Bijan Kaffenberger hat bei der Hessenwahl ein Direktmandat gewonnen. Foto: SPD-Pressestelle

Bei der Hessenwahl gab es für die SPD nur schmachvolle Niederlagen. Mit einer Ausnahme: Ein junger Youtuber mit Tourette-Syndrom hat in Darmstadt einer Ex-Ministerin der CDU das Direktmandat abgeluchst.

Wiesbaden - Mal abgesehen vom traditionell roten Nordhessen, wo die SPD in der kleinen Gemeinde Wahlsburg (Wahlkreis Kassel Land) mit 40,2 Prozent ihr landesweit bestes Ergebnis holte, hatten die Sozialdemokraten bei dieser Hessenwahl nicht viel zu lachen. Aber eine Ausnahme sticht aus den Wahlstatistiken heraus: Im südhessischen Darmstadt hat der 29-jährige Bijan Kaffenberger von der SPD es tatsächlich geschafft, der ehemaligen Kultusministerin Karin Wolff (59, CDU) das Direktmandat abzuluchsen. Kaffenberger wird in den Landtag einziehen.

Wenn Bijan Kaffenberger in einem Gespräch ist, wirft er ein bis zweimal pro Minute den Kopf zur Seite, schlenkert mit den Armen oder artikuliert gelegentlich seltsame Laute. Gläser sollten nicht in seiner Reichweite stehen. Als Kind ist bei ihm das Tourette-Syndrom festgestellt worden, eine von sogenannten Tics geprägte neurologische Erkrankung. Sie ist unheilbar. Aber Kaffenbergers sympathische Ausstrahlung, seine gewinnendes Lachen und seine sehr präzise und klare Sprache lassen den Gesprächspartner die neurologischen Aussetzer rasch ausblenden. Im Wahlkreis Darmstadt II hat der junge Politiker mit dem dunklen Wuschelkopf 28,3 Prozent der Wählerstimmen erhalten und damit die CDU-Frau Wolf überholt.

„Will nicht der Vorzeigepolitiker mit Behinderung sein“

Mit seiner Behinderung geht Kaffenberger sehr locker um, er will sie nicht in den Mittelpunkt stellen. Dabei ist er mit der von Hyperbole-TV produzierten Videoserie „Tourettikette“ bekannt geworden sowie mit der preisgekrönten Videokolumne „Frag ein Klischee“, die auch auf Youtube zu sehen sind. Dabei beantwortete er auch offen Fragen dazu, wie das bei Tourette eigentlich so sei mit dem Sex.

Bijan Kaffenberger hat allerdings keine Lust, sich auf das Thema Behinderung zu spezialisieren. Natürlich sei Inklusion wichtig, das schwinge in seinem Leben immer mit. Aber es ist nicht sein stärkstes Interessensfeld. Dem Magazin „Jetzt“ der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er kürzlich im Interview: „Ich habe kein Interesse daran, der Vorzeigepolitiker mit Behinderung zu sein.“ Kaffenberger hat Wirtschaftswissenschaft studiert und drei Jahre lang als Referent für Breitbandausbau im thüringischen Wirtschaftsministerium gearbeitet. In der Landtagsfraktion will er sich um die Digitalisierung und Wirtschaft kümmern.

„Den Bijan empfehle ich!“

Und warum ist so ein lockerer Typ wie er nicht bei den Grünen? Bijan Kaffenberger sagt, er sei bei seinen Großeltern aufgewachsen und die hätte stets eine Nähe zur SPD gehabt. „Ich hatte das Glück, dass meine Großeltern nachmittags immer zu Hause und für mich da waren, und mir bei den Hausaufgaben geholfen haben.“ Die Förderung sei wichtig für die Chancengleichheit, deshalb trete er für ein besseres Angebot an Ganztagsschulen in Hessen ein – ein Kernanliegen der SPD. Aber auch sonst fühlt er sich bei den Genossen gut aufgehoben: „Die Grundwerte der SPD – Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – sind immer noch wichtig.“

Im Wahlkampf hat der Komiker Hajo Heist, bekannt als Gernot Hassknecht in der „Heute Show“, mit Kaffenberger ein fünfminütiges Videogespräch geführt. Und von Kaffenberger war der für seine Wutpredigten bekannte Komiker so begeistert, dass er in diesen fünf Minuten kein einziges Mal geschimpft hat. Aber sein Schlusswort klang dann schon fast drohend: „Den Bijan empfehle ich!“ Das Wahlvolk von Darmstadt ist der Empfehlung offenbar gefolgt.