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Im Kino mit Alicia Amatriain: Was hat „Black Swan“ mit dem Alltag einer Tänzerin zu tun.

Stuttgart - Als Ballerina, für die eine Traumrolle zum Albtraum wird, beeindruckt Natalie Portman derzeit in Darren Aronofskys Kinoerfolg "Black Swan". Wie viel Wahres über das Leben einer Tänzerin steckt in diesem Psychothriller? Wir haben uns mit Alicia Amatriain vom Stuttgarter Ballett darüber unterhalten.

"Nach der heftigen Kritik von John Neumeier bin ich doch sehr gespannt auf diesen Film", sagt Alicia Amatriain, als ich sie im Kinofoyer treffe. Es ist viel los; die Tänzerin des Stuttgarter Balletts, auf den Bühnen in aller Welt gefeiert, steht unerkannt an der Seite. Für viele Menschen im vollen Saal, da sind wir beide uns einig, wird der Film "Black Swan" der erste Kontakt mit der Welt des Balletts sein.

Ein Einblick, der schockieren muss, so interpretiere ich Alicia Amatriains Aufseufzen am Filmende. Dann sagt sie: "Hilfe, jetzt denken alle Menschen, wir Tänzer seien totale Psychopathen!" Dass "Black Swan" vorgibt, hinter die Kulissen einer "Schwanensee"-Inszenierung zu blicken, aber ein verzerrtes Bild dieser Welt und der Menschen in ihr zeichnet, hinterlässt in Alicia Amatriain erst einmal ein Gefühl zwischen Empörung und Enttäuschung.

Ballett, das sei doch langweilig und schwul, verhandelt die Filmballerina Nina mit zwei Kneipenbekanntschaften gängige Klischees. Und eine Kunst, die ihre Stars körperlich und seelisch korrumpiert? "Was dieser Film über meinem Beruf aussagt, ist total falsch", sagt Alicia Amatriain. "Ja, wir arbeiten hart, aber wir haben großen Spaß an unserer Arbeit. Ohne den würde ich die ganzen Anstrengungen und Entbehrungen gar nicht auf mich nehmen. Sicher ist Erfolg auf der Ballettbühne nicht ohne Schmerzen zu haben, und ich kenne einige Kollegen, die zu Tabletten greifen. Aber das ist bei weitem nicht so krass, wie es auf der Leinwand dargestellt wird."

Bei aller Kritik: Gut unterhalten hat sie "Black Swan". "Das ist großes Kino und am Ende ein echter Horrorthriller", sagt Alicia Amatriain. Nur schade, dass er sein Thema ausgerechnet am Beispiel Ballett formuliere. "Die Angst zu versagen, wie sie Nina krankhaft durchlebt, gibt es doch in allen Lebensbereichen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man über den Sport dazu treffendere Aussagen machen könnte, weil es da viel stärker um Konkurrenz geht."

Der Wettkampf, den der Ballettdirektor im Film unter seinen Solistinnen anheizt, ist für Alicia Amatriain jedenfalls unvorstellbar. "Beim Stuttgarter Ballett gibt es nicht den einen Star, hier ist die Kompanie der Star. Sicher gibt es da Konkurrenz, obwohl ich es mehr als ein Gefühl von Eifersucht beschreiben würde: Warum wird jemand besetzt und ich nicht? Aber gibt es diese Enttäuschung nicht in jedem Beruf? Jeder will schließlich seine Sache besonders und besonders gut machen. Wenn man nicht an sich selber glaubt, funktioniert das Ganze doch nicht."

Dennoch ist "Schwanensee" als Symbol für eine makellose Kunst ein gutes Beispiel, um über das Streben nach Perfektion und das Scheitern daran nachzudenken. Auch für Alicia Amatriain war die Doppelrolle des weißen und schwarzen Schwans ein Traum, Albträume hatte sie deswegen aber nicht. "Natürlich will man immer die Perfektion haben - und erreicht sie doch nie. Ich habe gelernt, mich in Etappen auf dieses Ziel hinzubewegen." Gefallen hat Alicia Amatriain die Idee von "Black Swan", dass es auf der Bühne nicht allein um Perfektion geht, sondern auch um Hingabe, um die Kunst, sich fallen zu lassen. "Viele Tänzer sind so zurückhaltend wie Nina, aber so wagt man nichts Neues. Gehe ich kein Risiko ein, sieht alles immer gleich aus. Das fände ich langweilig."

Trotzdem weiß Alicia Amatriain, wie schwierig es ist, den beiden Facetten des berühmten Schwans - der fragilen Unschuld, der powernden Verführung - gerecht zu werden. "Es gibt Kompanien, die diese Rolle auf zwei Tänzerinnen verteilen." Der blutige Weg, den Nina im Film gehen muss, löst bei der Stuttgarter Starsolistin vor allem eins aus - Kopfschütteln. Sich stundenlang bis in die Nacht im Ballettsaal zu schinden, dann daheim weiterüben? "Ich kenne keine Ballerina, die zu Hause freiwillig die Spitzenschuhe anzieht."

Sich vom Choreografen verhören und verführen zu lassen? "Dieser Charakter ist wirklich unglaubwürdig und nervig. Nie würde ich es hinnehmen, dass jemand so mit mir spricht. Es gibt Rollen wie die der Lulu, die viel mit Sex zu tun haben. Aber Christian Spuck hat bei der Erarbeitung dieses Balletts nicht die ganze Zeit mit mir über Sex gesprochen. In ,Schwanensee' geht es nicht um Sex, sondern um Verführung. Da bringt der Film einiges durcheinander. Und das in den USA, da darf ein Ballettdirektor doch nicht einmal einer Tänzerin sagen, dass sie zu dick ist."

Die folterähnlichen Übergriffe auf den Körper der Tänzerin, zum Beispiel durch die Physiotherapeutin? "Man muss lernen, Nein zu sagen. Es ist mein Körper, und ich will noch viele Jahre mit ihm tanzen." Die Mama, die sich einmischt? "Wir Tänzer müssen für unsere Ausbildung doch schon als Kinder weg von zu Hause. Niemand hat eine Mama in der Nähe, bei der er sich ausweinen könnte."

Echten Respekt zollt Alicia Amatriain der Leistung von Natalie Portman. "Hut ab, man sieht ihrem Körper an, dass sie sich hart vorbereitet hat. Ihre Art zu laufen, zu stehen, sich zu halten spiegelt, wie sie die Welt einer Ballerina einverleibt hat. Aber ich hätte sie nie als Schwan besetzt. Sie hat zu kurze Arme, um dieses vogelhafte Schwingen glaubhaft zu machen." Und noch etwas nimmt Alicia Amatriain "Black Swan" nicht ab: "Der Film macht den Fehler, dass er die Schönheit des Tanzes mit der Schönheit seiner Interpretinnen verwechselt. Aber eine Tänzerin muss in Wirklichkeit nicht so gut aussehen. Die Ästhetik des Tanzes macht eine Frau auf der Bühne schön, nicht umgekehrt."