Was die Integrationsministerin Bilkay Öney von Zuwanderern und Deutschen erwartet.
Stuttgart - Eine funktionierende Behörde hat sie noch nicht, doch klare Vorstellungen, woran es bei der Integration von Migranten mangelt. Ministerin Bilkay Öney über schlafmützige Eltern, den Islam und den türkischen Premier Erdogan.
Ihren schwäbischen Integrationskurs hat Bilkay Öney dieser Tage in ihrer Gastfamilie absolviert. "Also pass' mal auf", bekam die Neu-Stuttgarterin dort zu hören, "die Migranten sind hier viel integrierter als anderswo, und die Grünen fahren Porsche."
Sie lacht lauthals, wenn sie diese Geschichte erzählt. Nein, so fremd ist der Berlinerin das hiesige Terrain dann doch nicht, als dass sie das glauben könnte. Schließlich kennt sie ihre Grünen, sie war selbst einige Jahre Mitglied, saß sogar für die Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, ehe sie zur Konkurrenz wechselte.
Was aber die Zuwanderer angeht - nun ja, so falsch liegt ihre Gastfamilie damit gar nicht. Das weiß die Berlinerin sehr wohl. "Die Migranten in Baden-Württemberg sind in einer glücklichen Situation", sagt sie. Weniger Arbeitslosigkeit, mehr Ausbildungschancen, insgesamt sei die Situation hier "viel entspannter".
Schwarzweißmalerei gehört also ersichtlich nicht zum Handwerkszeug der SPD-Frau. Sie versteht sich auch nicht als Beschützerin von "armen kleinen Migranten". Wer sich mit ihr unterhält, erlebt vielmehr eine nach allen Seite kritische, aber sehr pragmatische Beobachterin.
Das hindert sie nicht daran, Mängel zu benennen. Schließlich ist das ihr Job, seit sie vergangene Woche im Landtag als bundesweit erste Ministerin vereidigt wurde, die sich ausschließlich um Integration kümmert. Die hohe Arbeitslosigkeit, das geringe Bildungsniveau, die Parallelgesellschaften - all diese Themen bringt natürlich auch Öney aufs Tapet, wenn sie von Integration spricht.
Mit "ein bisschen Sprachförderung", da macht sich die Tochter eines aus der Türkei stammenden Lehrer-Ehepaars nichts vor, lässt sich das nicht beheben. Das Problem sitzt tiefer. Vielleicht bei den Eltern, die keinen Bildungsehrgeiz entwickeln?, will die Redaktionsrunde wissen. "Es gibt ein gewisses Desinteresse", räumt die studierte Betriebswirtin ein und klagt über jene Mütter und Väter, die sich nicht zu den Elternabenden ihrer Sprösslinge bequemen.
Integration als Holschuld der Neubürger
Allmählich wird klar, dass hier eine Integrationsministerin sitzt, die Integration nicht nur als Bringschuld des Staates, sondern auch als Holschuld des Neubürgers versteht: "Es tut mir weh, dass wir in Deutschland kostenlose Bildungsmöglichkeiten anbieten, doch viele nehmen sie nicht wahr." In der Türkei zum Beispiel müssten Eltern, die ihren Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen wollten, viel größere Opfer bringen als hierzulande.
"Es gibt auch andere Eltern", schränkt sie sofort ein. Sie selbst ist ja das beste Beispiel dafür. "Gestern noch das Türkenkind, heute Ministerin", sagt sie, und ein bisschen klingt das, als könne sie das selbst noch nicht ganz fassen. Doch was ist mit jenen, denen jeglicher Ehrgeiz fehlt? "Die Migranten wissen oft gar nicht, was wir von ihnen wollen", sagt Öney, die beide Sprachen fließend spricht. Dann setzt sie an zu einer kleinen Provokation: "Wenn Sie darüber schreiben, ist das ja nett, aber wie viele Türken lesen Zeitung?"
Sie weiß, wie man mit Medien umgeht, hat schließlich selbst nach ihrem Studium in Berlin eine Weile für das türkische Fernsehen gearbeitet. Damals hat sie viele türkischstämmige Deutsche porträtiert, vor allem solche, die erfolgreich ihren Weg gegangen sind. Öney: "Damit die Leute sehen, sie können es schaffen, denn am schnellsten lernt man durch Nachahmung."
Nun aber ist sie keine Journalistin mehr, sondern Ministerin. Was also will sie tun? Ihr Instrumentarium packt sie zum Leidwesen der Runde noch nicht aus, nennt allenfalls ein paar Stichworte. In den Schulen will sie ansetzen, eventuell für mehr Lehrer mit Migrationshintergrund sorgen. Auch die ausländischen Abschlüsse müssten besser anerkannt werden, schon allein deshalb, weil die Wirtschaft Fachkräfte braucht.
