„Wie eine Schaufensterpuppe“: Simon Geschke trägt in Paris stellvertretend für Jonas Vingegaard das Bergtrikot. Foto: imago/Panoramic International

Die deutschen Radprofis haben bei der Frankreich-Rundfahrt nichts gewonnen – außer an Sympathie.

Nach den Tränen in den Pyrenäen hatte Simon Geschke sein Lachen schnell wiedergefunden, und es ging ihm auch nicht erneut verloren – nicht mal nach der letzten Enttäuschung bei dieser Tour. Denn die Auszeichnung für den kämpferischsten Fahrer des Rennens wurde nicht an den Wahl-Freiburger vergeben, sondern an Wout van Aert. Was irgendwie ins Bild passte, das die deutschen Profis in Frankreich gezeichnet haben: Sie sind stark gefahren, gewannen aber nur an Sympathie. Allen voran Simon Geschke. „Ich habe eine gute Show abgeliefert“, sagte er mit einem Lächeln, „und darum geht es im Radsport ja auch.“

Bis zum letzten Pyrenäen-Anstieg nach Hautacam hatte Geschke (36) die Bergwertung angeführt, dann zog Jonas Vingegaard noch vorbei. Weil selbst der Mann in Gelb es aber nicht schafft, zwei Trikots gleichzeitig zu tragen, fuhr Geschke stellvertretend im Rot gepunkteten Shirt nach Paris. Anfangs fühlte er sich in dieser Rolle „wie eine Schaufensterpuppe“, am Ende aber sichtlich wohl im Kreise der Siegertypen dieser Tour – obwohl es ihm nicht gelungen war, als erster Deutscher das Bergtrikot zu gewinnen. Weil er jedoch für dieses Ziel alles gegeben hatte, ernannte ihn Landsmann Nils Politt kurzerhand zum „Sieger der Herzen“. Diesen Titel hätte auch Lennard Kämna verdient gehabt.

Drei Dramen

Aus Sicht der Deutschen war es eine Tour der verpassten Möglichkeiten. Geschke fehlten acht Punkte zum Bergkönig, Kämna elf Sekunden zum Gelben Trikot und 100 Meter zum Etappensieg in den Vogesen. Diese drei Dramen zeigten, wie umkämpft auf der größten Bühne des Radsports die Hauptrollen sind. Und wie schwer das Drehbuch zu beeinflussen ist. Letztlich belegte Alexander Vlasov, der Kapitän in Kämnas Team Bora-hansgrohe, zwar den starken fünften Platz in der Gesamtwertung, den angestrebten Etappensieg aber verpasste der deutsche Rennstall. Kritik daran verbat sich Rolf Aldag dennoch. „Man kann nicht unzufrieden sein, wenn die Fahrer alles gegeben haben“, sagte der Sportchef, „wir waren in jeder Ausreißergruppe vertreten, die irgendwie relevant war. Wenn man dann enttäuscht ist, hat man im Sport nichts zu suchen.“ Außer vielleicht eine Perspektive für die Zukunft.

Kämna (25) hat in dieser Saison nicht nur eine Etappe beim Giro gewonnen, sondern nun bei der Tour erneut angedeutet, dass er über großes Potenzial als Rundfahrer verfügt. Er selbst ist nicht abgeneigt, sich mal als Kapitän in einem einwöchigen Etappenrennen zu versuchen: „Das gehen wir nächste Saison an.“ In aller Ruhe. Denn seine Equipe weiß natürlich, dass es Kämna mental auch schnell mal zu viel werden kann. „Von uns gibt es keinen Druck“, sagt Teamchef Ralph Denk, „für uns ist Lenny immer eine Bereicherung – egal in welcher Rolle.“

Ähnlich sieht es bei Cofidis aus. Der französische Rennstall profitierte enorm von der Aufmerksamkeit, die Simon Geschke zuteil wurde. Der Vertrag des Routiniers gilt auch noch für 2023, dann wollte er eigentlich beim Giro starten. Doch dazu wird es nicht kommen. „Ich denke, ich werde bald mal fragen, ob ich auch die nächste Tour fahren kann“, sagte der Mann mit dem Vollbart, „ich bin ja ein junger Fahrer, vielleicht kommt die nächsten Jahre noch mehr.“ Es klang, als könnte Geschke kaum besser gelaunt sein.