Das Vorhaben, Atommeiler besser vor Angriffen aus der Luft zu schützen, gestaltet sich weiterhin zäh: Im Südwesten ist bislang nur Philippsburg mit einer Abwehranlage ausgerüstet.
Stuttgart - Das Vorhaben, sämtliche Atomkraftwerke in Baden-Württemberg besser vor Terrorpiloten zu schützen, verzögert sich. Nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten ist bislang nur am Kernkraftwerk in Philippsburg (Kreis Karlsruhe) eine Anlage zur Blitzvernebelung in Betrieb. Der Atommeiler in Neckarwestheim (Kreis Heilbronn) werde hingegen frühestens in ein paar Jahren mit einer solchen Anlage ausgestattet. Die Stuttgarter Nachrichten berufen sich auf das Landesumweltministerium in Stuttgart. Grund sei eine neue Überprüfung der Robustheit der Kernkraftwerke, die das Bundesumweltministerium in Berlin in Auftrag gegeben habe. „Mit Ergebnissen dieser Untersuchung ist voraussichtlich 2015 zu rechnen“, sagte ein Sprecher des Landesumweltministeriums den StN. Anschließend müssten diese Ergebnisse gegebenenfalls noch auf jedes einzelne Kraftwerk übertragen werden.
Blitzvernebelungsanlagen sollen im Notfall Terrorpiloten daran hindern, das Reaktorgebäude zielgenau zu treffen. Verlässt ein Flugzeug seine vorgegebene Route und steuert auf ein Kernkraftwerk zu, sollen Nebelgranaten gezündet werden und das Kraftwerk innerhalb von 40 Sekunden in dichten Nebel hüllen.
Sowohl in Philippsburg als auch in Neckarwestheim ist noch einer von jeweils zwei Kraftwerksblöcken in Betrieb. Block 2 in Philippsburg kann nach dem von der Politik angeordneten Atomausstieg noch bis 2019 betrieben werden, Block 2 in Neckarwestheim bis 2022. Die Vernebelungsanlage in Philippsburg ist laut Landesumweltministerium seit dem Jahr 2011 einsatzbereit.
Verzögerung wegen technischer und rechtlicher Probleme
Der Schutz für Neckarwestheim verzögert sich nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten auch wegen der Energiewende. Zwar hatte die EnBW auch für dieses Kraftwerk bereits im Jahr 2006 beim Land einen Antrag auf Genehmigung einer Vernebelungsanlage gestellt. Da Block 1 im März 2011 abgeschaltet werden musste, müssen nun aber laut Ministerium die Antragsunterlagen überarbeitet werden. Der Grund seien „aktuelle Planungen zum Rückbau von Block 1 sowie zur Errichtung von Gebäuden zur Reststoffbearbeitung und Abfalllagerung“, sagte ein Sprecher des Ministeriums dem Blatt.
Ursprünglich sollte Philippsburg bereits 2007 eine Vernebelungsanlage erhalten, Neckarwestheim ein Jahr später. Technische und rechtliche Probleme haben die Umsetzung aber immer wieder verzögert.
Die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme, die die Betreiber einen zweistelligen Millionenbetrag pro Kraftwerk kostet, ist umstritten. Mangels besserer oder bezahlbarer Alternativen haben sich nach den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2001 in New York die Energieversorger in Deutschland dennoch gemeinsam mit den Behörden auf diese Art von Schutz verständigt. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) hatte damals in einer Studie festgestellt, dass die meisten deutschen Atomkraftwerke dem Absturz eines Verkehrsflugzeuges nicht standhalten würden. Philippsburg war eines der Kraftwerke, das dabei als besonders verletzlich eingestuft wurde, Neckarwestheim hingegen gilt aufgrund der Lage des Kraftwerks in einem Steinbruch als besser geschützt.
Deutschlandweit sind noch an neun Standorten Atomreaktoren in Betrieb
Laut Bundesumweltministerium soll die GRS die mehr als zehn Jahre alte Studie zu Flugzeugabstürzen nun auf den neuesten Stand bringen. „Die Untersuchungen haben Anfang des Jahres begonnen“, sagte ein Ministeriumssprecher Auslöser für den Auftrag war das Atomunglück im japanischen Fukushima im Jahr 2011. Danach wurden alle deutschen Kernkraftwerke noch mal einer umfassenden Sicherheitsüberprüfung unterzogen, das Thema „Absturz von Verkehrsflugzeugen“ habe aber die mit dieser Aufgabe betraute Arbeitsgruppe aufgrund der zeitlichen Vorgaben nicht berücksichtigen können, heißt es. Dies wird nun nachgeholt.
Laut Landesumweltministerium wird diese vertiefte Untersuchung „anhand von realistischen Modellrechnungen an Referenzanlagen“ vorgenommen. Das Bundesumweltministerium und die Gesellschaft für Reaktorsicherheit wollten sich nicht dazu äußern, was das konkret heißt. Dies sei Verschlusssache, hieß es. Auch der Karlsruher Energiekonzern EnBW, der die Atomkraftwerke im Land betreibt, schweigt wie gewohnt bei diesem Thema. „Zu Sicherungseinrichtungen machen wir keine Aussagen in der Öffentlichkeit, da solche Details geeignet sein könnten, die Wirksamkeit der Maßnahmen zu beeinträchtigen“, erklärte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage.
Deutschlandweit sind noch an neun Standorten Atomreaktoren in Betrieb. Reaktoren, die bereits länger stillgelegt sind wie etwa das Kraftwerk in Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis) , bekommen keine Vernebelungsanlage.