Hendrik Leßnerkraus (links) trägt als Torwart besondere Verantwortung für seine Vordermänner, Mulgheta Russom kann den MTV Stuttgart nur verbal unterst Foto: Eva Herschmann

Der 15-jährige Hendrik Leßnerkraus aus Oeffingen steht beim Turnier im Soccer-Olymp im Tor des Bundesligisten MTV Stuttgart. Sein Teamgefährte Mulgheta Russom, 39, kann die Mannschaft nur von der Bande aus anfeuern.

Schmiden - Es passierte am 23. November im Training des Bundesligisten MTV Stuttgart. Bei einem Pressschlag wurde Mulgheta Russom hart getroffen. „Jeder hat es krachen gehört“, sagt der 39-Jährige aus der Blindenfußball-Mannschaft. Die Diagnose: Schienbeinbruch. Seit der Operation hat er eine 34 Zentimeter lange Schraube im Knochen. Beim Blindenfußball-Cup an diesem Samstag, 11 Uhr, im Soccer-Olymp in Schmiden muss sich Mulgheta Russom folglich darauf beschränken, die MTV-Feldspieler und den Torwart Hendrik Leßnerkraus anzufeuern. Der 15-Jährige aus Oeffingen ist der Einzige im Team, der sehen kann – und der Jüngste zwischen den Pfosten im Turnier, bei dem der MTV Stuttgart, das Nachwuchsteam MTV Youngsters, Viktoria Berlin und der SC Schiltigheim aus Frankreich antreten.

Seit 2006 ist er beim MTV und mittlerweile Kapitän des Verbunds

„Früher haben wir die Stuttgart Open ausgerichtet, mit sechs Teams, drei davon aus dem Ausland“, sagt Mulgheta Russom, der im Alter von sechs Jahren mit seinen Eltern aus Eritrea nach Deutschland kam. Der Blindenfußball-Cup im Soccer-Olymp gilt als Versuch, wieder ein regelmäßiges Ereignis zu etablieren, bei dem sich alles um den Ball mit Rasseln im Inneren dreht. Der Slogan des Turniers lautet: „Hier kicken die Götter von morgen.“ Die Nachwuchsförderung liegt Mulgheta Russom am Herzen, denn er liebt seinen Sport. Bevor er 1998 nach einem Verkehrsunfall erblindete, spielte er bei der TSG Tübingen in der Landesliga. Seit 2006 ist er beim MTV und mittlerweile Kapitän des Verbunds, mit dem er in der Blindenfußball-Bundesliga fünfmal deutscher Meister wurde, zuletzt 2014.

In diesem Jahr schwächelte der Rekordmeister aus Stuttgart allerdings und landete auf dem sechsten Rang. Den Titel gewann der FC St. Pauli. Es sei Zeit, sich um Talente zu kümmern, sagt Mulgheta Russom, der im August mit der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Berlin im Einsatz war. „Leider haben wir mit dem sechsten Platz die Qualifikation für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr in Spanien verpasst.“

Hendrik Leßnerkraus ist zwar der jüngste Torwart in der Blindenfußball-Bundesliga, aber nicht der Jüngste überhaupt

Hendrik Leßnerkraus ist erst seit ein paar Monaten beim MTV Stuttgart. Davor stand der Zehntklässler des Gustav-Stresemann-Gymnasiums bei der B-Jugend des TV Oeffingen im Tor, bei dem er seit der E-Jugend gespielt hatte. Doch auf dem Tennwengert fühlte er sich nicht mehr richtig wohl. Jetzt ist er Torwart der B-Jugend des MTV in der Bezirksliga und sehender Schlussmann bei den Blinden in der Bundesliga. Die Unterschiede sind erstaunlich: Da die Spieler beim Blindenfußball aus kürzerer Distanz schießen, bleibt ihm weniger Zeit zum Reagieren, vor allem aber hat er viel mehr Verantwortung. „Ich stelle die Abwehr und bringe bei Freistößen den Schützen in die richtige Position“, sagt Hendrik Leßnerkraus. „Er ist unser Auge, was er sagt, gilt, und mittlerweile ist er auch laut genug. Anfangs habe ich ihm öfter sagen müssen: Schrei mich an“, sagt Mulgheta Russom.

Das jugendliche Alter des Oeffingers ist nichts Außergewöhnliches. Hendrik Leßnerkraus ist zwar der jüngste Torwart in der Blindenfußball-Bundesliga, aber nicht der Jüngste überhaupt. „Die Spieler dort sind zwischen 13 Jahren und Mitte 40“, sagt Mulgheta Russom, der im März wieder ins Training einsteigen will. Deutschlands erstem blinden Fitnesstrainer bleibt, wenn er wieder fit ist, also noch genügend Zeit, dem rasselnden Ball zu folgen. Vorerst muss er sich allerdings mit einem Platz an der Bande begnügen – so auch an diesem Samstag.