Biogasanlagen – hier im Bild eine Leitung – rentieren sich ohne Subventionen meist nicht Foto: dpa

Vor einem Jahrzehnt galt die Erzeugung von Strom aus Biomasse als zukünftiges Rückgrat einer ökologischen Energieerzeugung. Heute steht die Technologie nach einem politischen Richtungsschwenk vor dem Aus. Ein Besuch bei zwei Energieerzeugern.

Stuttgart -

Der Biogas-Pionier

Hugo Sekler zieht die Augenbrauen hoch, blickt zu Boden, atmet tief durch und streicht sich durch schüttere Haar: „Wir haben hier noch sieben Jahre Restlaufzeit“, sagt er. „Dann ist Schluss.“ Bauer Sekler ist nicht gut drauf gerade. Ein Schnupfen hat ihn seit einiger Zeit im Griff, und das Preistief für Hähnchenfleisch kostet den Landwirt jeden Monat viel Geld. Sein eigentliches Problem aber ist das riesige Ding, das mitten auf seinem Hof steht und ein bisschen aussieht wie eine grün getünchte Ölraffinerie. „Ich weiß nicht, wie viele schlaflose Nächte mich die Biogasanlage dort drüben gekostet hat“, sagt Sekler. „Meine Haarpracht hat jedenfalls sehr gelitten.“

Sekler ist einer der Biogas-Pioniere in Baden-Württemberg und hat so ziemlich alles miterlebt, was Pioniere typischerweise durchleiden: Ungewissheit, Rückschläge, Erfolge. Grade ist wieder ein Rückschlag an der Reihe. Anfang der 2000er Jahre stand sein Hof am Scheideweg. Die Preise für Agrargüter lagen am Boden. Raps, Roggen, Rüben – alles wurde auf den Weltagrarmärkten verramscht. Weizen als Heizölersatz zu verfeuern lohnte sich damals mehr, als ihn den Agrarhändlern in den Rachen zu werfen. Mit Lebensmitteln Geld zu verdienen schien sich zum Auslaufmodell zu entwickeln.

Es gab allerdings einen kleinen Lichtblick. Durch das im Jahr 2000 in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Förderung von Öko-Energie sollte auch Strom aus Biomasse staatlich gefördert werden. Für die darbenden Bauern war das ein Rettungsanker. Sekler packte die Gelegenheit beim Schopf und investierte als einer der Ersten im Südwesten in eine Biogasanlage. „Ich habe das als echte Chance gesehen, ökologisch zu wirtschaften und wieder Geld zu verdienen“, sagt Bauer Sekler heute.

Der Biogasboom

Die Erzeugung von Strom durch die Vergärung von Pflanzen oder Gülle entwickelte sich ab 2002 innerhalb kurzer Zeit zum Renner bei Landwirten, die das ewige Auf und Ab der Preise an den internationalen Agrarmärkten satthatten. Immerhin garantierte Deutschland seinen Bauern feste Preise für Öko-Strom über die nächsten 20 Jahre. Ab 2004 explodierte die Zahl der oft haushohen Anlagen. Zu den satten Einspeisevergütungen auf Strom kamen immer neue Boni, die man etwa auf die Vergärung hoher Anteile von Gülle oder nachwachsender Rohstoffe (Nawaros) in den Anlagen einstreichen konnte. In Baden-Württemberg verdoppelte sich zwischen 2004 und 2009 die Zahl der Anlagen. Bis Ende 2011 verdreifachte sie sich nahezu. Damals erreichte die Leistung der bundesweit jedes Jahr neu hinzukommenden Biogas-Brüter rein rechnerisch die Leistung eines Kernkraftwerks.

Die fürstliche Vergütung, die zu dem Boom führte, rechtfertigte sich dadurch, dass Biogasanlagen – anders als Wind- oder Solarkraftwerke – Strom kontinuierlich bereitstellen konnten. Die Biogasverstromung sollte so zum Stabilitätsanker der neuen Öko-Energiewelt werden. Bauer Sekler hatte seine Anlage damals, nach Jahren des Tüftelns und der technischen Schwierigkeiten, „im Griff“ und verdiente gutes Geld damit. Allerdings kamen die Einschläge schon wieder näher. Die sprunghafte Zunahme von Maisfeldern – der Haupttreibstoff von Biogasanlagen – rief Kritiker auf den Plan. „Deutschland vermaist“, titelten damals die Zeitungen. Außerdem schossen die Förderkosten in die Höhe. Als dann mit der Leopoldina auch noch eine der renommiertesten deutschen Forscherverbünde der Biomassenutzung ein schlechtes Zeugnis ausstellte, reagierte die Politik und brachte die Fördersätze in zwei Schritten – 2012 und 2014 – auf Talfahrt. Ab 2022 – nach 20 Jahren Förderung – sieht es nun so aus, als müsse sich Seklers fußballfeldgroße Millioneninvestition, die im nahe liegenden Dorf auch knapp zehn Haushalte mit Fernwärme versorgt, alleine tragen. Zu den aktuellen Strompreisen gehe das nicht, sagt Bauer Sekler. „Wir fragen uns schon jetzt, was wir in sieben Jahren machen sollen.“

