Michael Eckel sagt, er würde den Stadtbezirk erfühlen. Foto: Judith A. Sägesser

Seine Leidenschaft hat Michael Eckel zum Fernsehturm geführt. Neuerdings sitzt er im Bezirksbeirat.

Degerloch - Er sitzt da, wo er hingehört: zwischen Büchern. Wer etwas über Michael Eckel erfahren will, trifft ihn am besten in seinem Antiquariat an der Degerlocher Löwenstraße. Neben ihm, unter ihm, über ihm – überall Bücher. „Es sieht in Antiquariaten eigentlich immer so aus“, sagt er und lächelt. „Die Leute mögen das, ich würde es mir manchmal gerne anders vorstellen.“ Die Bausteine für die Büchertürmchen tragen Titel wie „Die Kunst des deutschen Möbels“, „Die Geschichte des Impressionismus“ oder „Modellbauhaus“. „Kunst im weitesten Sinne“, fasst Michael Eckel sein Thema zusammen.

Wie er so dasitzt in seinem Laden, hat er etwas von einem Gemälde, und die Bücher sind der Rahmen. „Das Buch ist mein Leben“, sagt der 58-Jährige. Er wird anderthalb Stunden brauchen, um den Satz zu erläutern. Da das Buch sein Leben ist, ist es natürlich seine Lebensgeschichte. Aus dem Radio dudelt währenddessen Jazziges, und oben an der Decke steuert eine dicke Fliege unermüdlich gegen die Neonröhre.

Die anderthalb Stunden erklären, wie es den Saarländer mit der rauchigen Stimme unter den Stuttgarter Fernsehturm verschlagen hat. Die Erzählzeit ist voller Kurzweil und kurioser Wendungen. Es ist eine Geschichte mit Zufällen, Ortswechseln und Berufung. Und das Buch ist der rote Faden, es hat dem Protagonisten Michael Eckel seinen Traumjob beschert, es hat ihn zu seiner zweiten Frau geführt – und vor drei Jahren in den Laden an der Degerlocher Löwenstraße.

Im Elternhaus gab es kaum Bücher

Die Geschichte beginnt mit einem Schuljungen, der nicht artig war. Er ist vom Gymnasium geflogen, und sein Vater hat ihm eine Lehrstelle als Bürokaufmann besorgt. „Damals war das eine Quälerei für mich“, sagt Michael Eckel. „Ich habe gemerkt, das ist nicht mein Leben.“

Der Junge hatte schon früh ein Faible für Literarisches. Und das, obwohl es in seinem Elternhaus so gut wie keine Bücher gab. „Ich wollte nicht so werden wie mein Vater“, sagt er. „So ohne Buch und Information.“ Er mochte seinen alten Herren, aber die Leidenschaft fürs Lesen hat Michael Eckel von der Mutter geerbt. Die hat ihrem Sohn zu besonderen Festtagen, trotz angespannter Haushaltskasse, einen Karl May und später Technikbücher geschenkt.

Nach der Lehre im Büro und einem abgebrochenen BWL-Studium hat Michael Eckel mit dem begonnen, was längst sein Leben war. Er hat eine Ausbildung bei einer Uni-Buchhandlung gemacht und hernach eine Stelle in Köln bei dem in der Branche renommierten Buchhändler Walther König ergattert. Nach vier Jahren hat er den Traum beendet: Seiner ersten Frau hat es in Köln nicht gefallen. Also hat er in Saarbrücken eine Buchhandlung eröffnet.

Viel rumgekommen

Er musste eines Tages nach Paris fahren, um in einem Antiquariat an der längsten Straße der Stadt, der Rue de Vaugirard, zufällig seinen einstigen Chef Walther König zu treffen. Einen Café au Lait und eine halbe Stunde später hatte Michael Eckel einen neuen Job. „Eckel, wir machen einen Laden in Frankfurt auf“, hatte König gesagt. Weil es um die Beziehung zu seiner ersten Frau damals schon schlecht stand, hat Michael Eckel die Buchhandlung eröffnet.

Während seiner Zeit bei Walther König ist Michael Eckel viel rumgekommen. Und zwar auf dem gesamten Erdball. Bei einer Veranstaltung in Chicago, zu der nur wichtige Leute aus der Branche eingeladen waren, hat er eine Frau kennengelernt, die sich ihm gegenüber an jenem Abend unfreundlich und wie eine „blöde Kuh“ verhielt. Wenige Jahre danach hat er sie geheiratet – und ist vor zwölf Jahren zu ihr nach Degerloch gezogen.

Seit drei Jahren gibt es das Antiquariat an der Löwenstraße. Es hat dem 58-Jährigen geholfen, sich im Bezirk einzuleben. „Hier im Laden erfühlt man den Stadtbezirk“, sagt er. Die Kundschaft ist rar, das meiste verkauft er per Mausklick. Doch ab und zu steht jemand da, der einfach reden will. Michael Eckel ist inzwischen so in Degerloch verwurzelt, dass er sich jüngst entschieden hat, Mitglied im Bezirksbeirat zu werden. Seit der Juni-Sitzung vertritt er die kommunale Wählergruppe SÖS. Er macht das, weil SÖS keine Partei ist und weil es seiner Meinung nach auf Bezirksebene nicht um parteipolitisches Geschacher geht, „sondern um ein konkretes Problem“.

Michael Eckel ist fertig. Er sitzt immer noch wie ein Bild im Rahmen zwischen seinen Büchertürmen. Der Jazz aus dem Radio ist verklungen, die dicke Fliege ist abgestürzt. Sie lag zwischenzeitlich auf dem Rücken neben dem Schuh des Erzählers, dann hat sie sich aufgerappelt, ist aber am Boden sitzen geblieben. Ganz so, als wollte sie die Geschichten aus nächster Nähe hören.