Die Stuttgarterin Ebru Kanat ist im Auswahlverfahren unter den letzten 86. Foto:  

Ebru Kanat aus Stuttgart ist Ingenieurin und hat einen Traum: Sie will als erste Frau für Deutschland zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Dafür läuft beim Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum momentan ein Bewerbungsverfahren – und Kanat steckt mitten drin.

Stuttgart - Wäre ihre Cousine nicht gewesen, hätte Ebru Kanat aus Stuttgart die Bewerbung womöglich nie abgeschickt. Denn die Verwandte hat die großen Plakate zur Kampagne „Die Astronautin“ gesehen und Ebru Kanat davon erzählt. Hinter dieser Aktion steckt ein großes Ziel: Eine private Initiative sucht eine Frau, die erstmals für die Deutschen zur Internationalen Raumstation (ISS) fliegt. „Ich habe vorher darüber gar nicht konkret nachgedacht. Sicherlich war es als Kind bereits für mich ein Traum, einmal ins All zu fliegen. Aber, dass ich mich einmal als Astronautin bewerbe – das war einfach zu weit weg“, erzählt die 34-jährige Ingenieurin.

Kurz vor Bewerbungsschluss im April dieses Jahres reichte sie ein Bewerbungsvideo mit Anschreiben ein. Seitdem hat Ebru Kanat Runde um Runde in diesem sehr speziellen Auswahlverfahren gemeistert. „Immer, wenn man erneut etwas einreichen soll – sei es ein Tauglichkeitszeugnis oder medizinische Fragebögen – weiß man, dass es weitergeht“, beschreibt die Stuttgarterin das Verfahren. Die Bewerbungsrunden können Skype-Interviews oder Tests sein. 400 Mitkonkurrentinnen waren es zu Beginn. Nun sind nur noch 86 Frauen übrig. In Berlin haben sie sich im Sommer bei einem Treffen kennengelernt, und nun nehmen die Top-Bewerberinnen an den medizinisch-psychologischen Eignungsuntersuchungen teil, die an diesem Mittwoch in Hamburg anstehen.

Person muss ins Team passen

„Ich weiß nicht so recht, was da auf uns zukommt“, sagt Ebru Kanat ein paar Tage vor dem großen Tag. Sie deckt durch ihr Ingenieursstudium bereits einige Themenbereiche, die in der nächsten Bewerbungsrunde gefordert sind, gut ab: Mathematik, Physik, räumliches Denken. Aber: „Wir dürfen bei den Tests nichts außer unseren Verstand benutzen. Deshalb habe ich zum Beispiel schnelles Bruchrechnen geübt.“ Dennoch sei ihr klar, dass sie nicht alle Aufgaben vorher üben könne: „Am Ende zählt das Gesamtpaket, der Charakter und wie die Person ins Team passt.“

Viele der Aufgaben wie Reaktionstests könne man ohnehin nicht vorbereiten. „Ich bin sehr nervös“, gesteht Kanat vor dem Auswahlverfahren in Hamburg. Ein Faktor, den sie beeinflussen kann, ist eine gesunde Ernährung: „Die Blutwerte müssen stimmen, deshalb esse ich sehr gesund und auch viele Vitamine.“

Schließlich hängt davon und von den Tests einiges ab. Falls sie eine Runde weiterkommt, werden nur noch 30 Kandidatinnen übrig bleiben. Bis 2017 sollen dann die Top 10 stehen. Diese werden dann im DLR in medizinischen Tests auf Herz und Nieren überprüft. Am Ende werden zwei Kandidatinnen für eine Ausbildung zur Astronautin am DLR vorgeschlagen; vorausgesetzt, beim crowd-funding, das die Mission und Ausbildung mit unterstützen soll, kommt genügend Geld zusammen.

Die Idee zum Projekt hatte eine Frau: Die diplomierte Ingenieurin für Luft- und Raumfahrt und geschäftsführendes Vorstandsmitglied von HE Space Operations – ein Personaldienstleister für hochqualifizierte Fachkräfte in der Raumfahrt – Claudia Kessler brachte die Idee ins Rollen.

Im Jahr 2020 geht es dann für eine der Bewerberinnen ins All zur ISS. Der Gedanke, dass sie diese Person sein könnte, begeistert Kanat und ihre Familie. „Mich unterstützen all meine Tanten, Onkels, Schwestern und Freunde“, sagt die 34-Jährige. Die Einzige, die sich große Sorgen mache, sei ihre Mutter. Kanats Eltern stammen aus der Türkei, sie selbst ist in Deutschland geboren und aufgewachsen – der Stolz auf die kluge Tochter, die ins All fliegen will, ist groß.

Mutter macht sich Sorgen

Aber auch ihr Arbeitgeber, die Firma Mahle in Stuttgart, sieht die Bewerbung laut Kanat positiv: „Mein Chef unterstützt mich ebenfalls voll und ganz.“ Dass sie nach einer möglichen Astronautenausbildung vielleicht nicht mehr an ihren bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren werde, sieht Kanat als etwas Positives. „Das wäre ein absolut neuer Lebensabschnitt. Aber ich will wachsen und freue mich riesig darüber, so weit gekommen zu sein.“

Besonders reizt sie an dem Trip ins Weltall das Gefühl der Schwerelosigkeit. „Aber auch das internationale Team aus Wissenschaftlern kennenzulernen und Unbekanntes zu erforschen interessiert mich sehr.“ Einen Beitrag zur Forschung zu leisten, sei ihr größtes Ziel. Bei zehn Tagen Aufenthalt in der Internationalen Raumstation sei es kaum möglich, große Projekte anzufangen – aber die Einsatzgebiete sind vielfältig, und Ebru Kanat kann sich vieles vorstellen. „Ich bin so wissbegierig, dass ich mich auf jedes wissenschaftliche Themengebiet freue.“ Und: „Es soll auch Untersuchungen geben, wie sich der weibliche Körper in der Schwerelosigkeit verhält.“

Einer, der die Reise zur ISS bereits hinter sich hat, ist Astronaut Alexander Gerst. Dieser ist für Kanat ein Vorbild – denn auch er lebt seinen Traum vom Weltall und teilt dies gerne mit der jüngeren Generation. „Ich bewundere Astronauten wie Gerst – er spiegelt mit seiner Forschung für die breite Masse wider, wie toll das Gebiet der Forschung ist. Ich würde mich freuen, wenn ich das auch mit Jüngeren teilen und sie für diese wissenschaftlichen Berufe begeistern kann.“

Erste deutsche ISS-Astronautin gilt als „role model“

Durch die Kampagne wird die erste deutsche ISS-Astronautin auch als sogenanntes „role model“ dienen – als Vorzeigefrau, die Jüngere für wissenschaftliche Studiengänge begeistern soll. „Die Aktion ist toll, da sich viele Mädchen noch nicht in die Wissenschaft trauen“, sagt die 34-Jährige. Ihren Weg vom Studium bis zum heutigen Beruf und der Bewerbung als „die Astronautin“ sieht sie als möglichen Ansporn für andere: „Ich mache es einfach und ziehe Dinge gerne durch.“