Die Wissenschaftlerin Bettina Pfleiderer war eine Pionierin in der geschlechtersensiblen Medizin. Gegen alle Widerstände hat es die gebürtige Schwäbin bis an die Spitze des Weltärztinnenbundes geschafft.
Münster - Dass Patienten und Patientinnen unterschiedliche Symptome zeigen können, wenn sie krank sind oder dass bestimmte Krankheiten bei Frauen öfters als bei Männern auftreten, sei viel zu lange nicht berücksichtigt worden, sagt Bettina Pfleiderer. Die Medizinprofessorin und promovierte Chemikerin, aufgewachsen im kleinen Ort Süßen bei Geislingen an der Steige, ist eine international angesehene Expertin im Bereich der geschlechtersensiblen Medizin. Seit Jahren setzt sie sich dafür ein, dass Frauen und Männer als Patientinnen und Patienten gleich gut behandelt werden – schon zu einer Zeit, als noch niemand in der Medizin daran glaubte, dass Geschlechteraspekte in der Behandlung und Diagnose von Krankheiten eine wichtige Rolle spielen könnten.
Vom Druck, besser sein zu müssen als die Männer
Bettina Pfleiderer hatte anfangs oft das Gefühl, immer etwas besser sein zu müssen als ihre männlichen Kollegen. „Ich habe lange den Druck verspürt, beweisen zu müssen, dass ich zu Recht dort stehe, wo ich bin.“ Und sie hat viel erreicht: Für ihre Arbeit als promovierte Ärztin und Chemikerin hat sie mehrere Preise erhalten, auch das Bundesverdienstkreuz am Bande ist ihr verliehen worden.
„Ich war in vielem eine Pionierin“, sagt die gebürtige Schwäbin rückblickend. „So musste ich mir ohne positive weibliche Rollenvorbilder selbst Mut machen und meinen Weg finden“. Alleine zu kämpfen, war nicht immer einfach: „Zu viele Frauen haben aufgegeben oder resigniert aufgrund der vorherrschenden Machtstrukturen im Bereich der Medizin, die es Frauen auch heute noch nicht immer leicht machen.“
Vizepräsidentin der Europäischen Frauenlobby
Neben ihrer Forschung an der medizinischen Fakultät der Universität Münster setzte sie sich ehrenamtlich von 2016 bis 2019 als Präsidentin des Weltärztinnenbundes sowohl für die Belange für Ärztinnen als auch Menschenrechtsaktivistin für Frauen und Kinder auf der ganzen Welt ein. International ist Pfleiderer derzeit eine der zwei Vizepräsidentinnen der Europäischen Frauenlobby (EWL) in Brüssel und auch Mitglied des EWL-Exekutiv-Komitees. Die EWL vertritt mehr als 2000 Nichtregierungsorganisationen von Frauenverbänden in Europa.
Die Familie war ihr trotz der beruflichen Karriere immer sehr wichtig. „Als meine beiden Töchter noch klein waren, war ich immer am Jonglieren zwischen zwei Welten“, sagt Pfleiderer. Inzwischen sind die Töchter erwachsen. „Sie haben mich immer wieder geerdet und mir gezeigt, was im Leben wirklich zählt.“
Mit Hartnäckigkeit und Geduld
Wird Bettina Pfleiderer gefragt, welche Eigenschaften ihr geholfen haben, diese Fülle an Aufgaben zu meistern, muss sie nicht lange überlegen: „Ich bin voller Energie, Leidenschaft und Begeisterung, wenn ich von der Wichtigkeit meines Tuns überzeugt bin“, sagt sie. „Aber auch hartnäckig und geduldig, wenn es um die Umsetzung geht.“ Zudem ist ihr die Fähigkeit, vieles mit Humor zu sehen, nie abhanden gekommen. „Ich lache gern und viel.“
Das Forschen im Elfenbeinturm liegt ihr nicht. Stattdessen hält die gebürtige Schwäbin vom Fuße der Alb Vorträge in In- und Ausland, tauscht sich weltweit mit Kolleginnen und Kollegen aus. „Frauen, die eine wissenschaftliche Karriere einschlagen wollen, kann ich raten, sich zum einen Mentoren und Mentorinnen zu suchen, sowie Mitglied in beruflichen Netzwerken zu werden“, sagt sie. „Und sich nie einreden zu lassen, dass man etwas nicht könne, nur weil etwas nicht sofort geklappt hat: Ich habe besonders viel durch Niederschläge gelernt und mich dadurch in meiner Persönlichkeit weiterentwickelt.“
Häusliche Gewalt in der medizinische Pflichtlehre
Ihr nächstes konkretes Ziel ist die Verankerung der geschlechtersensiblen Medizin und auch das Thema häusliche Gewalt in der medizinische Pflichtlehre. Auch ein Lehrbuch zu geschlechtersensibler Medizin plant sie längerfristig verfassen. „ Langweilig wird es mir in nächster Zeit sicherlich nicht!“