Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie. Foto: Kraufmann

Die neue Stadtbibliothek nimmt Gestalt an - Verzögerungen wegen Witterung.

Stuttgart - "Bücherknast", schimpfen die einen. "Klare Formensprache", loben andere. An der neuen Stadtbibliothek hinterm Hauptbahnhof scheiden sich die Geister. Trotz Bauverzögerungen soll das 79 Millionen Euro teure Projekt des koreanischen Architekten Eun Young Yi noch in diesem Herbst eingeweiht werden.

Wie ein Solitär ragt die neue Stadtbibliothek hinterm Hauptbahnhof in den Himmel. Doch die Konturen des etwa 37 Meter langen wie breiten und 40 Meter hohen Kubus verschwimmen. Das Grau des Gebäudes, das des Winterhimmels und das der Baustelle, auf der das neue Europaviertel entsteht, fließen ineinander. Auch Verfechter der strengen, klaren Architektur räumen ein, dass der Bau derzeit trist wirkt.

Außen ist die Bibliothek spröde

"Das wird nicht so bleiben und die Bibliothek den Hügel nicht auf Dauer so beherrschen, sondern sie wird sich in die Bebauung des neuen Viertels einfügen", versichert Christine Brunner den künftigen Nutzern bei den Baustellenführungen. Doch das Gebäude wird seine Sprödigkeit von außen behalten - daran ändert auch die Fassade aus unzähligen, 24 mal 24 Zentimeter großen Glasbausteinen nichts. "Das ist so gewollt. Nach außen soll das Haus verschlossen wirken, aber innen neue Welten öffnen", so die stellvertretende Leiterin der Stadtbibliothek. Dass das Gebäude Menschen aller Nationen offen steht, sollen die Inschriften des Gebäudes in 40 Meter Höhe symbolisieren: An der Westseite ist auf Englisch, der Nordseite auf Deutsch, der Ostseite auf Koreanisch und auf der Südseite auf Arabisch das Wort Bibliothek silbern eingelassen.

Im Gebäudeinneren laufen die Arbeiten auf Hochtouren. In sämtlichen Geschossen bis aufs Untergeschoss ist der Estrich eingebracht und die Fußbodenheizung eingezogen. Die Arbeiten für Heizung, Elektro- und Sanitäreinrichtungen sind kurz vor Abschluss. In den oberen Etagen werden Linoleum für den Fußboden und an den Decken Lochplatten zur Schalldämpfung verlegt. Mit etwas Fantasie können sich die Baustellenbesucher vorstellen, wie es in der neuen Bibliothek zugehen wird.

Ihre Führungen beginnt Brunner im sogenannten Herzen des Würfels. In dem sich über vier Etagen ausbreitenden Luftraum können die Gedanken das Fliegen lernen. Dort gibt es nichts, wo sie anstoßen könnten. Lärm soll nach draußen verbannt und der Raum Ort der Besinnung sein. 100 Kubikmeter Leere: Sie ist gedacht als Gegenwelt zu einem überfüllten Alltag. Als Symbol für den Fluss der Erkenntnis wird nur das Plätschern einer Quelle die Ruhe durchbrechen. "Eine häufige Fragen ist, ob wir den leeren Raum nicht für die Bücher brauchen", sagt Brunner und stellt fest, dass die neue Bibliothek viel mehr als ein Bücheraufbewahrungsort sein wird.

Der philosophische Ansatz ist wichtig

Ihre Erfahrung bei den Führungen: Viele Baustellenbesucher akzeptieren die Architektur, sobald sie den philosophischen Ansatz kennen. Ihre Funktion - rund 350.000 Bücher sowie 150.000 DVDs und CDs zum Ausleihen aufzubewahren und Leseecken zu bieten - erfüllt der achtgeschossige Bau von der vierten Etage an. Wie eine umgekehrte Pyramide liegt die fünfstöckige Galerie auf dem Herzen des Gebäudes. Insgesamt werden 2,5 Kilometer Bücherregale an den Wänden entlanglaufen. Vier Treppenanlagen geben dem Raum Struktur. Die filigranen Geländer schaffen Transparenz. Durch ein Glasdach wird das Licht in die Bibliothek und von dort durch ein Oberlicht nach unten in die Eingangshalle fallen. "Bei Sonne ist die Bibliothek so lichtdurchflutet, dass wir kein künstliches Licht brauchen", sagt Brunner.

Bei gutem Wetter können die Besucher einen Rundumblick über Stuttgart von der Dachterrasse genießen. Bis zur Eröffnung des Hauses soll für die Caféteria im achten Stock ein Betreiber gefunden sein. Nachtschwärmer werden dann rund um die Woche 24 Stunden Medien ausleihen können. "Bei einem der vier Eingänge wird eine Auswahl von 150 Büchern, CDs und DVDs zur Verfügung stehen", sagt Brunner.

Oktober oder November wird wohl eröffnet

Die sogenannte Bibliothek für Schlaflose kommt ohne Personal aus. Die Medien stecken einzeln in Regalfächern - so wie Süßigkeiten in Automaten. Sobald ein Benutzercode eingegeben wird, geht das Fach auf. Wegen der vierwöchigen Bauverzögerungen durch den Winter ist offen, ob im Oktober oder doch erst im November eröffnet wird.

Der Bau der beiden 300 Meter Tunnelröhren für die Stadtbahnlinie U12 unter der Bibliothek liegt dagegen fast im Zeitplan. "Ende März sind wir fertig", sagt Projektleiter Bernd Schröder vom Tiefbauamt der Stadt. Bis erstmals eine Stadtbahn über das A1-Areal fährt, wird es voraussichtlich 2014. Damit den Lesern im Haus das Buch nicht aus der Hand fällt, wenn die U12 unter der Bibliothek durchrauscht, werden die Röhren in dem Bereich auf Lager gebaut, und ein Luftraum verhindert, dass Schall und Vibrationen sich übertragen.

Die vier Führungen bis zum Sommer sind ausgebucht. An einem Tag der offenen Tür soll es von 9 bis 21 Uhr Führungen geben. Der Termin steht noch nicht fest.