Regina Fahr engagiert sich ehrenamtlich in der Bewährungshilfe Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Bürgerliches Engagement ist eine wichtige Säule in der Gesellschaft. Allerdings gibt es auch Grenzfälle. Funktioniert das Ehrenamt in der Bewährungshilfe? Das Beispiel einer Stuttgarterin gibt Antworten.

Stuttgart - Wer sind diese Bürger, die sich einmischen, gestalten und ohne professionelles Mandat in der Gesellschaft wirken wollen? Was treibt einen zu bürgerschaftlichem Engagement? Darauf gibt es viele Antworten, aber keine ist einfach. Richtig schwer wird es jedoch, wenn sich jemand für mehr Sicherheit einsetzen will. Wenn es darum geht, Straftätern auf den rechten Weg zu helfen. Eigentlich eine Arbeit für Vollprofis – nichts fürs Ehrenamt. Oder? Weit gefehlt. Seit zehn Jahren arbeiten für die gemeinnützige Bewährungshilfe GmbH Neustart Ehrenamtliche. Für Neustart ist das an diesem Donnerstag ab 17 Uhr im Hospitalhof ein Grund zu feiern. Aber es ist auch ein Grund, genauer hinzusehen – auf die Arbeit der ehrenamtlichen Bewährungshelfer.

Regina Fahr will der Gesellschaft etwas zurückgeben

Bei Neustart trifft man zum Beispiel auf die Stuttgarterin Regina Fahr (66), Mutter von zwei erwachsenen Kindern, gelernte Kinderkrankenschwester und „schon immer im Ehrenamt unterwegs“. In der Schule, in der Ehrenamtsbörse der Stadt oder im Hospitalhof. Regina Fahr ist keine stille Bürgerin, die nur nehmen will. Sie will etwas zurückgeben. „Mein Anspruch ist: Wer Zeit hat, kann etwas für die Gesellschaft tun.“

Anspruch ist das Stichwort. Regina Fahr hat hohe Ansprüche. Auch ans Ehrenamt. Freilich könnte sie Kindern als Lesepatin dienen. Aber sie sucht mehr: Herausforderungen ebenso wie die Möglichkeit, sich im reifen Alter weiterzuentwickeln. Daher hat sie dieses Amt angesprochen. „Hier hat man eine sehr hohe Verantwortung“, sagt sie und meint ein Bündel an Anforderungen: „Menschen in schwierigen Lebensphasen zu begleiten, eine Vertrauensbasis aufzubauen, zu motivieren und eine neue Lebensperspektive aufzuzeigen ist sehr bereichernd.“

Die harten Fälle sind nur etwas für Profis

Dieses Gefühl hat sie nun seit vier Jahren. Seither hatte sie es mit acht Klienten zu tun. Alles keine Schwerverbrecher. Gewaltverbrecher oder Sexualstraftäter sind für Ehrenamtliche tabu. Hier sind Profis gefragt, erfahrene Sozialpädagogen. „Sie bilden das Rückgrat von Neustart und sind die Anker für uns Ehrenamtliche“, erklärt Fahr.

In Baden-Württemberg arbeiten 650 Ehrenamtliche für Neustart mit 1300 Klienten zusammen. In Stuttgart sind es 88, die ungefähr 145 Straftäter begleiten. „Das sind etwa sieben Prozent aller Klienten“, sagt Neustart-Sprecher Michael Haas und weist darauf hin, dass das Ehrenamt in der Bewährungshilfe kein ökonomisches Gewinnmodell sei: „Für uns sind die Ehrenamtlichen eher Multiplikatoren des Resozialisierungsgedankens in die Gesellschaft hinein. Damit wird ihr Nutzen und ihre Arbeit noch bedeutender.“

Aus diesem Grund wählt Neustart die Ehrenamtlichen sorgsam aus. Auch Regina Fahr musste sich in einem Vorstellungsgespräch bewähren. Ohne Führungszeugnis, eine weltoffene und tolerante Gesinnung sowie den Nachweis, dass sie aus gefestigten Verhältnissen kommt, hätte sie von vornherein keine Chance gehabt. Von drei Bewerbern werden in der Regel nur zwei genommen. Danach erwartet die angehenden Bewährungshelfer im Ehrenamt eine achtwöchige Ausbildung samt mehreren Fortbildungen. Geschult werden Gesprächsführung, juristisches Rüstzeug, gerichtliches Berichtswesen und der spezielle Umgang mit jungen Straftätern sowie Suchtkranken.

Wer aus einem sozialen Beruf kommt, hat Vorteile

„Ich war erstaunt“, sagt Regina Fahr, „was ich im fortgeschrittenen Alter noch alles lernen kann.“ Gewiss, sie hatte beste Voraussetzungen. Aus ihrem ehemaligen Beruf als Kinderkrankenschwester, aber auch als Mutter brachte sie viel mit. Michael Haas nennt es Schlüsselkompetenzen: Durchsetzungsvermögen und Belastungsresistenz. „Hier muss man fähig sein, auch mit Rückschlägen umzugehen“, sagt Haas.

Auch Regina Fahr hat diese Erfahrung gemacht – und gemeistert. „Manchmal muss man Klartext reden“, sagt sie und erzählt von dem Fall einer 26-Jährigen, die wegen Diebstahls verurteilt war. Die junge Frau stand kurz davor, wieder Drogen zu konsumieren. Damit wäre alles aus gewesen. Verstoß gegen die Bewährungsauflagen. Knast. „Aber ich konnte sie aus diesem Loch rausholen und ihrem Leben einen Ruck geben“, sagt die Ehrenamtliche, „das war ein sehr schöner Moment.“

Eigentlich genügt dieser Moment, um zu erklären, was Menschen zum bürgerlichen Engagement treibt. Allgemein – aber ganz speziell in der Bewährungshilfe.