An Büchern verdienen viele mit – von den Autoren über die Verlage bis zu den Händlern. Foto: Faltin

Verlage haben an den Tantiemen ihrer Autoren stets mitverdient. Jetzt sollen sie die Einnahmen zurückzahlen. Das bringt viele in große Not.

Stuttgart - Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofes hat Titus Häussermann vom Silberburg-Verlag schockiert. „Eine über ein halbes Jahrhundert eingeübte Praxis sollte nicht einfach gekippt werden“, ärgert sich der Geschäftsführer. Er hält es für falsch, dass der BGH der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) nun verboten hat, ihre Einnahmen aus Urheberrechten nicht mehr auch an Verlage, sondern nur noch an Autoren auszuschütten. Vor allem kleinere Verlage seien durch den Verlust dieser Einnahmen in ihrer Existenz bedroht, sagt Häussermann: „Ich kenne einige Kollegen, bei denen ich mir vorstellen kann, dass sie das nicht überleben werden.“

Was die meisten nicht wissen: Wenn jemand aus einem Buch Kopien macht oder einen Band aus einer Bücherei ausleiht, müssen Copyshop und Bibliothek Geld an die VG Wort abführen, denn die in München ansässige VG Wort verwaltet seit 1958 treuhänderisch die Nutzungsrechte von 400 000 Autoren und Journalisten sowie von 10 000 Verlagen in Deutschland. Sprich: die VG Wort sammelt das Geld ein und verteilt es an die Mitglieder – bei wissenschaftlichen Werken erhält der Verlag 50 Prozent, bei belletristischen Büchern 30 Prozent der Einnahmen. Diese lagen 2015 insgesamt bei 305 Millionen Euro.

Doch nun hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass Verlage keine Urheber seien. Geklagt hatte ein Autor wissenschaftlicher Werke. Für die Jahre von 2012 bis 2015 müssen alle Verlage deshalb die Zuwendungen zurückbezahlen.

Es fehlen die Rücklagen

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Baden-Württemberg hat jetzt eine Umfrage unter den Verlagen im Land gemacht. Die Mehrzahl der Verlage sei schwer betroffen, sagt Reinhilde Rösch, die Geschäftsführerin des Landesverbandes. In einem Fall müsse ein Verlag mit einem Jahresumsatz von einer Million Euro jetzt 150 000 Euro zurückbezahlen, bei einem anderen Unternehmen seien zwei Stellen in Gefahr: „Kleine Verlage haben oft keine Rücklagen gebildet, und jetzt ist manchmal der Ertrag von einem ganzen Jahr weg.“

Rösch kann das Urteil des BGH nicht nachvollziehen: „Die Verlage sind nicht die großen Kapitalisten, die die Autoren ausbeuten.“ Vielmehr würden heute ganz viele Buchprojekte von den Verlagen angestoßen, sie finanzierten die Werke auch vor – es sei deshalb nur gerecht, dass sie einen Anteil an den Ausschüttungen der VG Wort erhielten. Man wolle bei Bund oder Land anfragen, ob die Härtefälle finanziell abgefedert werden könnten.

Der Bund soll eine neue Regelung treffen

Als „bitteres Urteil“ bezeichnet Ilas Körner-Wellershaus vom Ernst Klett Verlag die Entscheidung der Richter. Man habe aber vorsichtshalber Rückstellungen gebildet. Auch er bemängelt, dass die erheblichen Leistungen der Verlage bei der Entstehung etwa eines Schulbuches nicht berücksichtigt werden. „Bei uns gibt kein Autor ein fertiges Manuskript ab“, sagt der Verlagsleiter, „so läuft das nicht.“ Zwei mögliche Wege aus dem Dilemma sieht Körner-Wellershaus. Entweder müsse der Gesetzgeber beim Urheberrecht nachbessern, so dass auch Verlage einen rechtlichen Anspruch auf Vergütung erhielten. Oder es bedürfe eines Leistungsschutzrechts für die Verlage – was der wesentlich kompliziertere und aufwendigere Weg wäre.

Für den Tübinger Silberburg-Verlag belaufen sich die anstehenden Rückzahlungen auf eine beträchtliche Summe. Für den Zeitraum von 2012 bis 2015 müssten rund 90 000 Euro zurücküberwiesen werden, schätzt Häussermann und sieht sich wohl gezwungen, einen Kredit aufzunehmen. Beim Belser Verlag in Stuttgart sind es etwa 75 000 Euro. Der Geschäftsführer Bernhard Kolb hofft darauf, dass die Rückzahlungen nicht sofort geleistet werden müssen, sondern mit künftigen Zahlungen verrechnet werden – falls es jemals wieder welche geben sollte.

Tatsächlich existiert das Versprechen des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) und des EU-Kommissars Günter Oettinger (CDU), in der Sache aktiv zu werden. Auf die Politik setzt deshalb auch Rainer Just, einer der beiden geschäftsführenden Vorstände von VG Wort: „Ich hoffe nur, dass allen die Dringlichkeit bewusst ist.“ Bis September müsse das Justizministerium Klarheit geschaffen haben, denn dann findet die entscheidende Mitgliederversammlung statt.

Autoren freuen sich über höhere Zuwendungen

Bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt, zu der auch der Theiss Verlag mit baden-württembergischen Büchern gehört, ist das Urteil ebenfalls eine „mittlere Katastrophe“, wie die Geschäftsführerin Beate Varnhorn erklärt. Man rechnet mit einer Rückzahlungssumme von mehreren Hunderttausend Euro. In seiner Existenz sei der Verlag aber nicht bedroht. Sie verweist darauf, dass Bücher künftig teurer würden oder die Autoren weniger erhielten, wenn die Einnahmen aus VG Wort ganz wegfielen: „Der Buchmarkt ist keine dicke fette Torte, von der sich jeder eine Scheibe abschneiden kann – vielmehr haben wir in Deutschland sowieso ein Verlagssterben.“

Christine Lehmann, Stuttgarter Autorin und Vorsitzende des baden-württembergischen Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, sieht das Urteil zwiespältig. Mit kleinen Verlagen, die um ihr Überleben kämpften, fühle sie sich solidarisch – bei großen Verlagen sei das Mitgefühl begrenzter: „Autoren verdienen sowieso recht wenig, die Verlage geben nur zwischen fünf und neun Prozent des Ladenverkaufspreises an die Autoren ab.“ Es freue sie deshalb, wenn die Autoren jetzt über VG Wort etwas mehr bekämen. Grundsätzlich sagt Christine Lehmann: „Die Verlage müssen sich finanziell bewegen; sonst werden immer mehr Autoren ihre Bücher im Selbstverlag herausbringen. Das ist heute ja kein Problem mehr.“

Viele Fragen, die die Verlage jetzt haben, kann die VG Wort erst im September nach der Mitgliederversammlung beantworten. Wann und in welcher Form die Rückzahlung erfolgen muss, dazu soll dort ein Vorschlag gemacht werden, sagt Rainer Just – auch er hofft, dass die Rückforderungen mit künftigen Erträgen verrechnet werden können. Klar ist im Moment aber nur zweierlei. Erstens: Die Verlage gehen in diesem Jahr leer aus. Und zweitens: Die „eingesparte“ Summe wird vorerst nicht an die Autoren ausbezahlt, sondern erst dann, wenn klar ist, wie das BGH-Urteil in seinen letzten Verästelungen zu verstehen ist.