Zunächst aber benötigt sie selbst Fachkräfte - und ein Budget. Sie hat ja gerade erst ihr angemietetes Büro in der Stuttgarter City bezogen. Ohne den guten Willen ihrer Ministerkollegen wird es auch nicht gehen, denn sie hat eine Querschnittsaufgabe. Man könnte auch boshaft sagen: wenig Kompetenzen. Das Integrationsministerium ist also erst noch im Aufbau. Doch ihr wichtigstes Instrument hat die Ressortchefin bereits dabei: das Wort. "Es ist eine klare Ansprache nötig: macht! macht! macht!"
Dieser Appell richtet sich im Grunde nicht nur an die Migranten, sondern auch an die Bundesregierung. Seit drei Jahren schlage sie die Gründung eines staatlichen deutsch-türkischen Jugendwerks vor, sagt Öney. Es soll so segensreich wirken wie jenes, das Deutschland mit Frankreich gegründet hat. Und mit Polen. Würde man ein binationales Projekt daraus machen, so ihr Kalkül, könnte man auch die Türkei finanziell ins Boot holen. Doch aus Berlin höre sie immer nur: kein Geld. Die Ministerin sitzt da und rollt die Augen.
Doch was fruchten die ganzen Integrationsmühen, wenn einmal im Jahr der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan einfliegt und seine Landsleute davor warnt, sich zu assimilieren?
Öney nimmt den Politiker in Schutz. Die deutschen Medien berichteten fast schon automatisch negativ über ihn, auch wenn er nichts Verwerfliches äußere. Es gebe eben Vorurteile, und zwar auf beiden Seiten, sagt sie und wirbt für "leisere Töne". Doch dann sagt sie auch unvermittelt: "Reden wir mal Tacheles, das Verhältnis ist belastet."
Kopftuch oder nicht - eine freie Entscheidung
Assimilation sei zwar nicht ihr Ziel, weil man damit seine kulturellen Wurzeln aufgebe, aber wer das wolle - bitte schön, jeder könne frei entscheiden. Manche Migranten könnten sich aber noch so sehr assimilieren, würden wegen ihres fremdländischen Aussehens aber dennoch nicht integriert: "Der Leopard verliert sein Fell nicht." Öneys Appell, etwas zu bewegen, richtet sich ebenso an die deutsche Gesellschaft.
An Arbeit mangelt es der neuen Ministerin also nicht. Gehört dazu auch, die verbreiteten Ängste vor dem Islam abzubauen? "Locker" wolle sie mit dem Thema Religion umgehen, sagt die junge Frau, die sich selbst einmal als Rock-and-Roll-Muslimin bezeichnet hat. "Ich sage allen, dass der liebe Gott will, dass wir uns vertragen, und dass der liebe Gott alles sieht, auch unter dem Kopftuch."
Sie selbst trage das Kleidungsstück zwar nicht, und sie finde, man müsse das auch nicht, um eine gute Muslima zu sein. Doch sie schränkt ein: "Darüber gibt es verschiedene Ansichten." Sie schreibe den Frauen nichts vor, sondern versuche vorzuleben, "dass es auf andere Dinge ankommt".
Ohnehin müsse man manchen Muslimen den Islam erklären, meint sie: "Wer von den Kids hat denn schon den Koran gelesen?" Es gebe viel Halbwissen unter den türkischen Jugendlichen über ihre Religion. Könnten da die in Deutschland ausgebildeten Islam-Lehrer helfen? Baden-Württemberg hat an der Uni Tübingen dazu bereits den ersten Schritt getan.
Öney meldet jedoch Zweifel an, ob das Kalkül aufgeht, der deutsche Staat könne den Islam auf diese Weise regulieren. Sie sieht vielmehr die Gefahr, dass die islamischen Gemeinden solche Imame nicht akzeptieren. Hinzu komme die Frage, wer sie eigentlich bezahle - der türkische oder der deutsche Staat?
Die bisher praktizierte Methode, dass der Verfassungsschutz ein Auge darauf hat, dass die in der Türkei geschulten Imame auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, hält sie für sinnvoller.
Ohnehin versteht sich nicht als Ministerin für Islam, sondern für Integration. Und auch nicht als Ministerin für Türken, sondern für alle Zuwanderer, darauf legt sie mehrfach Wert: "Die Türken sind nur eine große Gruppe, es gibt auch viele andere Nationalitäten."
Muss man ihre Berufung 50 Jahre nach der Anwerbung der ersten Gastarbeiter nicht im Grunde als Bankrotterklärung der Politik ansehen?, will die Runde schließlich wissen. Öney hält die Frage für berechtigt und denkt vor der Antwort lange nach. Schließlich sagt sie im Brustton der Überzeugung: "Wissen Sie, in Deutschland, da geht was!"