Übt Kritik an der Regierung: Ex-Ministerpräsident Foto: dpa-Zentralbild

Mit ihrer geplanten Reform der staatlichen Mittelschule, die alle Schüler von der 6. bis zur 9. Klasse gemeinsam besuchen, will Ministerin Vallaud-Belkacem ab dem Schuljahr 2016 die bilingualen Klassen weitgehend abschaffen. Das trifft auch den Deutschunterricht.

Paris - Die Anzeige trägt einen schwarzen Rahmen, einem Trauerfall angemessen. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing, Helmut Kohl und François Mitterrand, Gerhard Schröder und Jacques Chirac, Angela Merkel sowie Nicolas Sarkozy und François Hollande hätten eine traurige Mitteilung zu überbringen, heißt es darin: Den „Tod“ des Deutsch-Unterrichts an den französischen Schulen, ausgelöst durch die Reform von Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem.

„Die Trauerfeier findet im kleinsten Kreise statt, in Anwesenheit von ein paar Deutschlehrern, die es noch gibt.“ Mit ihrer beißenden Ironie könnte die Initiative ein Schmunzeln provozieren, doch hinter ihr steht die Sorge, dass das Deutsch-Angebot in Frankreich zurückgeht. Mit ihrer geplanten Reform der staatlichen Mittelschule, die alle Schüler von der 6. bis zur 9. Klasse gemeinsam besuchen, will Vallaud-Belkacem ab dem Schuljahr 2016 die bilingualen Klassen weitgehend abschaffen.

Sie begründet dies mit dem Kampf gegen die Elitenbildung und für mehr Gerechtigkeit im französischen Schulsystem, das laut Studien soziale Ungleichheit sogar noch verstärkt. Bis jetzt erhalten Zehntausende junge Franzosen in bilingualen Klassen parallel Unterricht in zwei Fremdsprachen, meistens Englisch und Deutsch.

Zur Disposition stehen auch die Europaklassen mit einem verstärkten Fremdsprachenangebot. Lediglich Kinder, die bereits in der Grundschule mit Deutsch angefangen haben, könnten dann noch eine zweisprachige Klasse besuchen, doch das sind nur sechs Prozent der jungen Franzosen.

„Die meisten beginnen erst in der sechsten Klasse mit Deutsch“, sagt Thérèse Clerc, Präsidentin des Vereins der Deutschlehrer in Frankreich. Gerade dank der bilingualen Klassen, von denen es im Schuljahr 2013/2014 insgesamt 3580 gab, wurde der Anteil der Deutsch lernenden Schüler auf 15,5 Prozent stabilisiert.

Lag er 1995 noch bei 22,9 Prozent, so folgte um die Jahrtausendwende ein rasanter Abstieg. Clerc befürchtet, dass mit dem Ende der bilingualen Klassen künftig noch mehr Jugendliche lieber Spanisch als zweite Fremdsprache nach Englisch wählen, das als leichter gilt, während Deutsch den Ruf hat, eine schwer zu erlernende Sprache der Elite zu sein.

„Wenn die Reform in Kraft tritt, entscheiden sich wohl noch weniger Kinder dafür“, prophezeit Clerc. „Und diese haben dann auch noch weniger Unterrichtsstunden pro Woche.“ Denn der Gesetzesentwurf sehe im Endeffekt eine Reduzierung der Gesamtstundenzahl vor. Das wirke sich auch auf die Zahl der Deutschlehrer aus. Eine Petition von Clercs Verein an den Präsidenten haben inzwischen fast 23 000 Personen unterzeichnet, darunter auch Prominente wie der in Deutschland geborene französische Historiker Alfred Grosser.

Hollande hat erklärt, er nehme die Sorgen zur Kenntnis. „Das ist noch kein Sieg, aber trotz allem ein erster Schritt“, erklärt Clerc. „Zumindest werden wir nun angehört.“ Angesichts des Versprechens, die Sprache des Nachbarlandes besonders zu fördern, das Deutschland und Frankreich anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Elysée-Vertrages zwischen beiden Staaten gegeben haben, reagieren nun auch germanophile Politiker auf Vallaud-Belkacems Pläne.

„Diese Maßnahmen fördern nicht die Annäherung an Deutschland“, warnt Ex-Premierminister Jean-Marc Ayrault, selbst Deutschlehrer. Das Erlernen der Sprache liege „im Herzen der deutsch-französischen Kooperation“. Auch der sozialistische Abgeordnete Pierre-Yves Le Borgn, der die in Deutschland lebenden Franzosen vertritt und der deutsch-französischen Freundschaftsgruppe in der Nationalversammlung vorsitzt, warnt vor der Maßnahme und erklärt, Vallaud-Belkacems Argument, sie bekämpfe damit die Elitenbildung im staatlichen Schulsystem, sei ungerecht: „Die bilingualen Klassen gibt es auch in kleinen Schulen auf dem Land oder in den sozialen Brennpunkten, nicht nur in den schönen Gymnasien. Es ist im Gegenteil ein Mittel, soziale Ungleichheit zu bekämpfen.“