Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am 9. Mai in Stuttgart gegen Corona-Beschränkungen. Aufgerufen hatte die Initiative Querdenken 711, die das Grundgesetz in Gefahr sieht. Foto: imago images/Arnulf Hettrich

Warum wird Bill Gates wird zur Zielscheibe von Corona-Verschwörungstheoretikern?

Stuttgart/Berlin - „Ich bin zum Staatsfeind Nummer eins geworden, weil ich die Wahrheit über Corona herausgefunden habe“, verkündet der Komiker Phil Laude in einem Video, in dem er als „Quarantäne Klaus“ auftritt. Im nächsten Moment nimmt er ein Bettlaken von einer Wand ab und enthüllt dahinter die „Strippenzieher hinter diesem ganzen Corona-Schwindel“: Bill Gates, Greta Thunberg und Angela Merkel.

Laudes Video ist eine Satire. Doch was sich in den sozialen Netzwerken oder auch teilweise bei den Demonstrationen am Wochenende abgespielt hat, unterscheidet sich davon nur noch graduell. In Stuttgart etwa trafen sich auf dem Cannstatter Wasen erneut mehrere Tausend Menschen, um gegen die Einschränkungen in der Corona-Krise zu protestieren. Auf einem der Demo-Plakate dort war zu lesen: „Corona ist Fake. Es geht nur darum, dass die Milliardäre auch noch den Rest unserer Lebensgrundlagen billig aufkaufen können.“

WHO legt ihre Zahlungen von Gates offen

Mutmaßlich gemeint mit dieser Anklage ist Bill Gates. In der Corona-Krise mehren sich Verschwörungslegenden über den Milliardär und seine Absichten. Am Samstag trat in Stuttgart unter anderen der umstrittene Youtuber Ken Jebsen als Redner auf. Jebsen hatte zuletzt mit einem Video auf seinem Youtube-Kanal Millionen Zuschauer erreicht, in dem er eine Verschwörung um Bill Gates und seine Frau Melinda für die Corona-Pandemie verantwortlich machte. So behauptet er unter anderem, das Ehepaar Gates finanziere die Weltgesundheitsorganisation WHO zu mehr als 80 Prozent.

Tatsächlich sind die Investitionen des Software-Pioniers gemeinnützig und transparent. Die WHO legt ihre Zahlen offen. Daraus geht hervor, dass die Stiftung der Familie Gates wirklich eine große Geldgeberin ist – allerdings nur mit einem Anteil von rund elf Prozent. Aus dem Vermögen, das der Microsoft-Gründer in seinem Leben erwirtschaftet hat, gründeten er und seine Frau Melinda im Jahr 2000 die aktuell größte gemeinnützige Stiftung der Welt mit einem Vermögen von umgerechnet 43,2 Milliarden Euro im Jahr 2018. Darin sind auch Zuwendungen anderer Philanthropen enthalten, besonders des Investors Warren Buffett.

Gates-Stiftung gründete eine Impfallianz

Die Stiftung finanziert vor allem Projekte gegen extreme Armut und gesundheitliche Unterversorgung in Entwicklungsländern. 2018 wurden laut Steuererklärung mehr als vier Milliarden US-Dollar (3,7 Milliarden Euro) an Zuschüssen gezahlt, ein Großteil für Impfprogramme. „Impfungen waren eine unserer ersten Investitionen, denn sie schützen alle Kinder, unabhängig davon, wie arm oder reich sie sind“, zitiert die Globale Impfallianz Gavi den Microsoft-Gründer.

Das macht ihn für Verschwörungstheoretiker umso interessanter. Denn zeitgleich mit der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung rief Gates eben jene Impfallianz Gavi ins Leben. Neben dem Startkapital von 750 Millionen US-Dollar hat die Stiftung laut eigenen Angaben seither mehr als vier Milliarden US-Dollar in Impfprogramme für mehr als 760 Millionen Kinder gesteckt. Im aktuellen Vier-Jahres-Haushalt ist die Gates-Stiftung mit einem Sechstel des Budgets (1,55 Milliarden US-Dollar) zweitgrößter Geber nach Großbritannien. Deutschland förderte Gavi zwischen 2016 und 2020 mit knapp 700 Millionen US-Dollar.

