Kita oder daheim betreuen – das Karlsruher Urteil wird diese Debatte keineswegs beruhigen – ganz im Gegenteil. Foto: dpa

Außer der CSU und dem konservativen Flügel der CDU fand niemand in der Koalition das Betreuungsgeld sinnvoll. Nun muss Horst Seehofer nach einem Ersatz suchen. Doch das wird schwierig.

Berlin - Eine weitgehend unterschätzte Qualität unserer Politiker besteht in ihrem Talent für kreative Wortschöpfungen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) zum Beispiel hat das Wortfeld „Sparen“ um eine wirklich sehr fantasievolle Formulierung ergänzt.

Es geht um das Betreuungsgeld. Das Bundesverfassungsgericht hat diese allein in diesem Jahr 900 Millionen Euro teure Sozialleistung des Bundes gekippt. Eine Ausgabe, die gerade für verfassungswidrig erklärt worden ist, muss man einsparen – könnte man meinen. Nicht doch. Die Reflexe der Regierenden funktionieren anders. Sparen ist ein Wort, das für die Ministerin zu neutral klingt. Das ist hässlich. Deshalb sagte sie gestern lieber: Das Geld dürfe „nicht im Haushalt des Bundesfinanzministeriums versickern“. Und schon klingt es selbstverständlich, dass die Millionen weiter sprudeln. Und bei der in der Koalition zur Zeit allüberall herrschenden Gereiztheit ist das doch eine sehr zu würdigende überparteiliche Gemeinsamkeit. Die Frage ist nur: Wie?

Kaum war am Dienstag das Karlsruher Urteil bekannt geworden, begann der Streit um die Millionen. Am schnellsten und lautesten meldete sich Horst Seehofer zu Wort, der CSU-Chef. Das ist nicht verwunderlich, denn der bayerische Ministerpräsident hat viel zu verlieren. Sein eiliges Vorpreschen sollte vor allem den Eindruck überspielen, dass die Christsozialen gerade eine gewaltige Klatsche kassiert haben. Denn außer der CSU und dem konservativen Flügel der CDU findet niemand in der Koalition das Betreuungsgeld sinnvoll. Aber Seehofer wollte dieses teure Zeichen bayerischer Durchsetzungsfähigkeit eben unbedingt. Der klammheimlichen Freude in der Koalition setzte er gestern eine offensive Ankündigung entgegen.

In Bayern werde das Betreuungsgeld sicher weiter fließen, ließ er wissen. Wie das gehen soll, teilte die bayerische Sozialministerin Barbara Klepsch umgehend mit. „Wenn das der Bund nicht kann, muss das Geld an die Länder gehen.“ Das wäre ein sehr praktisches Modell – der Bund bezahlt und Bayern glänzt.

So weit wird es nicht kommen. Das wurde in der Diskussion am Dienstag klar, an deren Anfang der etwas naive Appell des familienpolitischen Sprechers der Unionsfraktion im Bundestag, Marcus Weinberg, stand, mit dem Urteil sollten doch bitte „die ideologischen Debatten zu Ende sein“.

Das genaue Gegenteil ist der Fall. Sie können jetzt wieder mit voller Wucht einsetzen. Familienministerin Schwesig wirkt geradezu von einer Last befreit, hatte sie das von ihr ungeliebte Projekt doch umsetzen müssen. Damit ist jetzt Schluss. Ihr Reim auf das Urteil ist unmissverständlich: „Das Betreuungsgeld ist der falsche Weg und hat keine Zukunft.“ Die frei werdenden Mittel sollen „für eine verbesserte Kinderbetreuung“ ausgegeben werden, also für einen weiteren Ausbau der Kita-Plätze und vielleicht auch für mehr Personal. Immerhin sicherte Schwesig zu, man werde sicherzustellen versuchen, dass Familien, die die Leistung bereits beziehen, diese auch bis zum bislang vorgesehenen Ende der Laufzeit weiter bekommen.

Die CDU gab sich zurückhaltend. Anders als SPD und CSU, die in ihrer Haltung eindeutig und konträr sind, ist das Thema bei den Christdemokraten umstritten, und deshalb kommt es der Parteiführung durchaus nicht gelegen, dass dieses gut verschlossene Fass nun wieder aufgemacht werden muss. CDU-Generalsekretär Peter Tauber ließ denn auch alles offen und schickte nur eine kleine Grantelei Richtung Familienministerium: Man werde nun „nicht einfach das Geld Frau Schwesig geben mit der Bitte, damit irgendwas zu machen“.

Die Folgen des Karlsruher Urteils werden die Politik noch auf längere Sicht beeinflussen. Auch auf Landesebene. Ein Nebeneffekt, der demnächst noch deutlicher zu Tage treten wird, ist nämlich, dass die Verfassungsrichter den Landtagswahlkämpfen im kommenden Frühjahr ein neues Thema beschert haben. Die Wahlkämpfer beginnen bereits, in die Schützengräben einzurücken: Das Betreuungsgeld habe Frauen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Manu Dreyer. Kinder würden von „frühkindlicher Bildung ferngehalten“.

Und auch im Südwesten formieren sich die Fronten. Die rot-grüne Landesregierung hat nicht die Absicht, die Leistung auf Länderebene weiterzuführen. Es habe „Mitnahme-Effekte ausgelöst“, die den Zielen guter Bildung nicht dienten, sagte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Ganz anders sein CDU-Gegenkandidat bei den Wahlen im Frühjahr, Guido Wolf. Er nannte das Betreuungsgeld „eine Erfolgsgeschichte im Land“. Über 100 000 baden-württembergische Eltern profitierten davon. Die dürften nun nicht „im Regen stehen gelassen werden“.

Dieser Streit wird noch hitziger werden, je näher der Wahlkampf rückt. In Berlin aber ist jetzt schon Feuer unterm Dach. Die CSU braucht eine Strategie, denn auch ihr zweites Prestige-Projekt gerät – diesmal europarechtlich – unter Druck: Was aus der Maut letztlich wird, kann niemand sagen. Zwei Pleiten wären schwer zu ertragen. Gut möglich also, dass die Bayern auch an anderer Stelle ihr Profil schärfen wollen, da sie etwa beim Thema Griechenland gar nicht vorkommen. Vermutlich wird es in der Koalition demnächst in Sachen Flüchtlingspolitik rund gehen.