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Wer Big Tom nur mit Hosen kennt, geht aus Clubs zu früh nach Haus. Bisher machte sich der Mann, eine Stadtlegende, nur nachts nackt. Nun zieht er als Wasen-Model auf Werbewänden blank – mit der falschen Flasche. Die Champagnerfirma lässt die Plakate entfernen.

Stuttgart - Bis ins ferne Berlin hat es sich via Internet rumgesprochen, dass in der Heimat der Wutschwaben ein friedlich gesinnter Musiker zu später Stunde unbekleidet auf Barhockern anzutreffen ist. „Soll das heißen“, fragte ein Facebook-Freund, „dass man in einer biederen Stadt wie Stuttgart völlig nackt ausgehen kann?“ Nein, soll es nicht, lieber Facebook-Freund. Denn nackt im Club – das kann und darf nur unser Tom.

Bei allen anderen würden wir das nicht dulden. Bei Big Tom Yardley kommt niemand auf die Idee, Exhibitionismus zu vermuten. Er machte sich selbst zur Kunstfigur.

Anfang der Woche kam der „irgendwann in den 50ern südlich von London“ (also in der Cannstatter St.-Anna-Klinik) geborene Leadgitarrist der Beat-Area, der „im Büro“ arbeitete und als Beruf nun „Designer, Musiker, Model und Schauspieler“ angibt, aus dem Krankenhaus. Er traute seinen Augen nicht. Dass er sich mit einer Magnumflasche Veuve Clicquot für eine Plakatkampagne zum Frühlingsfest („35 Jahre Zum Wasenwirt und ganz Stuttgart feiert mit“) hatte fotografieren lassen, wusste er wohl. Doch die Dimension einer Werbewand wurde ihm erst bewusst, als er davor stand.

So big war Tom noch nie.

Wie ist das, wenn man über sich im öffentlichen Straßenraum liest, man sei legendär? „Big Tom, Stuttgarter Nightlifelegende“, steht auf dem Plakat. „Ach“, sagt Yardley, „ich hab’s nicht beabsichtigt, so ist das eben, das hat sich so ergeben.“ Wer älter wird, versteht vieles besser. Auf seiner Homepage hat er folgenden Spruch, angeblich eine „altschwäbische Bauernregel“, notiert: „Mit jedem Tag des Lebens steigt zwangsläufig die Zahl derer, die mich am Arsch lecken können.“ Warum er seit Jahren den selbigen vielen zur vorgerückten Stunde zeigt, hat nur einen Grund. Endlich lüftet er für die Leserinnen und Leser unserer Zeitung das Geheimnis: „In den Clubs ist es immer so heiß. Wären dort die Klimaanlagen besser, hätte ich mich nie ausgezogen.“

An der fehlenden Frischluftzufuhr liegt’s also! Deshalb wurde Big Tom Stuttgarts bekanntester Nackter. Das ist ein Ruf, den es zu verteidigen gilt. Wasenwirt Max-Rudi Weeber engagierte Yardley als schrägen Vorzeige-Vogel für die Plakataktion. Eigentlich sollte das Model einen Bierkrug zwischen den Beinen halten. Doch das, sagt ein Sprecher des Wasenwirts, habe „irgendwie blöd“ ausgesehen. Während des Foto-Shootings ging er in die nahe Bar Waranga und besorgte eine Magnumflasche Veuve Clicquot. Es ging alles sehr schnell.

Das Tempo blieb auch nach Drucklegung hoch. Kaum hingen die Plakate quer durch die Stadt, mussten sie schon wieder weg. Der Champagnerhersteller Veuve Clicquot fand die Aktion gar nicht lustig und drohte mit einer Unterlassungsklage. „Es war unser Fehler“, räumt der Sprecher des Wasenwirts ein, „wir haben Veuve Clicquot nicht gefragt.“ Um eine juristische Auseinandersetzung zu vermeiden, habe man sich bereiterklärt, alle Plakate zu entfernen und durch neue zu ersetzen. Auf dem neuen Motiv, das noch nicht fertig ist, soll Big Tom ebenfalls eine Champagnerflasche in der Hand haben – jedoch die „Hausmarke“.

Hat die Edel-Champagner-Marke protestiert, weil ihr das stolze Präsentieren einer Magnumflasche in diesem genitalen Werbeumfeld nicht gefällt? Oder war die Big Bottle eine Nummer zu groß für Big Tom? Das Herumschütteln von Schampus ist ein urmännliches Ritual, das mit freudig erregten Formel-1-Siegern zum leicht zu verstehenden Sinnbild wird. Ein Blick in die Historie verrät, dass eine Französin zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Firma ihres verstorbenen Mannes übernahm und 1810 in Reims das bis heute unter dem Namen Veuve Clicquot firmierende Champagnerhaus gründete.

Wollten Frauen nicht schon immer die gleichen Rechte? Warum sollen sich immer nur schöne Frauen in der Werbung ausziehen? Doch der Champagnerhersteller, der seinen Aufstieg einer Frau verdankt, holte den nackten Mann von der Plakatwand. Der Penisneid ist in der Psychologie bekannt. Gibt’s auch den Flaschenneid? Man kann vor Wut schäumen, aber auch vor Glück.

Lasst die Korken knallen! Wir erheben unsere Gläser – auf die baldige Genesung des aus dem Krankenhaus ins Nachtleben zurückkehrenden Big Tom!