Das Haus der Prävention in Fellbach am Cannstatter Platz. Foto: Eva Schäfer

Gibt es in Zeiten von Corona neue Maschen, um an das Ersparte von Senioren zu kommen? Erster Kriminalhauptkommissar Leo Keidel spricht über die üblen Tricks von Betrügern und Hindernisse in der Präventionsarbeit in Zeiten der Pandemie.

Fellbach - Er ist seit zwanzig Jahren im Referat für Kriminal- und Verkehrsprävention verantwortlich für den Rems-Murr-Kreis: Leo Keidel, Jahrgang 1964, hat sich intensiv mit den Maschen von Betrügern, dem so genannten Enkeltrick, falschen Polizisten und vielem mehr beschäftigt. Wir haben mit ihm über die Auswirkungen der Corona-Krise gesprochen.

Herr Keidel, immer wieder versuchen Betrüger aus den Ängsten vor allem älterer Menschen Kapital zu schlagen. Hat sich an diesem Vorgehen in der Corona-Krise etwas geändert?

Der jüngste Fall in Waiblingen ist eigentlich recht typisch. Die erbeutete Summe war hoch: Um 15 500 Euro haben Betrüger eine Rentnerin in Waiblingen betrogen. Sie haben sich als Polizeibeamte ausgegeben und der Frau suggeriert, ihr Geld sei weder bei ihr Zuhause noch auf der Bank sicher. Die Telefonattacken liefen über mehrere Tage im April, es waren mehrere Summen, die die Seniorin über einen längeren Zeitraum übergeben oder überwiesen hat. Erst im Mai hat sie Anzeige erstattet – nach einem Hinweis ihrer Bank.

Was war dabei typisch?

Der so genannte Enkeltrick, bei dem die Beziehung eines Verwandten in einer Notsituation vorgespielt wird, um an das Geld zu kommen, hat sich verlagert. In letzter Zeit sind Betrüger besonders oft als falsche Polizisten in Aktion gewesen – wie bei dem jüngsten Fall in Waiblingen. Die Masche hat dem Enkeltrick den Rang abgelaufen, salopp gesagt. Das zeigt sich auch in den Zahlen. Im Bereich des Polizeipräsidiums Aalen haben die Straftaten „falscher Polizeibeamter“ von 48 im Jahr 2018 auf 982 Fälle im Jahr 2019 immens zugenommen. Die starke Zunahme kommt auch durch einen anderen Modus der Erfassung in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Seit 2019 wird jeder Anruf als Versuch und nicht mehr als straflose Vorbereitung gewertet. Wir holen die Taten also aus dem Dunkelfeld heraus. Es wurde mehr als eine Million Euro ergaunert, 2018 waren es noch 101 400 Euro.

Warum klappt denn so ein dreistes Vorgehen der Täter?

Es ist eine eingespielte Maschinerie, die hinter den Taten steckt. Die Leute in den Callcentern sind sehr geschult und sehr eloquent. Sie geben sich am Telefon als Polizisten, Staatsanwälte, Richter aus. Sie machen den ganzen Tag nichts anderes, als potenzielle Opfer anzurufen, zum Beispiel aus der Türkei. Das macht die Sache bei der Ermittlung nicht einfach. Aber gemeinsam mit mehreren Bundesländern hat die Ermittlung schon hervorragend geklappt und ein erfolgreicher Schlag gegen die Telefonbetrüger in der Türkei ist gelungen.

Wer sind die potenziellen Opfer?

Alte Vornamen werden bewusst im Telefonverzeichnis herausgesucht wie etwa Annemarie oder Eugen. Die Generation der Nachkriegszeit hat zu sparen gelernt, und die Täter gehen davon aus, dass da eine Summe zu holen ist. Zum anderen sind manche Ältere sozial weniger eingebunden und es gibt niemand aus dem nahen Umfeld, der einschreiten kann. Hinzu kommt, dass viele der Generation Respekt vor der Obrigkeit haben und noch nie mit der realen Polizei zu tun hatten, um das einschätzen zu können. Diese Faktoren treffen zusammen. So kommt es, dass die überrumpelten Opfer am Recyclingcontainer in Waiblingen Schmuck und Goldbarren deponieren oder Übergaben um 22 Uhr am Tennisplatz vereinbart werden, ohne dass die Opfer misstrauisch werden.

Sie sagen, die Täter gehen arbeitsteilig vor. Wie läuft das ab?

Die Mitarbeiter der Callcenter telefonieren wie wild durch die ganze Republik und treten in der Gesprächsführung sehr bestimmend auf. Wenn sie ein Opfer an der Angel haben, soll es nicht mehr zur Besinnung kommen und wird immer wieder kontaktiert. Wenn dann eine Geldübergabe ansteht, dann geht es arbeitsteilig weiter. Die „Abholer“, die dann als angebliche Polizeibeamte auftauchen, sind meist kleinere Lichter in der kriminellen Hierarchie. Die Täter schrecken nicht davor zurück, gefälschte Dienstausweise zu zeigen. Aber manchmal sind wir schon etwas überrascht, welches Auftreten man uns als Polizeibeamte zutraut, denn da kommen Täter vorbei, die oft alles andere als ein seriöses Auftreten vermitteln.

Gibt es Änderungen in der Masche durch Corona? Indem sich jemand beispielsweise als vermeintliche Einkaufshilfe oder Ähnliches meldet?

In unserem Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Aalen, zu dem der Rems-Murr-Kreis, der Ostalbkreis und der Kreis Schwäbisch-Hall gehören, zeigt sich in der Vorgehensweise bisher keine Änderung durch Corona. Wir hatten nur einen aktenkundigen Fall von einem vermeintlichen Anruf einer Krankenkasse. Corona trifft uns in unserer Arbeit aber in anderer Weise. Wir können gerade leider unsere vielzähligen Veranstaltungen zur Prävention wie die Theatervorstellungen, Kooperationen mit Schulen oder Senioreneinrichtungen nicht anbieten. 15 Veranstaltungen mussten wir in diesem Jahr schon absagen. Am 11. März war unsere letzte Veranstaltung in Berglen in Kooperation mit den Landfrauen. Auch den Comic, den ein Kollege gezeichnet hat, können wir gerade nicht als Flyer an den Schulen verteilen – so wollen wir normalerweise Opa und Oma durch ihre Enkel erreichen. Von der Polizei Gütersloh wollen wir das Projekt übernehmen, ehrenamtliche Multiplikatoren für das Gedächtnistraining für Senioren zu gewinnen. Da wollen wir Infotage starten, sobald dies wieder möglich ist.

Sie sagen, Sie hatten auch schon einen Telefonbetrüger am Hörer, wie kam es dazu?

Meine Nachbarin kam samstagabends um 22.35 Uhr herüber und übergab mir ein Gespräch, das dann leider schnell abgebrochen wurde. Auf dem Display war die Vorwahl von Böblingen mit der 110 hintendran. Es ist also für die Täter kein Problem, eine Telefonanzeige zu fingieren. Wir sagen es immer wieder: Die Polizei ruft Sie niemals mit der Nummer 110 an. Das gilt auch in Corona-Zeiten.