Es gibt sie in wohl jedem Supermarkt: kompostierbare Kunststoffbeutel oder auch Kaffeekapseln. In den Biomülltonnen in Stuttgart und Umgebung haben diese jedoch nichts verloren.
Stuttgart - In der Landeshauptstadt sowie den Kreisen Esslingen, Ludwigsburg und Rems-Murr gibt es die braune Biomülltonne, in Böblingen die grüne, im Kreis Göppingen die blauen Beutel. Mit ihnen werden in der gesamten Region jährlich mehr als 330 000 Tonnen Biomüll eingesammelt – wertvoller Rohstoff, mit dem Strom, Wärme und Kompost erzeugt werden. Das Problem: rund drei Prozent oder 10 000 Tonnen davon gehören gar nicht in die Biotonnen und müssen als sogenannte Störstoffe mühsam aussortiert werden. Das sind manchmal Gabeln, die mit Essensresten hineingerutscht sind, oder absichtlich hineingeworfene Steine. Der größte Anteil aber sind Kunststoffe und dabei nicht nur normale Plastiktüten, sondern auch ein Material, bei dem sich der Durchschnittsbürger wundert, dass es stört – wenn er überhaupt davon erfährt.
Es geht um die kompostierbaren Biomüllbeutel, die man in vielen Supermärkten für etwa 2 Euro rollenweise kaufen kann. Stichprobe in einem kleineren Markt in einem Stuttgarter Stadtteil auf den Fildern: der „Bio-Abfallbeutel für kompostierbare Bioabfälle“ kostet je 15 Stück 1,99 Euro, dient laut Aufschrift „einer sauberen Entsorgung aller organischen Abfälle (. . .) über die Bio-Tonne“ – „wenn behördlich zugelassen“, wie es auch noch heißt. Nach diesen Beuteln gefragt, meint der städtische Pressesprecher Martin Thronberens: „Diese werden in der Landeshauptstadt als Störstoffe betrachtet und sind daher unerwünscht.“
Müllbeutel werden auch dort verkauft, wo sie nicht in die Tonne dürfen
Stichprobe in einem großen Supermarkt in Leonberg im Kreis Böblingen, wo mit 84 Kilogramm pro Einwohner und Jahr der meiste Biomüll in der Region gesammelt wird: vom „Bio-Folien-Müllbeutel 100 % kompostierbar“ gibt es 10 Stück für 1,99 Euro, zu entsorgen über den Hauskompost „oder über die Biotonne, sofern dies behördlich zu gelassen ist“. Ist es nicht. „Auf diese Beutel muss verzichtet werden“, sagt Wolfgang Bagin, Geschäftsführer des Abfallwirtschaftsbetriebs Böblingen.
Bagin erklärt auch warum. „Kompostierbare Müllbeutel sind ebenfalls Störstoffe, weil sie nur sehr schwer oder gar nicht aus dem Verarbeitungsprozess herausgefiltert werden können.“ Das Problem mit der Kompostierbarkeit: Nach den beiden wichtigen europäischen Normen gilt ein Kunststoff, der etwa aus Maisstärke oder zu einem Teil auch aus Rohöl hergestellt ist, als kompostierbar, wenn er in Tests innerhalb von zwölf Wochen zu 90 Prozent abgebaut ist. In der Biogasanlage an der A 8 bei Leonberg, die Anfang September abgebrannt ist, mussten die Tüten aber herausgefiltert werden, so Bagin, „da die Verweildauer von solchen ,kompostierbaren Tüten’ im Fermenter einer Vergärungsanlage nur etwa drei Wochen beträgt, in der sie sich nicht zersetzen können“. Zumal das Biomaterial in einer Vergärungsanlage anders als in einem Kompostwerk luftdicht gelagert wird, der Zersetzungsprozess sich also verlangsamt. Die Anlage galt als sehr erfolgreich, der Kreis Böblingen will sie zusammen mit dem Kreis Esslingen bis 2023 wieder aufbauen.
Der Kreis Ludwigsburg schickt Kontrolleure los
Die Böblinger haben dieser Tage wieder einmal gegen die Biomüllbeutel und andere Plastiktüten mobil gemacht. „Plastik gehört nicht in die Biotonne“ hieß es auf einem großen Anhänger aus recyceltem Papier, den die Müllwerker an alle gut 70 000 grünen Tonnen im Kreis anhängten. Bagins Fazit: „Nach solchen Aktionen verbessert sich die Störstoffquote immer – allerdings nur vorübergehend.“ Eigentlich will der Kreis von drei Prozent Plastik und anderes auf ein Prozent des Biomülls herunterkommen.
