Rechter Hand das Fluxus, linker Hand die Polizeirazzia am Haltestellenabgang, in seinem Rücken seine Wohnung: Uwe Kalkowsky inmitten seines Wohnquartiers Foto: red

Stadtbewohner erklären ihr Quartier: Uwe Kalkowsky lebt seit 16 Jahren an der Calwer Straße. Hier stößt Geld auf Armut, hier stehen schöne Altbauten neben architektonischen Scheußlichkeiten. Aber genau diese Gegensätze mag er.

S-Mitte - Die Polizei kommt wie auf Bestellung. Sechs Mann und eine Frau entern die Haltestelle Stadtmitte. „Jetzt räumen sie wieder die Treppe auf“, sagt Uwe Kalkowsky. Auf der treffen sich Obdachlose, Alkoholiker, Drogensüchtige. Sie sind gleichsam Kalkowskys Nachbarn. Er sitzt vor dem Café am Ende der Calwer-Passage. In seinem Rücken steht sein Wohnhaus. Während die Kontrolle friedlich verläuft, bummeln Einkaufswillige an den Schaufenstern der Läden vorbei.

Hier prallen die Gegensätze aufeinander. Hier stößt Geld auf Armut. Hier verkaufen die Inhaber der Fluxus-Geschäfte gegen das Einkaufszentrum Gerber und die Filialen der Königstraße an. Hier stehen die Jugendstilhäuser der Calwer Straße neben den blechummantelten Scheußlichkeiten der Theodor-Heuss-Straße.

Ziemlich genau deswegen wohnt Kalkowsky hier, obwohl auch das Schlafbedürfnis der Anwohner auf die Partyfreuden der Nachtschwärmer prallt – samt dem Willen der Wirte, bis in den Morgen hinein zu kassieren. „Wenn ich an einem Samstag früh zum Flughafen muss, gucke ich links und rechts und entscheide, wo weniger Schnapsleichen liegen“, sagt Kalkowsky. Und an Wochentagen hupt vom Morgengrauen an unter seinem Schlafzimmerfenster der Lieferverkehr. „Da sieht man schon die Spurrinnen im Pflaster der Calwer Straße“, sagt Kalkowsky, „das ist für solche Belastungen nicht gedacht“.

Die Straßenmusiker nerven gelegentlich

Derlei stört ihn nicht. Manches nervt nur gelegentlich, wie die Straßenmusikanten, die trotz Verbot fiedeln, bis Mitternacht. Er argwöhnt nur, dass „die Stadt alles genehmigt und wartet, ob Beschwerden kommen“, sagt er, aber „Partystadt wird sie nie“. Er sollte es wissen. Geboren ist er im beschaulichen Rosenheim, aber groß geworden in München. Seit 16 Jahren wohnt er im Altbau an der Calwer Straße, in der sich Lokal an Lokal reiht. Zwei Jahre nach seinem Einzug zog sein Freund Oliver zu ihm, der längst sein Ehemann ist. Ans Wegziehen dachten sie nie, anders als ihre Nachbarn, die tatsächlich wegzogen.

„Ich brauche das Leben mittendrin“, sagt Kalkowsky. Allerdings versteht er unter mittendrin Anderes als das Partyvolk. Die Königstraße interessiert ihn nur ausnahmsweise für einen schnellen Einkauf. In den Clubs und Bars auf der Theodor-Heuss-Straße und in ihrer Umgebung wird ihn nie jemand sehen. Selbst in den Lokalen direkt vor seiner Haustür ist Kalkowsky selten zu Gast. Seine Lieblingsweinstube ist der Viertelesschlotzer im Westen, sein liebste Café das Zimt und Zucker im Heusteigviertel, und der Innenhof des Alten Schlosses ist sein Lieblingsort in der Stadtmitte. Er genießt dort die Ruhe und die Erhabenheit der Architektur oder abendliche Konzerte.

Die Stadt der architektonischen Fehlgriffe

„Ich liebe die Oper“, sagt Kalkowsky. Er sitzt auch mal vor ihr auf der Treppe und schaut in den Schlossgarten, auch wenn „der Eckensee keinen Anblick wert ist“. Oder er schlendert durch den Park bis nach Cannstatt. Wie jetzt, wenn auch gerade über den Fußgängersteg an den Verwüstungen der S-21-Baustelle vorbei. „Wenn wir im Urlaub sind, sprechen wir schon gar nicht mehr über den Bahnhof“, sagt er. Ihm scheint stets, als sei der das einzige Thema, mit dem Stuttgart je über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus bekannt geworden ist. „Das sind sonst immer endlose Diskussionen“, sagt er. Stuttgart sollte für mehr stehen als eine Baustelle. Kalkowsky hält die Stadt für „die perfekte Mischung aus Großstadt, Natur und Kultur“.

Stuttgart ist aber auch die Stadt der architektonischen Fehlgriffe. Vorhin stand Kalkowsky vor dem Künstlerhaus am Schlossplatz. Den Blick hinüber in Richtung Kunstmuseum empfiehlt er Besuchern stets als den schönsten übers Zentrum – als einer der wenigen schönen. „So sollte eine Großstadt aussehen“, sagt er: Hinter dem Alten Schloss ragt die Stiftskirche auf. Rechts davon gleißt der Museumswürfel vor dem Kleinen Schlossplatz.

Und so sollte eine Stadt nicht aussehen: „Wenn es etwas gibt, was mich stört, dann ist es dieser Platz“, sagt Kalkowsky, „man hat aus jedem Blickwinkel das Gefühl, hier ist hinten.“ Er steht auf dem Kronprinzplatz. Passend zu seinem Unmut parkt quer über den Platz ein Schwerlaster, aus dem heraus eine Firma ihr Katzenfutter preist. Die Reklame hilft nicht, außer der Stadtkasse. Niemand bleibt stehen, aber die Stadt kassiert Miete.