Vom nächsten Schuljahr an wird es im Südwesten neben Haupt-/Werkrealschule, Realschule und Gymnasium auch die Gemeinschaftsschule geben. Foto: dpa

Nach den Sommerferien starten die ersten 40 Schulen im Land als Gemeinschaftsschulen.

Stuttgart - Knapp ein Jahr nach dem Regierungswechsel hat die grün-rote Regierungskoalition ihr wichtigstes bildungspolitisches Vorhaben auf den Weg gebracht: Vom nächsten Schuljahr an wird es im Südwesten neben Haupt-/Werkrealschule, Realschule und Gymnasium auch die Gemeinschaftsschule geben. Dort können Schüler alle Abschlüsse machen, die an den anderen drei Schularten möglich sind.

Nach derzeitigem Stand werden 40 Gemeinschaftsschulen an den Start gehen. Einige von ihnen hatten bereits unter der CDU-FDP-Regierung Anträge auf längeres gemeinsames Lernen gestellt, diese waren aber allesamt abgelehnt worden, weil die damalige Koalition das dreigliedrige Schulsystem nicht antasten wollte.

Vor der Abstimmung über das neue Schulgesetz lieferten sich Regierungsfraktionen und Opposition im Landtag einen Schlagabtausch. Sandra Boser, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, warf der CDU vor, sie schüre Ängste in der Bevölkerung. Viele CDU-Bürgermeister und Gemeinderäte seien aufgeschlossener als die CDU-Abgeordneten im Landtag.

Die Gemeinschaftsschule werde die Zahl der Schulabbrecher von bisher sieben Prozent deutlich reduzieren, sagte der SPD-Bildungsexperte Gerhard Kleinböck. Sein CDU-Kollege Georg Wacker warf der Landesregierung vor, Grün-Rot benachteilige alle anderen Schularten zugunsten der Gemeinschaftsschule. Die neue Schulart eröffne einen „enormen Konkurrenzkampf“ in und zwischen Kommunen. Timm Kern (FDP) erklärte, er sei „kein fundamentalistischer Gegner der Gemeinschaftsschule“. Allerdings sei die Umsetzung „dilettantisch“.

Lehrergewerkschaft jubelt über „Geschenk“

Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer verteidigte die Gemeinschaftsschule. „Baden-Württemberg wird endlich kein Land mehr sein, wo der Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängt“, sagte sie. Die Anmeldezahlen – 1880 Schüler zum kommenden Schuljahr – belegten, dass die Schule von den Eltern angenommen werde. Sie wolle aber den Kommunen die Entscheidung überlassen, wie ihre Schullandschaft vor Ort aussehen solle.

Die Gemeinschaftsschulen umfassen mindestens die Sekundarstufe eins mit den Klassen fünf bis zehn. Auch die Grundschule kann einbezogen werden, zudem ist eine gymnasiale Oberstufe möglich, wenn die Schule mindestens 60 Schüler je Jahrgang hat.

Die Schulen orientieren sich an den Standards von Haupt-/Werkrealschule, Realschule und Gymnasium, die Kollegien setzen sich mittelfristig aus Lehrern aller Schularten zusammen. Die Gemeinschaftsschulen sind verpflichtende Ganztagsschulen. In den Lerngruppen, in die auch behinderte Schüler aufgenommen werden, wechseln sich Frontalunterricht, Selbstlernphasen und Entspannung ab. Die Klassen haben höchstens 28 Schüler, an den anderen Schularten sind es bis zu 30.

Aus Sicht von Doro Moritz, Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, ist die Gemeinschaftsschule „das beste Geschenk, das die Landesregierung unserem Land, den Kindern, Eltern und Lehrkräften zum 60. Geburtstag Baden-Württembergs machen konnte“. Die Blockadepolitik sei beendet, nun müsse Grün-Rot noch die regionale Schulentwicklungsplanung vorantreiben. Die neue Schulart werde sich erst noch bewähren müssen, sagte Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung. Sie dürfe nicht als „allein selig machende Schulart dargestellt und entsprechend protegiert werden“.

Lob kam vom Baden-Württembergischen Handwerkstag. Er erwarte von der Gemeinschaftsschule mehr Chancengerechtigkeit, vor allem aber eine insgesamt höhere Bildungsleistung und damit mehr ausbildungsfähige junge Menschen, sagte Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle.