Oliver Harney, der eine Kinderarztpraxis in Bissingen führt, gibt sein Wissen zur Kindergesundheit in einem Elternratgeber weiter. Foto: Werner Kuhnle

Eltern sind bei der Kindergesundheit oft unsicher. Im Interview antwortet Oliver Harney, Kinderarzt in Bissingen (Kreis Ludwigsburg), auf die wichtigsten Fragen zum Thema.

Harmloser Infekt oder ernstes gesundheitliches Problem: Mit verunsicherten Eltern hat Dr. Oliver Harney, Kinder- und Jugendarzt in Bissingen, in seinem Berufsalltag täglich zu tun. „Müssen wir damit zum Arzt?“ – keine Frage wird nach Erfahrung des 57-Jährigen häufiger gestellt. Um Eltern zu mehr Gelassenheit zu verhelfen und Orientierung im Dschungel ungefilterter Informationen zu geben, hat er einen Ratgeber zur Kindergesundheit geschrieben. Im Interview fasst er das Wichtigste zusammen, was Eltern zum Thema wissen sollten:

 

Wann müssen Eltern denn nun mit ihrem Kind zum Arzt?

Zum Beispiel bei Atemnot. Oder wenn Säuglinge hohes Fieber haben. Generell gilt: Wenn Eltern das Gefühl haben, sie sollten mit ihrem Kind dorthin. Die meisten Eltern können sich meist gut auf ihren Instinkt verlassen. Bei normalen Infekten kann man oft erst einmal abwarten.

Welche Sorge hören Sie in Ihrer Praxis besonders oft?

Jeden Tag haben wir es mit Eltern zu tun, die sich sorgen, weil ihr Kind oft krank ist. Sie haben die Sorge, dass etwas Angeborenes, also ein Immundefekt oder ähnliches, dahintersteckt. Das verstehe ich. Aber solche Fälle sind extrem selten. Auch Asthma ist nicht so häufig. In der Erkältungssaison ist es normal, dass Kinder jede zweite bis dritte Woche erkältet sind.

Was kann ich denn tun, um das Immunsystems des Nachwuchses zu stärken?

Um es auf eine einfache Formel zu bringen: ausgewogene Mischkost. Ausreichend Obst und Gemüse sorgen für Vitamine. Was viele unterschätzen: an die frische Luft gehen, sich draußen bewegen. Das hält gesund und ist auch bei Fieber ratsam.

Sollten Eltern ihren fiebernden Kindern Medikamente geben?

Das hängt vom Alter ab. Schulkindern darf man das Fiebern ruhig etwas zumuten. Das hat schließlich eine Bewandtnis für den Organismus. Je kleiner die Kinder sind und je stärker vom Fieber beeinträchtigt, desto schneller darf man ein fiebersenkendes Mittel geben. Auf die Höhe der Temperatur kommt es weniger an.

Was gehört darüber hinaus in die Hausapotheke?

Man braucht für Kinder in der Regel nicht viel. Neben einem fiebersenkenden Schmerzmittel empfehle ich nur noch Nasentropfen. Alles andere ist meist nicht nötig, auch wenn viele Eltern das glauben. Wer kranke Kinder umsorgt, zum Beispiel ihnen ihr Lieblingsessen zubereitet oder einen kalten Waschlappen auf die Stirn legt, tut meist schon genug. Hustensaft hat dagegen medizinisch höchstens einen Placebo-Effekt.

Wann ein Kind zum Arzt muss, darüber klärt der neue Ratgeber für Eltern auf. Foto: dpa

Gegen welche anderen hartnäckigen Mythen kämpfen Sie an?

Dass Kinder krank werden, weil sie nicht warm genug angezogen wurden oder keine Socken getragen haben. Was mich umtreibt, ist auch, dass mit Säuglingen in den ersten Wochen nicht nach draußen gegangen wird. Aber es gibt noch etliche andere Mythen.

Wann dürfen Kinder aus ärztlicher Sicht wieder zur Tagesmutter oder in die Kita?

Die Einrichtungen haben in der Regel ihre eigenen Hausregeln. Zum Beispiel ein Tag fieberfrei oder zwei Tage ohne Durchfall. Aber wenn ein Kind noch etwas Husten oder Schnupfen hat, kann es aus meiner Sicht wieder in den Kindergarten gehen. Das tut ihm meistens gut. In den Gruppen gibt es fast immer erkältete Kinder.

Welche Diagnosen stellen Sie in den 23 Jahren als niedergelassener Arzt mittlerweile öfter als früher?

Die Förderung zu Hause wird mehr vernachlässigt. Ich hatte schon ein Kind in der Praxis, das mit fünf Jahren noch nie richtig gemalt hat. Das müssen Kinder lernen, denn es fällt nicht vom Himmel. Wir haben auch viele Patienten mit Sprachauffälligkeiten. Es wird zu wenig gelesen. Zunehmend fehlt außerdem die Fähigkeit zu schwimmen. Darüber hinaus haben Übergewicht , Allergien und ein Mangel an Konzentrationsfähigkeit bei Kindern zugenommen. Und seit der Coronapandemie sind einige Kinder dafür anfälliger, dass eine Bronchitis oder andere Infekte länger andauern.

Im Handel und im Netz

Neu
Das Sachbuch „Müssen wir damit zum Arzt?“ von Oliver Harney, mit illustrierten Notizseiten von Nadine Roßa, ist im Verlag Beltz erschienen. Es ist für 25 Euro im Handel erhältlich.

Blog
Harney bloggt seit dem Jahr 2006 als „Kinderdok“ auf der Website kinderdok.blog über Themen aus dem Bereich der Pädiatrie. Dafür erhielt er 2017 sogar den Goldenen-Blogger-Preis für sein Engagement.