Obdachlose knien und kauern in Fußgängerzonen und Unterführungen. Foto: dpa

Seit die Stadt Stuttgart harsch gegen Bettler vorgeht, verbreitet sich das Problem im Umland. Regelmäßig stehen Bandenchefs hinter den Obdachlosen.

Böblingen/Sindelfingen - Hier kauern, knien, humpeln die Verlierer des vereinigten Europa. Mancher der Obdachlosen summt ein Mantra, mancher wispert Fußgängern ein Hallo oder Bitte entgegen, was schon als Gesetzesverstoß gilt. Andere hoffen auf Verdienst, indem sie ein paar Münzen in einem Pappbecher schütteln. Elender als osteuropäische Bettler lebt niemand in Deutschland. Ungeachtet dessen bemitleiden sie selbst Deutsche nicht, bei denen die Nächstenliebe zum Berufsbild zählt.

In der Franziskusstube im Herzen Stuttgarts bekommt jeder eine Mahlzeit serviert, dessen Magen knurrt – mit Ausnahme von slowakischen Bettlern. Über sie hat Schwester Margret, die Herrin über das mildtätige Haus der Caritas, ein Zutrittsverbot verhängt. „Nicht Stuttgart wird sich dem Geschäftsmodell der Bettlermafia unterordnen, sondern deren Angehörige müssen sich an unsere Kultur anpassen – oder eben gehen.“ So formulierte es Monsignore Christian Hermes, als Dekan Stuttgarts oberster Katholik. Im Zentrum der Landeshauptstadt gehen Polizei und Ordnungsamt seit 2016 hart gegen die Bettler vor. Binnen eines halben Jahres kontrollierte die Polizei rund 17 500 von ihnen. Das erbettelte Geld wurde beschlagnahmt. Hinzu kamen Geldstrafen. Eigens dafür hatte die Stadt eine neue Rechtsverordnung geschaffen, wie andere Großstädte auch. Was genauso Wirkung zeigt wie Nebenwirkung.

Erst wichen die Gruppen in Stuttgarts Außenbezirke aus

Nachdem die Gruppen aus dem Stuttgarter Zentrum verschwunden waren, wurden sie zunächst in den Außenbezirken gesichtet. Inzwischen breiten sie sich unübersehbar ins Umland aus. Die Böblinger Fußgängerzone zählt zu den bevorzugten Revieren. Auf ihr sehen Passanten zur Mittagszeit etwa alle 50 Meter in eine leidende Miene – sofern sie hinsehen. Nach dem Umbau des Gebiets am Bahnhof „wurde es attraktiver für Drückerkolonnen“, sagt der städtische Pressesprecher Wolfgang Pfeiffer. „Mit Eröffnung der Fußgängerzone waren die auf einmal da.“ In der jüngeren Vergangenheit „hat das Betteln in der Tat deutlich zugenommen“, sagt auch die Sindelfinger Stadtsprecherin Nadine Izquierdo.

Der harsche Umgang selbst christlicher Organisationen mit den osteuropäischen Obdachlosen fußt auf der Erkenntnis, dass Hintermänner sie zum Betteln einschleusen, teilweise unter Zwang. Körperbehinderte sind beliebt für diesen Zweck. Von den Einnahmen bleibt ihnen wenig. Die Bandenchefs kassieren ab. Vereinzelte Versuche scheiterten, sich in Deutschland eine Bleibe samt Sozialhilfe zu erklagen. Selbst der Europäische Gerichtshof urteilte im Sinne der deutschen Sozialkassen.

In Sindelfingen beschlagnahmt die Polizei das erbettelte Geld

Auch in Böblingen und Sindelfingen kontrolliert die Polizei die Bettler, allerdings nicht regelmäßig, sondern meist nur, wenn sie gerufen wird. Betteln ist selbstredend jedem erlaubt, aber die Regeln sind streng. Passanten nach Geld zu fragen, ist ebenso verboten wie Fotos angeblich leidender Angehöriger oder verstümmelte Gliedmaßen zu zeigen, Hunde oder gar Kinder dabei zu haben. All dies gilt als „aggressives Betteln“. In solchen Fällen „sprechen wir auch mal einen Platzverweis aus“, sagt die Polizeisprecherin Tatjana Wimmer, „wenn Demutsbettler nur dasitzen, sind uns die Hände gebunden“. Der Beweis, dass einzelne Bettler Banden angehören, sei eben schwer zu führen.

„Ich gehe fest davon aus, dass die Leute hier hergefahren und wieder abgeholt werden“, meint Pfeiffer, der Böblinger Stadtsprecher. „Die versammeln sich auch immer mal wieder und quatschen miteinander.“ In Sindelfingen hat das Vorgehen gegen die Szene sich bereits an Großstadtverhältnisse angepasst. „Die Polizei erteilt einen Platzverweis und beschlagnahmt wie in Stuttgart das Geld“, sagt Nadine Izquierdo – am Ende fließt es in die Stadtkasse. Davor deponiert es eine Weile das Ordnungsamt, für den Fall, dass jemand Anspruch auf sein Eigentum erhebt. Dies allerdings, sagt Izquierdo, „ist noch nie passiert“.