Soziale Insekten: Einige Ameisenarten retten verwundete Artgenossen nach Raubzügen – und fördern so das Gemeinwohl.
Würzburg - „Sanitäter, Hilfe!“ Kriegsfilme zeigen gerne solche Szenen, in denen ein Hauptdarsteller verwundet ins Lazarett abtransportiert wird, um später gesundet zum Helden der entscheidenden Schlacht zu werden. In der Realität mögen solche Episoden die große Ausnahme sein, doch es steckt mehr als ein Körnchen Wahrheit dahinter. Militärexperten kennen den enormen Wert der Soldaten mit dem Äskulapstab der Medizin auf der Schulterklappe: Die von ihnen Geretteten stärken später die Truppe wieder.
Eine Erfindung der Menschheit aber sind solche Helfer nicht. Selbst die afrikanischen Matabele-Ameisen Megaponera analis kennen Sanitäter, die verwundete Artgenossen vom Schlachtfeld holen, berichten Erik Frank, Karl Eduard Linsenmair und ihre Kollegen vom Biozentrum der Universität Würzburg in der Zeitschrift „Science Advances“. Und die Insekten tun das anscheinend aus den gleichen Gründen wie wir Menschen: „Es rentiert sich für die Ameisen“, erklärt Thomas Hovestadt von der Würzburger Universität, der gemeinsam mit Oliver Mitesser einige theoretische Berechnungen für die Studie gemacht hat.
Ein solches Sanitätswesen rechnet sich für die sechsbeinigen Tiere vor allem, weil ihr Alltag aus gut organisierten Raubzügen besteht, auf denen sie zwar reichlich Beute machen, auf denen aber auch viele Ameisen verwundet werden. Die Tiere haben einen triftigen Grund für ihre Feldzüge: Ihr Speiseplan ist recht einseitig und listet als einziges Gericht Termiten. Also schleichen sich Späher durch die Jagdgründe der Matabele-Ameisen, die ihre Kolonien südlich der Sahara bis hinunter nach Südafrika errichten. Sobald einer dieser Scouts ein Termitennest entdeckt, alarmiert er seine Gemeinschaft und führt dann eine regelrechte Ameisen-Streitmacht in einer langen Kolonne zu dem bis zu 50 Meter entfernten Fundort.
Ein Drittel der Angreifer landet in den Mägen anderer Räuber
Im Comoé-Nationalpark im Norden der Republik Elfenbeinküste haben Erik Frank und seine Kollegen 420 solcher Raubzüge beobachtet, die von 52 Ameisen-Kolonien ausgingen. In Marsch setzen sich durchschnittlich 416 der Insekten, die bis zu zwei Zentimeter lang werden und damit die stattliche Größe eines Fingergliedes einer kräftigen Hand erreichen. Am Ziel entfaltet sich eine perfekt geplant erscheinende Militärmaschinerie.
Die größten Matabele-Ameisen stürmen voraus und brechen die harte Erdkruste auf, mit der die Termiten ihre Gänge vor dem Austrocknen schützen. Kleinere Ameisen stoßen durch diese Löcher vor, töten die Termiten und schleppen sie aus ihrem Nest heraus. Begleitet von ihren kleineren Kollegen tragen die großen Ameisen dann die Beute ins Nest zurück, und der Feldzug endet.
Wehrlos sind die Termiten solchen Überfällen allerdings nicht ausgeliefert. Eine Soldaten-Kaste mit stark gepanzerten Köpfen und sehr kräftigen Beißwerkzeugen wehrt sich heftig gegen die Angreifer. Aus den Nestern der Termiten kommen daher nicht nur siegreiche, sondern auch eine Reihe verwundeter Ameisen zurück, denen die Verteidiger ein oder zwei ihrer sechs Beine abgebissen haben oder in deren Gliedmaßen sich noch Termiten-Soldaten verbissen haben. Solche Verletzte schleppen sich viel langsamer als gesunde Artgenossen samt Beute zum Nest zurück. „Fast ein Drittel von ihnen endet daher in den Mägen anderer Räuber, bei denen es sich meist um Spinnen handelt“, beobachtete Erik Frank in einem Experiment.
Normalerweise aber kommt es dazu gar nicht, weil die Verwundeten aus Drüsen an den Beißwerkzeugen eine Mischung aus den beiden Verbindungen Dimethyldisulfid und Dimethyltrisulfid absondern, zeigten die Forscher mit chemischen Analysen. Dieses Duftstoffgemisch wirkt wie der Ruf „Sanitäter, Hilfe!“ auf Artgenossen. Prompt schleppen die gesunden Ameisen bei einem Raubzug im Durchschnitt drei Verwundete zum Nest zurück, lassen aber tote und hoffnungslose Fälle zurück. Verluste haben die Sanitäter dabei praktisch keine, beobachteten die Forscher.
95 Prozent der Geretteten sind beim nächsten Raubzug dabei
Im Nest erholen sich die Verletzten rasch, werden die Termiten wieder los, die tot oder sogar noch lebendig an ihnen hängen, oder lernen schnell, auf vier Beinen fast so schnell wie auf sechsen zu laufen. 95 Prozent der Geretteten sind dann auch beim nächsten Raubzug wieder dabei, der manchmal bereits eine Stunde später beginnt. Der Sanitätereinsatz hat sich offensichtlich für die Gemeinschaft gelohnt.
Wie aber könnten die Ameisen im Laufe der Evolution darauf gekommen sein, dass Sanitäter ihrer Kolonie helfen können? Zum Beispiel können kleinere Ameisen ihre großen Schwestern mit chemischen Signalen zu Hilfe rufen, wenn diese Beute abtransportieren sollen. Da läge es nahe, bei einer eigenen schweren Verwundung ebenfalls einen Notruf abzusetzen.
„Vielleicht hat es auch eine Rolle gespielt, dass Ameisen von solchen Raubzügen tote Kolonie-Genossinnen zurückgetragen haben, um sie anschließend zu fressen“, vermutet Thomas Hovestadt. Darunter waren ab und zu wohl auch verwundete Ameisen, die nicht gefressen werden wollten und sich später von ihren Verletzungen wieder erholt haben. Das ist für die Kolonie ein Vorteil. Und dieser hat sich nach den Regeln der Evolution offenbar mit der Zeit gegen andere Kolonien durchgesetzt, die keinen Sanitätsdienst für ihre Verwundeten hatten.
Geteiltes Erbgut – größerer Zusammenhalt?
Erbgut Beim Menschen ist das Erbgut in jeder Körperzelle doppelt vorhanden, wobei sich beide Hälften meist erheblich unterscheiden. An ihre Kinder geben beide Elternteile jeweils nur einen Satz weiter. So haben die Nachkommen wieder das doppelte Erbgut.
Chromosomen Jeder Erbgutsatz beim Menschen ist in 23 Teile unterteilt . Ob ein Elternteil ein von seiner eigenen Mutter oder das von seinem Vater geerbte Chromosom weitergibt, ist Zufall. Im Durchschnitt haben Geschwister nur die Hälfte ihres Erbguts gemeinsam.
Ameisen Bei Ameisen haben die Männchen nur einen Erbgutsatz, den sie komplett vererben. „Dadurch sind die Nachkommen einer Ameisenkönigin enger miteinander verwandt als Geschwister von Säugetieren“, so der Tropenökologe Karl Eduard Linsenmair von der Universität Würzburg. Auch das spricht für einen engen Zusammenhalt in Ameisenstaaten, die oft nur eine oder wenige Königinnen haben.