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Raus in die Natur, das war mal. Seit dem Jahr 2001 zieht es im Südwesten wieder mehr Menschen in die Städte. Nur noch jeder Siebte in Baden-Württemberg lebt in einer Gemeinde mit weniger als 5000 Einwohnern.

Stuttgart - Raus in die Natur, das war mal. Seit dem Jahr 2001 zieht es im Südwesten wieder mehr Menschen in die Städte. Nur noch jeder Siebte in Baden-Württemberg lebt in einer Gemeinde mit weniger als 5000 Einwohnern.

Die Dienste der Familienforschungsstelle sind sehr gefragt. Mehr als 40 Städte und Gemeinden haben sich in den vergangenen fünf Jahren von den Experten des Statistischen Landesamtes beraten lassen, und auch in diesem Jahr sind die fünf Mitarbeiter bereits ausgebucht: Die Kommunen interessiert, wie sie attraktiv bleiben oder werden können - vor allem für junge Familien.

Für dieses Interesse gibt es einen handfesten Grund: Etwa seit der Jahrtausendwende beobachten die Statistiker im Südwesten eine Trendwende. Während in den 90er Jahren viele Städte Einwohner verloren und kleinere Gemeinden wuchsen, legen heute die Städte wieder zu. Besonders junge Menschen zieht es in die Städte - meist wegen Ausbildung, Arbeit oder Studium, sagt Werner Brachat-Schwarz, Leiter des Referats Bevölkerungsstand und -bewegung im Statitischen Landesamt. Das war zwar auch früher so. Doch inzwischen sei es wieder etwas leichter geworden, eine bezahlbare Wohnung zu finden - auch für junge Familien.

Nach Angaben des Statistischen Landesamts lebten 2009 gut zwei Millionen der 10,75 Millionen Einwohner Baden-Württembergs in einer der neun Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Ein Drittel wohnt in Städten zwischen 20.000 und 100.000 Einwohnern - von diesen gibt es 92. Nur jeder siebte ist in einer Gemeinde mit weniger als 5000 Einwohnern zu Hause - obwohl zu dieser Gruppe mehr als die Hälfte der 1102 Gemeinden im Südwesten zählen.

Dabei gibt es große regionale Unterschiede. So sind im Landkreis Karlsruhe die Kommunen im Schnitt am größten: Immerhin die Hälfte von ihnen haben mehr als 12.000 Einwohner. Im Landkreis Tuttlingen dagegen hat die Hälfte der Gemeinden weniger als 1700 Einwohner. Je größer die Kommunen sind, desto höher ist im Schnitt auch der Anteil von Ausländern. Fast jeder dritte von ihnen lebt in einer Großstadt.

Die Gemeinden seien sich dessen bewusst, dass sie sich umstellen müssten, wenn sie in den nächsten Jahren nicht schrumpfen wollten, sagt Harald Burkhart, Sprecher des Gemeindetages Baden-Württemberg. "Kinderbetreuung und Bildung sind die Megathemen der nächsten zehn Jahre." In vielen Gemeinderäten hätten sich die Debatten verändert. Im Vergleich mit anderen Bundesländern, auch Bayern, stehe Baden-Württemberg aber noch gut da, meint Burkhart. Das sei vor allem den vielen Arbeitgebern im ländlichen Raum zu verdanken. Diese wiederum seien auf familienfreundliche Standorte angewiesen - andernfalls fänden sie keine Fachkräfte.

Um dieses Wechselspiel geht es auch, wenn die Mitarbeiter der Familienforschungsstelle in die Gemeinden gehen. In den sogenannten Zukunftswerkstätten familienfreundliche Kommune beraten sie einen Tag lang mit Bürgermeistern, Gemeinderäten, engagierten Bürgern, Arbeitgebern und anderen Interessierten darüber, was zu tun ist, damit die jeweiligen Städte und Gemeinden nicht verwaisen oder vergreisen, und präsentieren die Ergebnisse. Das letzte Wort hat dann jeweils der Gemeinderat.

Die meisten Kommunen einigen sich auf fünf bis sieben Projekte, sagt Erich Stutzer, Leiter der Familienforschung. Dabei geht es vorwiegend um die Themen Kinderbetreuung und Bildung: beispielsweise eine neue Gruppe für Kleinkinder oder eine Ganztagsbetreuung für Schulkinder, bessere Ferienangebote oder eine Helferbörse für junge und alte Menschen. Aber auch Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, gute Bus- und Bahnverbindungen spielen eine Rolle.

Unterstützt wird das Projekt vom Sozialministerium, die Kommunen zahlen etwa 2000 Euro. Ein Projekt, das sich bezahlt macht, ist Stutzer überzeugt. "Vorteile im Wettbewerb haben nämlich die Regionen, die attraktiv für Unternehmen und familien- und kinderfreundlich sind."