Vorstellungsgespräche in absoluter Dunkelheit, dieses exotische Konzept testeten Firmen auf einer Jobmesse in Köln. Nur mit der Stimme punkten, bringt das etwas und taugt das Konzept auch für den Alltag?
Köln - „Hallo, komm’ rein. Wenn du den Stuhl gefunden hast, können wir anfangen.“ Vorsichtig tastet sich Jonas an einem Metallgeländer entlang durch die Dunkelheit. Am Ende steht ein Drehstuhl, Jonas setzt sich. Jetzt kann das Vorstellungsgespräch losgehen. Mit wem der 25-Jährige spricht, weiß er aber nicht. Sein Gegenüber sieht er auch nicht. Genauer gesagt, er sieht gar nichts.
Rund 250 Unternehmen wie Kaufland, Obi oder Ford präsentieren sich auf dem „Absolventenkongress“ in Köln potenziellen Bewerbern. Teil der Jobmesse ist auch das sogenannte Blind Recruiting. Das testet der Discounter Aldi Süd. Bewerber und Personaler sitzen sich dabei in einer Blackbox in völliger Dunkelheit gegenüber.
Man weiß nicht, wer einem gegenüber sitzt
„Es ist spannend“, erzählt Jonas. „Man konzentriert sich nur auf die Stimme.“ Er sei auch gar nicht aufgeregt gewesen. Das könne aber auch daran liegen, dass er nicht wusste, wer ihm gegenüber sitzt.
„Wir wollen ein Gespräch ohne Vorurteile - weder vonseiten der Bewerber noch vonseiten des Unternehmens“, erklärt Sabine Grobara, die das Konzept entwickelt hat. Im Alltag setze Aldi aber nicht auf Anonymisierung - also auf Bewerbungen ohne Foto, Name und Geschlecht. Die Blackbox sei erstmal nur ein Experiment.
Dabei können anonymisierte Bewerbungen durchaus dabei helfen, Ungleichheiten bei der Jobsuche abzubauen. Laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes steigen vor allem für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund dadurch nachweislich die Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
Bewerber offen für anonymes Verfahren
Einen breiten Trend zur anonymen Bewerbung gibt es laut einer Studie der Universität Bamberg aber nicht. „Die Ergebnisse zeigen, dass eher eine Minderheit sowohl aus Unternehmens- als auch aus Kandidatensicht die anonyme Bewerbung momentan als wichtig erachtet“, heißt es in dem Papier, das im Auftrag des Job-Portals „monster.de“ erstellt wurde.
Tendenziell zeigten sich dabei eher die Bewerber offen für Bewerbungen ohne Fotos und Namen. Für 27,5 Prozent der 3400 Befragten habe die Methode immerhin mehr Vor- als Nachteile, heißt es in der Studie. Zum Vergleich: Auf Seite der rund 250 Unternehmen, die teilnahmen, sind es nur 5,7 Prozent.
Anonymisierung bringt Vorteile
Eine zunehmende Anonymisierung könne positive Effekte haben, meint auch Frank Schröder, Bewerbungsexperte von der Europäischen Fachhochschule in Brühl. „Menschen treffen Entscheidungen immer auch unter emotionalen Gesichtspunkten“, erklärt Schröder. „Da man sich davon nie ganz frei machen kann, kann Anonymität hilfreich sein, um Objektivität zu fördern.“
Ein komplett anonymes Gespräch wie in der Blackbox hält Schröder aber nur für begrenzt sinnvoll. „Diese Art des Bewerbungsgesprächs kann ich mir, ähnlich eines Speed-Datings, sehr gut für ein erstes Kennenlernen vorstellen“, sagt der Experte. Man komme aber schnell an einen Punkt, an dem es mehr zu bewerten gebe als nur das gesprochene Wort. „Kurz gesagt: Es ist nicht nur entscheidend, was gesagt wird, sondern auch wie.“
Das Fazit
Anonymisierung, aber nicht zu viel: So könnte auch das Fazit des Experiments in Köln lauten. Zwar erhalten die Bewerber nach ihrem Gespräch einen Code, mit dem sie sich online als Interessenten vormerken können. Das verschaffe ihnen einen kleinen Vorteil gegenüber anderen Bewerbern, sagt Aldi-Managerin Grobara. Eine inhaltliche Auswertung der Gespräche finde aber nicht statt.
Bewerber Jonas will sowieso erst mal seinen Master-Abschluss machen. Für das nächste Bewerbungsgespräch bleibt ihm also noch ein wenig Zeit. Das dürfte wahrscheinlich dann mit etwas mehr Tageslicht stattfinden - und vielleicht auch mit etwas mehr Nervosität.