Das süße Leben aus Sicht der US-amerikanischen Fotografin Ruth Orkin, die am 3. September 100 Jahre alt geworden wäre: „Jinx und Justin auf dem Motorroller“, Florenz, Italien, 1951. Viele unveröffentlichte Arbeiten sind im Bildband „A Photo Spirit“ versammelt. Foto: O//Engel Film and Photo Archive; VG Bild-Kunst, Bonn 2021/Verlag Hatje Cantz

Leben ist manchmal auch Freude: Das zeigen die Straßenszenen und Porträts der Fotografin Ruth Orkin jetzt in einem grandiosen Bildband.

Stuttgart - Kairos ist der jüngste Sohn des Zeus, der Gott des rechten Augenblicks und der günstigen Gelegenheit. Und Ruth Orkin hat ein gutes Verhältnis zu ihm. Zum Beispiel auf einer Reise durch Italien.

Die Fotografin lernt eine junge Frau kennen – und kommt auf die Idee, sie als Model anzufragen. Sie sagt ja, marschiert beschwingten Schrittes durch Florenz, von bewundernden Blicken verfolgt: Das Foto wird berühmt. Auch weil es die nur kurz zurückliegenden Kriegsjahre vergessen macht und mit dem Klischee der allein reisenden Amerikanerin in Europa spielt.

Auf dem Fahrrad quer durch die USA

Allein unterwegs war Ruth Orkin selbst schon früh: Die Tochter eines Stummfilmstars und eines Spielzeugdesigners reiste 1939, gerade mal 18 Jahre alt, auf dem Fahrrad von Los Angeles nach New York. Man sieht mit ihren Augen die Stadt, den staunenden Blick, den manchmal liebevoll spöttischen – im Hafen herumturnende Jungs, missmutige Damen mit ihren Tieren auf der Hundeshow (eine Frau liegt schlafend in der Hundebox!), Kinder, Erwachsene imitierend und Grimassen schneidend, beim Kartenspielen.

Ruth Orkin und die Prominenten

Ruth Orkin, die 1985 starb, war auch filmbegeistert und arbeitete in jungen Jahren als Botenmädchen in Hollywood. Sie jagte nach Autogrammen und sie fotografierte Berühmtheiten: Alfred Hitchcock, Liz Taylor, Marlon Brando. Sie muss auch selbst charismatisch gewesen sein – enthusiastisch, aber auch stark und streng, so beschreibt Mary Engel ihre Mutter Ruth Orkin in einem lesenswerten Essay.

In dem Bildband sind auch Texte von Orkin selbst zu lesen. Darüber, wie sie arbeitet, was sie interessiert, wie es ihr manchmal leichter als männlichen Kollegen fiel, die Menschen für sich einzunehmen. Und stellt doch fest, dass es eine Fotografin in dem von Männern dominierten Geschäft schwer hat.

Eine Hommage zum 100. Geburtstag

Fast schon lakonisch bemerkte sie, dass Frauen weniger Geld als männliche Fotografen verdiene und sich auch kräftemäßig nicht traue, auf Pressekonferenzen mit den Kollegen und ihren Kameras zu rangeln und sich blaue Flecken einzuhandeln. Dafür hatte sie die Straßen, Bahnhöfe, Parks und Plätze für sich. Entstanden sind über 30 Jahre lang großartige Porträts von Menschen und ihrer Zeit.

Am 3. September wäre Ruth Orkin 100 Jahr alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt die Berliner Galerie f³ Werke von Ruth Orkin. Und der Bildband „A Photo Spirit“ ermöglicht einen Blick aufs Gesamtwerk der Fotografin. Was für ein Geschenk!

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Info

Bildband und Ausstellung
Ruth Orkin: A Photo Spirit. Hg. und mit Texten von Nadine Barth und Ruth Orkins Tochter Mary Engel. Verlag Hatje Cantz. 240 Seiten, 38 Euro. Galerie f³ – freiraum für fotografie in Berlin widmet Ruth Orkin eine Ausstellung vom 4. September bis 21. November.