Ein Bild aus besseren Zeiten: Die Birckhe-Bronna Hexa bei einem Umzug in Oberkochen im Jahr 2013. Foto: Archiv Judith A. Sägesser

Dass die Fasnetsaison Corona zum Opfer fällt, ist für die Birckhe-Bronna Hexa aus Birkach bitter, denn sie hätten in diesem Jahr ihren ersten runden Geburtstag gefeiert. Zur Zunft gehört auch eine Hexe mit wenig Sehkraft. Sie erzählt, was ihr gerade fehlt.

Birkach - Es sind gut zweieinhalb Minuten, in denen sie den Corona-Alltag vergessen, in denen sie einfach nur Hexen sind – und etwas Gemeinsames auf die Beine stellen. Wenn auch jeder für sich zu Hause. Entstanden ist ein Videoclip, in dem die Birckhe-Bronna Hexa zum „Jerusalema“-Song von Master KG schwofen. Bei einer Hexe macht sogar die schwarze Katze mit. Mit dem Lied, das mit solchen Tanzeinlagen aus aller Welt im Internet viral gegangen ist, haben die Birkacher Hexen dieses Jahr ihr Häs abgestaubt. Das bedeutet: Sie haben die Fasnetsaison, in der sie in Hexenkluft und Maske schlüpfen dürfen, eingeläutet. Mit der Besonderheit, dass es gar nichts einzuläuten gibt. Wegen Corona.

Jetzt darf sie wieder Sampson sein

Auch wenn die Umzüge abgeblasen sind, ist Sandra Kolb gottfroh, dass sie jetzt wieder Sampson sein darf, Sampson die Hexe. Das ist während der Fasnet ihr zweites Ich. Der 28-Jährigen ist anzumerken, wie arg sie die Zwangspause runterzieht, sie gilt ja längst nicht nur für die Umzüge, bereits im vergangenen Jahr sind etliche Treffen ausgefallen und damit Gelegenheiten, die anderen zu sehen, zu üben, Kostüme zu flicken, zu quatschen. „Die Hexen sind meine Familie“, sagt Sandra Kolb. Und die fehlt ihr jetzt sehr. Das hat auch damit zu tun, dass im vergangenen Jahr eine Hexe gestorben ist. „Das war mein bester Kumpel“, sagt die junge Frau.

Dass sie sich bei den Birckhe-Bronna Hexa geborgen fühlt, ist im Fall der 28-jährigen Birkacherin besonders wichtig. Sandra Kolb ist seheingeschränkt. Von Geburt an sieht sie auf dem linken Auge nur Hell und Dunkel, auf dem rechten hat sie drei Prozent der normalen Sehkraft. Blind sei sie nicht, erklärt die junge Frau, aber sie brauche Orientierungshilfen, wenn die Zunft bei Umzügen mitläuft. Bisher war ihr Platz deshalb gleich hinter dem Bollerwagen. Die Maske schränkt ihr Sichtfeld noch weiter ein, aber sie habe sich stets sicher gefühlt, sagt sie. „Die Schuhsohlen sind so genial dünn, dass man sofort merkt, wenn der Boden uneben wird“, sagt Sandra Kolb. Einen Blindenstock hat sie bei Umzügen nicht dabei, sie hat ja den Besen. Am Oberarm und dem Maskentuch ist sie aber mit den bekannten drei schwarzen Punkten auf gelbem Untergrund gekennzeichnet. „Dazu bin ich verpflichtet“, sagt sie.

Sandra Kolb hat bei den Birckhe-Bronna-Hexa Seelenverwandte gefunden. Sie arbeitet in der Hauswirtschaft im Behindertenzentrum in Birkach und sie hatte schon Feierabend, als sich die Hexen am schmotzigen Doschdig angekündigt hatten. Eigentlich wollte sie heim, aber sie habe sich überreden lassen, zu bleiben. So kam eines zum anderen. Im Januar 2019 wurde sie getauft. Allein bei der Erinnerung daran wird Sandra Kolbs Stimme brüchig. Sie habe damals geweint. Was es bedeutet, endlich Hexe sein zu dürfen, „das kann man nicht erklären, das muss man fühlen. Für mich ist das ein großes Freiheitsgefühl“. Umso schlimmer, dass diese Fasnet ein Totalausfall ist. Ausgerechnet dieses Jahr.

Acht Täuflinge warten dieses Jahr

Die Birckhe-Bronna Hexa haben am 11. Januar 2021 nämlich ihr Zehnjähriges gefeiert. Leider nur mit Abstand in einer Videokonferenz. „Das ist schon bitter“, sagt Fay Duffield-Schwarz, die Birkacher Zunftmeisterin. Sie versuche, das Gemeinschaftsgefühl trotzdem am Leben zu halten. Die Zunft hat vor zehn Jahren mit elf Hexen angefangen; nach der jüngsten Taufe, die für Anfang Januar 2021 geplant gewesen war, wären sie 34 gewesen – acht Täuflinge warten auf Einlass in den Hexenzirkel, so viele auf einmal wie noch nie. Weitere Besonderheit: Drei der Anwärter sind im Alter zwischen ein und drei Jahren. „Richtiger Narrensamen“, sagt Fay Duffield-Schwarz. Sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Neuen noch vor Aschermittwoch getauft werden können. „Ich setze alles dran.“ Versprechen kann sie es nicht.

Mit Hoffnung hat auch der „Jerusalema“-Song zu tun. Er hat in der schweren Corona-Zeit über den ganzen Globus ein Gemeinschaftsgefühl unter Millionen von Menschen geweckt. Ein Gemeinschaftsgefühl, nach dem sich auch die Hexen in Birkach sehnen. Und von dem sie immer dann zehren können, wenn sie ihren zweieinhalbminütigen Video-Clip abspielen. Dann träumen sie sich in die Normalität.