Tristesse bei der SPD: Nach dem schlechten Wahlergebnis bleibt dem gescheiterten Kanzlerkandidaten Martin Schulz nur, seine Partei in die Opposition zu führen. Foto: AP

Der SPD entscheidet sich nach dem Debakel gegen eine Neuauflage der großen Koalition. Parteichef Martin Schulz wird außerdem nicht Fraktionsvorsitzender.

Berlin - Es ist 18 Uhr, Grabesruhe im Willy-Brandt-Haus, bald fließen erste Tränen. Rund 20 Prozent für die SPD, noch einmal weniger als bei der bis zu diesem Abend brutalsten Talfahrt 2009, als man bei 23 Prozent landete. Nichts an diesem Abend gibt Anlass zur Hoffnungoder wenigstens zu ein wenig Schadenfreude. Nicht die miesen Zahlen bei der Union, die ja nur ein weiteres Zeichen der Erosion der politischen Mitte in Deutschland sind. Und erst recht nicht der Balken, der bei der AfD in die Höhe schießt.

Am Nachmittag, als die ersten internen Zahlen der Institute die Katastrophe ankündigten, hatte es bereits eine Schaltkonferenz der erweiterten Parteiführung im Willy-Brandt-Haus gegeben, in der Schulz gefasst wirkte und sofort die Losung ausgab: Die große Koalition ist abgewählt, der Weg der SPD führe in die Opposition. Etwas anderes wäre der Partei auch nicht mehr vermittelbar gewesen. Alle Personalfragen, so hieß es wenig später, seien intern von Schulz offen gelassen worden. Auf Widerspruch stieß er dem Vernehmen nach nicht. Bis Mittwoch sei Zeit, den Fraktionsvorsitz zu vergeben, er selbst werde den Fraktionsvorsitz nicht anstreben. Jetzt nur nichts überstürzen, lautet die oberste Maxime, keine Selbstzerfleischung, den Zerfall vermeiden. Der Name von Andrea Nahles fällt in hoher Frequenz. Sie gilt zumindest als Favoriten auf das Amt der Fraktionschefin. Vielleicht auch für mehr. Ein frustrierter Landesminister mit SPD-Parteibuch kann sich jedenfalls beim besten Willen nicht vorstellen, dass es mit Martin Schulz an der Spitze weitergehen könne.

So hat Deutschland gewählt

Als Schulz im Willy-Brandt-Haus gegen 18.30 Uhr vor die Gäste und Mitarbeiter tritt, brandet zum ersten Mal trotziger Beifall auf. Den Genossen hilft er mit einer emotionalen Ansprache auf die Beine, schnell kommt er zu den entscheidenden beiden Punkten: seiner persönlicher Zukunft und der Frage, ob es denn noch eine Fortsetzung der großen Koalition geben könne. In den kommenden Wochen und Monaten sei es nun Aufgabe der Partei, „sich grundsätzlich neu aufzustellen.“

Schulz: Zusammenarbeit mit CDU und CSU endet

Er sehe es, gerade eben erst ins Amt gewählt, als seine „Aufgabe“ und seine „Verpflichtung, diesen Prozess als Vorsitzender zu gestalten.“ Er will es also weiter wissen, wenigstens bis zum Parteitag im Dezember. Eine Voraussetzung, sein persönliches politisches Überleben zumindest möglich zu machen, schafft er gleich in der anschließende Passage: „Mit dem heutigen Abend endet zugleich unsere Zusammenarbeit mit der CDU und der CSU.“ Er habe deshalb der Parteiführung empfohlen, „dass die SPD heute Abend in die Opposition“ gehen werde. Das ist der Moment, in dem in der SPD-Zentrale Jubel ausbricht, als habe Schulz die Ketten gelöst, an denen sich die Partei so wund gescheuert hat. Schulz lacht und winkt aufmunternd seinem bis zur Erschöpfung rackernden Team zu, reckt die Daumen in die Höhe. Da steht ein Mann, der nicht aufgegeben hat, der weitermachen will – wenn ihn die Partei lässt.

Am Freitag und Samstag hatte Martin Schulz noch zweimal abtauchen können in eine völlig andere Welt, fernab aller Demoskopie. In ein Umfeld, das ihm bis zuletzt ein völlig anderes Gefühl von dem vermittelte, was ihm die Umfragen an Üblem verhießen. Trotziger Jubel schwappte ihm da in Berlin auf dem Gendarmenmarkt und zuletzt in Aachen zwischen Dom und Rathaus entgegen. Tausende Anhänger hatten ihren Martin noch einmal gefeiert, und der SPD-Kanzlerkandidat hatte den Begeisterten ihre Treue zurückgezahlt mit leidenschaftlichen Reden, in denen er nicht eine Sekunde erkennen ließ, wie es ihn ihm zu diesem Zeitpunkt schon aussehen musste.

Schulz muss in der Partei kürzer treten

Denn natürlich hatte da im Hintergrund schon längst ein ganz anderes Spiel begonnen, bewegte viele Spitzengenossen, inklusive ihm selbst bereits die Frage, wie umzugehen sei mit dieser historischen Schlappe, der dritten Klatsche der SPD tief unten im 20-Prozent-Loch in Folge. Schon da war klar: diesmal kommt die SPD nicht umhin, sich neu zu erfinden. Jünger soll die SPD werden, und weiblicher. Weshalb auch die Namen Andrea Nahles (47) und Manuela Schwesig (43) so hoch gehandelt werden.

Spätestens am Wahlnachmittag erkannte Schulz, dass er zumindest nicht mehr in der Position war, nach der ganzen verbliebenen Macht zu greifen. Sigmar Gabriel, so hörte man aus verlässlichen Quellen, hatte ihm offenbar zuvor geraten, noch am Wahlabend den Fraktionsvorsitz für sich zu beanspruchen – so wie es Frank-Walter Steinmeier nach seiner Pleite 2009 getan hatte. Dumm nur, dass dies in der Partei nicht ungehört blieb. Die verbliebenen Machtzentren um Andrea Nahles, Manuela Schwesig und Olaf Scholz setzten alles daran, Schulz vor einem solchen Schritt zu warnen – mit Erfolg. Schulz war klug genug zu erkennen, dass er kürzer treten musste – wenn er überhaupt noch eine Chance haben will.