Die Gates-Stiftung gehört auch zu den Mitgründern des Cepi-Netzwerks zur Entwicklung neuer Impfstoffe. Mehr als drei Milliarden US-Dollar hat sie zudem seit 2001 an den Globalen Fonds überwiesen, der gegen Aids, Malaria und Tuberkulose kämpft. Aktuell unterstützt sie die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus mit mehr als 250 Millionen US-Dollar. Nach eigenen Angaben finanziert die Stiftung acht Projekte zur Suche nach einem Serum. An diesen sind Universitäten und Forschungseinrichtungen ebenso beteiligt wie die Pharmaindustrie. Gewinnabsichten verfolgt die Stiftung nicht. Eventuelle Gewinne, die über die Anlagen des zur Stiftung gehörenden Trusts erwirtschaftet würden, fließen in die gemeinnützige Arbeit.

Sorgt Gates für Milliardengewinne für Pharmaunternehmen?

Kritiker zweifeln an diesen Angaben – und mutmaßen immer wieder, Gates verhelfe der Pharmaindustrie zu Milliardengewinnen. Dafür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil forderte Gavi-Geschäftsführer Seth Berkley kürzlich sogar, ein Impfstoff gegen Covid-19 müsse zunächst ohne Gewinnabsicht bereitgestellt werden. Erst nach Ende der Krise dürften Pharmaunternehmen seiner Ansicht nach damit Gewinn erzielen.

Generell verfolgen Gavi und die Gates-Stiftung marktwirtschaftliche Ansätze unter Einbeziehung privater Geber und gewinnorientierter Unternehmen. Auch daran gibt es Kritik. So entscheiden Pharmaunternehmen darüber mit, wie viel die Impfallianz und betroffene Länder pro Impfdosis zahlen. Gavi verteidigt das Vorgehen damit, dass so die effizienteste Lösung gefunden wird. Gavi zahlt pro Impfdosis wenig, garantiert der Industrie aber hohe Abnahmen.

Tatsächlich hat die Gates-Stiftung durch ihre Milliardenzuwendungen einen großen Einfluss auf die globale Gesundheitspolitik. Was bei Gavi, dem Globalen Fonds, der sich für die Bekämpfung von schweren Infektionskrankheiten einsetzt, oder gar der WHO geschieht, darüber hat sie keine Macht. Sie muss sich mit anderen Gebern – vor allem Regierungen, abstimmen. Kritiker, die den wachsenden Einfluss auch anderer Philanthropen vermindern wollen, sehen nur eine Alternative: Staaten müssten ihre Zuwendungen an Organisationen wie die WHO erhöhen. Derzeit ist das Gegenteil der Fall. Die USA kündigten zuletzt an, ihre Zahlungen an die WHO komplett einstellen zu wollen – weil sie in der aktuellen Krise versagt habe und sich generell zu freundlich gegenüber China zeige.

Patent für ein Coronavirus

Andere Behauptungen, die derzeit im Internet und auf Demonstrationen kursieren, gehen noch viel weiter. So soll Gates die Menschheit per Implantation von Mikrochips kontrollieren wollen. Oder: Die Gates-Stiftung soll die Entwicklung des neuartigen Coronavirus finanziert haben und sogar ein Patent darauf besitzen.

Das entbehrt freilich jeder Grundlage. Der vermeintliche Beweis, den Kritiker anführen: das Patent eines von der Stiftung unterstützten Instituts von 2015 mit dem Titel „Coronavirus“. Dabei geht es aber nicht um Sars-CoV-2, das jetzt die Welt im Griff hat, sondern um die Impfstoffentwicklung gegen ein Geflügelvirus aus der Gruppe der Coronaviren. In der Immunologie ist es üblich, dass Forscher das Erbgut von Erregern verändern, um sie weniger gefährlich zu machen. Diese eignen sich dann zur Herstellung von Impfstoffen. Zudem halten Wissenschaftler eine Entwicklung des neuen Coronavirus im Labor für nicht plausibel.

Und was hält Gates selbst davon, dass er jetzt zunehmend zum Mittelpunkt von Verschwörungstheorien wird? „Es gibt Leute, die wollen das durch eine politische, nicht durch eine wissenschaftliche Brille betrachten“, sagte der Microsoft-Gründer vor wenigen Tagen in einem Interview des US-Fernsehsenders CNN. „Das kann dich zu seltsamen Ansichten führen.“ Die Stiftung gebe nur Geld, treffe aber nicht die Entscheidungen. Dem „Wall Street Journal“ sagte er am Montag: „Ich fühle mich schrecklich.“ Allerdings weniger wegen den Vorwürfen gegen seine Person, sondern weil er seinen Warnungen vor einer Pandemie, die er seit Jahren immer wieder ausspricht, nicht mehr Nachdruck verliehen habe.

Quarantäne Klaus übrigens ist sich nicht sicher, dass Gates wirklich der Hauptschuldige ist. Eher tippt er auf Greta Thunberg: „Weil es den Delfinen wieder gut geht, wenn die Menschen sterben.“ Ganz klar.