Der Bionic Handling Assistent ist dem Rüssel eines Elefanten nachempfunden. Er wurde 2010 mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet. Foto: Festo

Die Biologin Nina Gaißert überträgt die Geheimnisse der Tierwelt auf Roboter. Ihr Team machte das Familienunternehmen Festo zu internationalen Popstars der Robotik.

Esslingen am Neckar - Jede Ameise hat einen eigenen Käfig. Die Kisten erinnern an Transportbehälter für Hamster, die zum Tierarzt müssen. Nina Gaißert nimmt vorsichtig eine heraus, die gelenkigen Beine mit den aufgedruckten Leiterbahnen ragen über ihren Handteller hinaus und baumeln in der Luft. Die 35-jährige Biologin hält die Ameise so, wie eine frischgebackene Tante ihren neugeborenen Neffen: etwas unsicher und mit neugierig-konzentriertem Blick. „Na los, pack aus!“ sagt Mart Moerdijk ungeduldig, „auch die anderen!“ „Sicher? Alle? Kannst du die auseinanderhalten?“ „Natürlich!“

Moerdijk ist quasi der Vater der Ameisen – und wie ein echter Vater, kann er seine Drillinge natürlich auseinanderhalten, auch wenn sie sich nur in wenigen Details unterscheiden. Der 28-jährige Maschinenbauer hat die Roboterameisen bei Festo als Abschlussarbeit mitentwickelt. Sie sind eines der Bionikprojekte, für die Festo weltweit bekannt ist und die sich vieles aus dem Tierreich abschauen.

Wie berechnet man, wer wann wie wo mitanpackt?

Für dieses „Abschauen“ ist Nina Gaißert zuständig – und das klingt einfacher, als es ist. Denn wie machen die Ameisen das genau, diese effiziente Zusammenarbeit? Wie berechnen sie, wer wann wie wo mitanpackt? Welche Regeln machen diese viel zitierte Schwarmintelligenz zum Erfolgsmodell? Bevor ihre Kollegen beginnen, die Körper der Ameisen aus modernsten Materialien nachzubauen, wälzt Gaißert Bücher und Fachartikel. Wie eine Detektivin trägt sie alles zusammen, was sie über die kleinen Tiere finden kann.

Gaißert interessiert sich schon seit sie denken kann für die Mischung aus Technik und Biologie. Für ihre Promotion erforschte sie in Tübingen, wie Menschen Sinneseindrücke verarbeiten und wie das auf Roboter übertragen werden kann. Zu dieser Zeit hätten alle auf einmal von diesem Robotervogel von Festo gesprochen, der so täuschend echt fliegt. Für Gaißert war klar: da will sie hin. Sie erinnert sich noch gut an ihre erste Begegnung mit dem Smartbird, einer Art Möwe mit zwei Metern Spannweite, auf einer Messe in Birmingham: „Der sieht so echt aus, dass er sogar von anderen Möwen angegriffen wurde“, schwärmt sie, „wir haben den Vogelflug entschlüsselt!“ Danach sei nur eine Frage im Raum gestanden: Was ist noch faszinierender? „Ganz klar die Libelle“, ruft Gaißert begeistert aus: „Sie kann jeden einzelnen Flügel ansteuern, sie ist einer der besten Flieger überhaupt.“ So begann ihr erstes eigenes Projekt (siehe Infokasten).