Eine Studie führt zu neuem Streit über die Bildungszeit. Foto: dpa

Seit in Baden-Württemberg die Bildungszeit eingeführt wurde, gibt es Streit darum. Von „Abschaffen!“ bis „Finger weg!“ reichen die Positionen. Ein Gutachten liefert jetzt neuen Zündstoff.

Stuttgart - Das lange erwartete Gutachten mit der ersten Bilanz zur Bildungszeit in Baden-Württemberg facht den Streit über das Gesetz wieder kräftig an. Zwar hielt sich Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) am Donnerstag mit einer Bewertung der Untersuchungsergebnisse noch zurück. Sowohl die Kritiker als auch die Befürworter der Bildungszeit hingegen sahen sich bestätigt.

Eine zentrale Erkenntnis der Studie lautet: Im großen Stil genutzt wird die 2015 eingeführte Möglichkeit zur beruflichen oder politischen Weiterbildung von den Beschäftigten im Südwesten noch nicht. Und: Bei der Umsetzung hakt es noch an etlichen Stellen.

Jeder 100. Beschäftigte nahm 2017 einige Tage Bildungszeit

Im Auftrag des Wirtschaftsministeriums hatte das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung das Gesetz und seine Umsetzung analysiert und unter anderem Teilnehmer, beteiligte Bildungseinrichtungen und Betriebe zu ihren Erfahrungen befragt.

Im Jahr 2017 hat demnach Schätzungen zufolge etwas mehr als jeder hundertste Beschäftigte, der einen Anspruch darauf hat, auch tatsächlich einige Tage Bildungszeit genommen. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Im Vergleich mit den anderen Bundesländern sei der Wert recht normal, sagte Studienleiterin Iris Pfeiffer.

Viele kennen das Gesetz nicht

Nur ein gutes Drittel aller Berechtigten kennt ihren Erhebungen zufolge das Gesetz. Und inhaltlich kommt die Untersuchung unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Vorgaben teilweise uneindeutig und schwer verständlich und die Abläufe zu bürokratisch sind.

Großer Streitpunkt, auch vor den Arbeitsgerichten, war bislang insbesondere die politische Weiterbildung, die das Gesetz ausdrücklich mit einschließt. Viele Betriebe sehen darin keinen Nutzen für sich und beklagen, dass sie ihre Beschäftigten dafür trotzdem freistellen und weiter bezahlen müssen.

„Unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet“

Den Gewerkschaften war gerade dieser Punkt bisher aber besonders wichtig, entsprechend fiel auch ihre Reaktion am Donnerstag aus: „Unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet“, sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Baden-Württemberg, Martin Kunzmann.

Die grün-schwarze Landesregierung habe sich die zentralen Ansatzpunkte dafür liefern lassen, die Bildungszeit wie von Anfang an geplant zusammenzustreichen. „Der gesamte Prozess diente nicht der Stärkung der Bildungszeit, sondern einzig und allein dem Zweck, das Rad zurückzudrehen“, sagte Kunzmann.

Gewerkschaft kritisiert Befragungen

„Geliefert wie bestellt“, schimpfte auch Verdi-Chef Martin Gross mit Blick auf die Empfehlung im Gutachten, den Arbeitgebern bei der politischen Bildung entgegenzukommen. Die Gewerkschaften hatten die Fragen in der Evaluierung als manipulativ kritisiert und Änderungen verlangt. Als es die nicht gab, lehnten sie eine weitere Beteiligung ab. Das Ergebnis der Befragungen ist daher nicht ausgewogen. Die Kritik, die Gewerkschaften hätten die Evaluierung boykottiert, wiesen Kunzmann und Gross zurück.

Der Industrie- und Handelskammertag forderte, die aufgezeigten Probleme ernst zu nehmen und Lösungen dafür zu finden. „Der Nutzen für die direkte Tätigkeit der Beschäftigten wird als eher gering eingeschätzt. Aus Sicht der Unternehmen zeigt sich zudem in der praktischen Handhabung ein bürokratischer Mehraufwand“, sagte Vizepräsident Christian Erbe. Ministerin Hoffmeister-Kraut betonte, dass sie nichts vorwegnehmen wolle. „Mir ist es wichtig, dass wir eine sachliche Debatte führen“, sagte sie. Dazu werde sie mit allen Beteiligten reden.