Immer schön Abstand halten: Felix Winkler hat sich die Einbahnstraßenregelung für die Schüler der Stuttgarter Schule für Farbe und Gestaltung einfallen lassen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die weiterführenden Schulen bereiten sich fieberhaft auf die Teilöffnung vor. Dabei wird tatkräftig improvisiert – und korrigiert: Die Stadt muss die Zugangsverbote an Schulen lockern.

Stuttgart - Normalerweise würden Felix Winkler und dessen Kollegen um diese Zeit an der Gewerblichen Schule für Farbe und Gestaltung in Stuttgart-Feuerbach den Betrieb für 1000 Schüler koordinieren. Doch seit Mitte März sind alle Schulen wegen des Coronavirus geschlossen; sie sollen am 4. Mai zum Teil wieder öffnen – und Winkler wurde unversehens zum Chef-Beschaffer.

Er bestellte Aufkleber für Eingänge und Korridore, damit anlässlich der Teilöffnung für seine 600 Schüler ein Einbahnstraßenverkehr eingerichtet werden konnte. „Als andere Schulleiter das gesehen haben, wollten die das auch“, erzählt der Geschäftsführende Schulleiter der gewerblichen Schulen in Stuttgart. Der Fachmann weiß: „Man muss dafür eine spezielle Folie bedrucken lassen, die rutschfest und haltbar ist, denn ich gehe davon aus, dass das Wegeleitsystem mindestens ein Jahr halten muss. Zumindest so lange, bis es einen Impfschutz gibt.“ Auf Bitte des Schulverwaltungsamts habe er also 4000 solcher Aufkleber bestellt. Diese Woche würden die anderen Schulen damit beliefert.

Vorbereitungen unter Zeitdruck

„Die Vorbereitungszeit von zehn Tagen ist extrem knapp“, sagt Winkler. Auch für die Stadt: Deren Regelkatalog für Hygiene und Infektionsschutz schließt ausgerechnet die Schüler vom Präsenzunterricht aus, die mit Homeschooling nicht erreicht werden. Dabei hatte das Kultusministerium deren Präsenzbeschulung explizit empfohlen.

Auf Anfrage erklärte die Pressestelle von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), es handle sich vermutlich um ein Missverständnis. „Das ist ein absoluter Einzelfall. Wir klären das in Gesprächen mit der Stadt.“ Andreas Hein, der Leiter des Schulverwaltungsamts, versicherte auf Nachfrage: „Wir sind mit dem Land im Austausch. Es wird Lösungen geben, gruppenbezogene Angebote für Schüler/innen an der Schule zu machen, die im Fernunterricht weder digital, noch telefonisch oder postalisch erreicht werden können.“

Schwierige Vorbereitung auf Sportprüfungen

Derweil teilen Schulleiter in ganz Stuttgart ihre Klassen auf. „Alle 17 Schüler unserer Jahrgangsstufe 2 haben ihren festen Platz mit Namensschild. Die Tische sind gemäß den Abstandsregelungen gestellt“, sagt Holger zur Hausen vom Zeppelin-Gymnasium. Die 40 Schüler aus der Prüfungsvorklasse (Jahrgangsstufe 1) hingegen müssten wegen ihrer unterschiedlichen Fächerschwerpunkte in wechselnden Gruppen unterrichtet werden. „Sie haben je zwei Tage Blockunterricht, unterbrochen von einer 48-Stunden-Belegungspause des Klassenzimmers.“ Aus Infektionsschutzgründen.

Nicht alle Fälle seien befriedigend gelöst: Kooperationsschulen dürften keine Nachbarschüler aufnehmen. Schwierig sei auch die Vorbereitung aufs Sport-Abi, das eigentlich die Vorbereitung auf eine Mannschaftssportart und das Schwimmen einschließe, sagt der Geschäftsführende Schulleiter der Stuttgarter Gymnasien. Das Kultusministerium will „alternative Prüfungselemente“ bereitstellen, sollte eine Teilprüfung im Juli noch nicht möglich sein.

Hauptschüler an Realschulen im Nachteil

In der Schlossrealschule sieht sich Barbara Koterbicki gut gerüstet. „Montags und mittwochs haben wir die 65 Zehntklässler im Haus, am Dienstag und Donnerstag 100 Neuntklässler, und am Freitag dürfen Schüler kommen, die zur Risikogruppe zählen und in kleinen Gruppen unterrichtet werden sollen.“ Die Geschäftsführende Schulleiterin der Realschulen freut sich: „Ich habe die Schulschließungen als sehr schmerzlich empfunden und bin bei all dem Organisationsaufwand doch erleichtert, dass wir die Schüler wieder aufnehmen können.“

Sorgen mache sie sich allerdings um die G-Schüler, die derzeit in eine 8. Klasse Realschule integriert sind und nächstes Jahr die Hauptschulabschlussprüfung machen. Sie dürfen nicht zum Präsenzunterricht kommen. „Hätte man sie zugelassen, hätte man auch alle anderen achten Klassen Realschule zulassen müssen“, sagt Barbara Koterbicki. Eventuell könne man Einzelfälle freitags unterrichten. „Wir müssen sie auf jeden Fall im nächsten Jahr mehr fördern.“

Sorge um Infektionsschutz bleibt

Der Geschäftsführende Schulleiter der Sozialpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) Stuttgarts sorgt sich: „Mir geht es nicht so sehr um versäumten Stoff, sondern um die Schüler in schwierigen Lebenslagen. Die müssten wir dringend zu uns holen“, so Michael Hirn. Außerdem sorge sich das Kollegium um den Infektionsschutz: „Geistig oder körperlich beeinträchtigte Schüler können die Abstandsregeln keinesfalls einhalten, daher haben viele Beschäftigte Angst.“ Für die Beschaffung von Schutzmasken sei das Land zuständig, bis jetzt sei unklar, wer wann liefere.

Beim Homeschooling seien einige Eltern „an der Grenze des Machbaren“. Andererseits gebe es Sorgen um den Infektionsschutz an Schulen, so der Sprecher des Gesamtelternbeirats (GEB), Georg Lois. Deshalb würden einige das Fernlernen gern beibehalten, andere ihre Kinder das Schuljahr gern wiederholen lassen. „Wenn Homeschooling aber länger läuft, muss man Schüler, wo nötig, im Sinne der Lernmittelfreiheit mit Notebooks ausstatten“, so Lois.