Ähnliches gilt im Kreis Ludwigsburg, der zwei Kontrolleure eingestellt hat, die laut Landratsamtssprecherin Caren Sprinkart von Montag, 18. November, an verstärkt die Biomülltonnen kontrollieren sollen. Damit sollen die 2,7 Prozent Störstoffe oder rund 840 Tonnen Plastik und anderes jährlich minimiert werden.
Buetl erhöhen Akzeptanz, überhaupt zu sammeln
Bertram Kehres von der Bundesgütegemeinschaft Kompost, die im Auftrag der Hersteller von Dünge- und Bodenverbesserungsmitteln über die Qualität von Kompost wacht, lässt ein gutes Haar an den Biomüllbeuteln und erklärt, warum es sie gibt. „Sie bringen Komfort und erhöhen insbesondere im städtischen Gebiet mit vielen mehrstöckigen Häusern die Akzeptanz, überhaupt Biomüll zu sammeln“, sagt der Geschäftsführer. Deshalb seien die Beutel auch anders als kompostierbare Verpackungen oder Kaffeekapseln in der deutschen Bioabfallverordnung aufgeführt, die regelt, was grundsätzlich in die Bioverwertung darf. Grundsätzlich heißt aber nicht tatsächlich, so Kehres: „Das regeln die örtlichen Träger der Entsorgung, also Städte und Landkreise, in Abstimmung mit den Entsorgungsfirmen.“
Böblingen, Esslingen, Ludwigsburg und Stuttgart wollen die Bioabfallbeutel ebenso wenig wie alle anderen Störstoffe, nur der Rems-Murr-Kreis gibt sich etwas zurückhaltender. „Die kompostierbaren Biomüllbeutel sind nicht explizit verboten, die Nutzung ist aber nicht erwünscht, da sie in der Biovergärungsanlage eher Probleme bereiten.“ Deshalb werden sie letztlich auch rund um Waiblingen aussortiert und verbrannt.
Kampf gegen den falschen Müll
Was tun die anderen? Nicht nur in den Kreisen Böblingen und Ludwigsburg machen die Abfallwirtschaftsbetriebe mobil gegen kompostierbare Biomüllbeutel und andere Störstoffe. Martin Thronberens, Pressesprecher in Stuttgart, zählt Öffentlichkeitsarbeit etwa mit Trennanleitungen und Infoständen auf, aber auch Sichtkontrollen bei der Abholung. Der Geschäftsführer des Abfallwirtschaftsbetriebs Esslingen, Manfred Kopp, berichtet von „stichprobenhaften Kontrollen“. Die Abfallwirtschaft Rems-Murr verfügt laut Stefanie Baudy über zwei Mülllaster mit Sensoren, die Störstoffe erkennen. Genau wie in Böblingen, wo es bei vielen Störstoffen zunächst eine gelbe Karte gibt, die Tonne aber trotzdem geleert wird. Bei der roten Karte im Wiederholungsfall bleibt die Tonne voll stehen und der Besitzer muss eine Banderole kaufen, um sie mit dem nächsten Restmüll leeren zu lassen.
Wo gibt’s keine Probleme? Keine Probleme mit anorganischen Abfällen hat nur der Kreis Göppingen, der sich lange Zeit gar nicht um Küchenabfälle gekümmert hat, weil es im ländlichen Raum viele Komposthaufen gibt. Seit er gesetzlich dazu gezwungen ist, diese zu verwerten, lässt der Kreis sie in 7,5- und 15-Liter-Beuteln aus normalem Plastik einsammeln, die der Bürger sich kaufen muss. Damit kommt der Kreis auf nicht einmal 0,5 Prozent der gesamten Biomüllabfuhr in der Region Stuttgart.
Um wie viel Biomüll geht es? In der Region Stuttgart wurden 2018 insgesamt gut 330 000 Tonnen Biomüll eingesammelt – groben Grünschnitt ausgenommen, den Bürger zumeist auf Häckselplätze bringen. Der meiste Biomüll nach Gesamtgewicht fiel mit knapp 38 000 Tonnen im Landkreis Esslingen an, gefolgt vom Rems-Murr-Kreis mit rund 35 000 Tonnen, dem Landkreis Böblingen mit knapp 33 000 Tonnen, dem Kreis Ludwigsburg mit fast 31 000 Tonnen, der Landeshauptstadt Stuttgart mit nicht ganz 25 000 Tonnen sowie dem Kreis Göppingen mit etwa 1500 Tonnen aus der Sammlung von Küchenabfällen. Pro Einwohner sieht die Reihenfolge etwas anders aus (siehe Grafik). Die meisten Biomülltonnen gibt es mit etwa 110 000 in Ludwigsburg und Umgebung, gefolgt von Esslingen (93 000), Rems-Murr (86 000), Böblingen (70 000) und Stuttgart (63 000)