Der Biogas-Neueinsteiger

Thomas Häcker stellt sich diese Frage nicht – und das obwohl er sein Geld genau wie Hugo Sekler mit einer Biogasanlage verdient. „Bei mir läuft es glänzend“, sagt der Jungbauer im tiefsten Schwäbisch. Hinter ihm ragen die Gärbottiche des Gussenstädter Biogas-Brüters auf. Alles ist neu und blitzblank. Aus einer kleinen Leitwarte steuert der Jungbauer die Temperaturentwicklung und die Umwälzung des Pflanzen-Gülle-Gemischs in den riesigen Substrattanks und reguliert so die Energieerzeugung.

Das Prinzip ist das gleiche wie bei der gut ein Jahrzehnt älteren Anlage von Hugo Sekler. Einen entscheidenden Unterschied gibt es aber: Häckers Kraftwerk ist viel flexibler zu steuern und setzt stark auf die Wärmeproduktion. Fast 80 Häuser und fünf städtische Großgebäude sind per Erdleitung an die Biogasanlage angeschlossen, in deren Nebengebäude das entstandene Biogas zu Dampf umgewandelt wird. Weitere Haushalte sollen an dieses dörfliche Nahwärmenetz angeschlossen werden. „Wir wollen, dass jeder im Ort die Möglichkeit hat, erneuerbare Wärme von uns zu beziehen“, sagt der Jungbauer, der als Erster Vorstand der Energiegenossenschaft Gussenstadt die Anlage auch betreibt .

Strom produziert Häcker auch in erheblichem Umfang, und zwar immer dann, wenn er in deutschen Netzen benötigt wird. Das ist meist der Fall, wenn Flaute herrscht oder die Sonne nicht scheint und die Solar- und Windkraftwerke der Republik schlappmachen. Ein ausgeklügeltes System von Dampferzeugern und -zwischenspeichern ermöglicht es, schnell und unkompliziert von Wärme- auf Stromerzeugung umzuschalten. Über einen Dienstleister vermarktet die Gussenstädter Biogasanlage ihre Energie direkt und computergesteuert immer genau dann, wenn die Börsenpreise für Strom hoch sind. „Systemdienlich“ sei seine Anlage, weil sie helfe, die Energieproduktion in Deutschland im Lot zu halten, sagt Häcker.

Diese Flexibilität ist bares Geld wert. Betreiber flexibler Anlagen erhalten einen kleinen Aufschlag auf die staatlichen Vergütungen für die erzeugte Energie.

Die Zukunft der Branche

Eine echte Perspektive nach Ablauf der staatlichen Förderung über 20 Jahre hinweg haben allerdings auch topmoderne Anlagen nicht. Die Stromproduktion in den Brütern ist im Vergleich zu Wind- oder Solarenergie zu teuer.

Ein Konzert aus Verbänden und Politikern aus Bundesländern mit hohen Biogasanlagen-Zahlen – darunter auch Baden-Württemberg – müht sich dennoch seit Monaten, der Technologie eine Perspektive zu geben. Im Gespräch sind weitere Boni für besonders flexible Anlagen, eine bessere Förderung der Wärmeproduktion oder eine Neuauflage der bisherigen Subventionen für Ökostrom aus Biogas.

Ziel ist es, dass die heute bestehenden rund 8400 Biogasanlagen nicht irgendwann stillgelegt vor sich hin rotten und nur noch zum Anschauungsunterricht einer gescheiterten Ökostromförderung herhalten. „Bestandsschutz für bestehende Anlagen“ lautet daher das Wort der Stunde in der deutschen Biogasbranche.

An einen Boomschnellen Anlagenneubau wie in den frühen 2000er Jahren glaubt niemand mehr. Aus der Politik heißt es, man müsse damit rechnen, dass die Erzeugung von Strom aus Biomasse in den kommenden Jahren „deutlich zurückgeht“.