrer Mandantin zum Opfer getragen, ein Malteser. „Dann hätte der ganze Hund rot sein müssen“, sagt der Richter, „das war er nicht“. Vielmehr habe die Angeklagte auf ihrem längst wehrlosen Opfer gekniet, während sie mit einem Messer auf Hals, Brust und Gesicht einstach. Zwar hatte die Verurteilte versucht, ihre Tat zu vertuschen, aber nicht gründlich genug. An ihrem Schmuck fanden die Ermittler Spuren geronnenen Blutes, das sich eindeutig dem Opfer zurechnen ließ.

Vieles an diesem Prozess war bemerkenswert, allein schon das Alter von Opfer und Täterin. Erstere starb mit 81 Jahren. Zweitere ist Mitte 60. Ihr genaues Alter ist unklar. Die Frau stammt aus dem Iran. Bei der Passverlängerung sei ihr Geburtsdatum immer wieder verfälscht worden, hatte sie ausgesagt. Mit einer Größe von 1,58 Meter und einem Gewicht von 54 Kilo ist sie das Gegenteil des üblichen Verdächtigen für einen Gewaltexzess. Die Polizei hatte sie erst einige Tage nach der Tat in Verdacht. Nicht zuletzt deswegen, weil die Frau bereits aktenkundig war. Wegen zweier Raubüberfälle wurde sie 2002 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Damals war sie abhängig von Psychopharmaka.

Ärger über einen Internetgeliebten löste die Aggression aus

Der im Namen des Volkes festgestellte Tatablauf liest sich so: Das Opfer hatte nach einem Spaziergang mit dem Hund den Vormittag in seiner Wohnung verbracht. Die Täterin hatte ihre Schwester besucht und Kleinigkeiten eingekauft. Danach hatte sie sich mit einem Mann gestritten, der im Iran lebt, einem Internetgeliebten. Dem Ärger über ihn schreibt das Gericht einen guten Teil der Aggression zu, die eine solche Bluttat erst ermöglichte.

Gegen 12.15 Uhr klingelte die Frau bei ihrer Nachbarin. Ob sie in deren Wohnung eindrang oder eingelassen wurde, ist unklar. Der Flur war vollgestellt, wie die gesamte Wohnung. Auf einem Rollcontainer lag ein Laptop. Die Täterin packte ihr Opfer. Die 81-Jährige stolperte und prallte mit dem Kopf an die Wand. Ihre Nachbarin griff zum Laptop und schlug zweimal zu. Die Treffer hinterließen eine Kerbe in der Stirn und eine gebrochene Nase. Gegen die ersten Messerstiche wehrte sich das Opfer noch. Als die Frau reglos am Boden lag, wechselte die Täterin die Waffe und stach gezielt auf Hals und Brust ein. Als sie glaubte, die 81-Jährige sei tot, schleifte sie den Körper ins Bad und versuchte, die Spuren ihrer Tat zu beseitigen. Das Laptop legte sie ins Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf, nicht ahnend, dass der Abfluss verstopft war.

Der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen

Weil unter der Wohnungstür hindurch Wasser in den Flur floss, riefen die Nachbarn die Feuerwehr, um die Tür aufbrechen zu lassen. Das Geschehen danach werden sie nicht mehr vergessen. Die Feuerwehrleute trugen die blutüberströmte Leiche an eine trockene Stelle des Flurs und begannen sofort mit Wiederbelebungsversuchen – vergeblich. Auch der Notarzt konnte nicht mehr tun, als ihren Tod festzustellen. Die genaue Ursache blieb offen: Verbluten oder Ersticken am eigenen Blut.