Die Mobile Jugendarbeit steht in der Corona-Krise vor Herausforderungen. Trotz der Kontaktbeschränkung wollen die Streetworker Ansprechpartner bleiben. Foto: /Achim Zweygarth

Die Coronakrise und die mit ihr verbundenen Kontaktsperren stellen Streetworker und Jugendarbeiter vor neue Herausforderungen. Viele Jugendliche leiden unter Langeweile und Kontaktarmut.

Stuttgart - Wer dem Streetworker Tobias Maucher zuhört, den beschleicht das Gefühl, dass die Punk-Parole „No future“ aus den späten 70er Jahren zumindest bei jungen Menschen aus sozial schwierigen Verhältnissen in der Corona-Krise wieder ein bitteres Comeback erlebt.

Der Sozialarbeiter spricht von einer Angst vor dem sozialen Abrutschen, die vielen seiner Klienten derzeit im Nacken säße. Der 42-Jährige ist auch nach Ausbruch der Corona-Pandemie im Stuttgarter Westen und in Botnang unterwegs, um an den informellen Treffpunkten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ins Gespräch zu kommen. Dabei gelte es, die vorgeschriebenen Abstandsregeln einzuhalten, schildert Maucher.

Aber auch auf die in Corona-Zeiten gebotene Distanz scheint ein Austausch über Sorgen und Nöte möglich zu sein. Die Gemütslage vieler Jugendlicher bewege sich dabei zwischen Frustration und Resignation, resümiert der Sozialarbeiter.

Streetworker betreuten 2019 350 Einzelfälle

Maucher erklärt, dass die Mobile Jugendarbeit (MJA) Stand 2019 insgesamt mit über 800 Jugendlichen gearbeitet hat, 430 wurden über das Streetwork beraten und unterstützt. 350 Einzelfälle wurden betreut. Zur Klientel der Mobilen Jugendarbeit in Stuttgart gehören gefährdete und benachteiligte Jugendliche, wie auf ihrer Internetseite nachzulesen ist.

Auch nach Ausbruch der Pandemie werde die Betreuung unter den neuen Bedingungen aufrechterhalten. Laut der Evangelischen Gesellschaft, die gemeinsam mit dem Caritasverband die Mobile Jugendarbeit in Stuttgart trägt, seien ein bis zwei Mitarbeiter werktags jeweils an den Standorten der MJA in Stuttgart.

Jugendliche können anklopfen

Die Räume blieben verschlossen. Jugendliche könnten aber bei akuten Krisen anklopfen. „In Einzelfällen ist auch ein persönliches Gespräch bei einem Spaziergang möglich, bei dem die Hygienestandards gewahrt werden“, heißt es in einer Erklärung der Evangelischen Gesellschaft.

Die Mobile Jugendarbeit organisiert außerdem Gruppenangebote im Internet, etwa gemeinsame Online-Spiele. Gerade mit den Jugendlichen, die schon vor der Pandemie Schwierigkeiten hatten, gelte es nun aber, besonders den Kontakt zu bewahren, meint Streetworker Maucher.

Kurzarbeit führt zu Engpässen

Er schildert die Bedingungen in manchen Familien als angespannt. Die Kurzarbeit führe bereits zu finanziellen Engpässen. „Einige Familien haben Probleme bei der Grundversorgung, und nicht alle wissen, wo sie Unterstützung bekommen können“, sagt Maucher. Die Sorgen der Eltern um die Sicherheit des Jobs und des Familieneinkommens übertrügen sich gerade in beengteren Wohnverhältnissen leicht auf die Kinder. Jugendliche, die sich um eine Ausbildung bewerben, erlebten außerdem selbst die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, schildert Maucher. Er wisse von jungen Menschen, die bereits einen Ausbildungsplatz gefunden haben, jetzt aber unsicher seien, ob sie ihn auch antreten können, meint der Streetworker.

Jugendliche geben Erspartes der Familie

Andere hätten mühsam für den eigenen Führerschein gespart und müssten das Geld nun in die knappe Familienkasse stecken. Die Aufgabe solcher Ersparnisse sei für junge Menschen aus weniger wohlhabenden Familien schmerzhaft, da sie oft hart dafür arbeiten müssten, meint der Sozialarbeiter.

Sorgen bereitet ihm zudem, dass die sozialen Medien im Internet bisweilen Resonanzverstärker für die Frustration vieler Jugendlicher seien. Es kursierten regelrechte Verschwörungstheorien. „Es gibt bei machen den Eindruck, dass bestimmte Gruppen immer die Verlierer sind und die Schwächsten am Ende bezahlen müssten“, sagt Maucher.

Manchen Familien fehlt ein Drucker

Auch die Schulsozialarbeiterin Julia Fischer hält in der Corona-Krise Kontakt zu Schülern, Lehrern und Eltern. In der Pandemie zeige sich die soziale Ungleichheit von Familien auch darin, wie diese den Heimunterricht bewältigen. In einigen Familien gebe es weder Drucker noch Scanner. Das erschwere die Arbeit mit den von den Lehrern zur Verfügung gestellten Materialien. Die Jugendlichen müssten bisweilen auch sehr lange Texte am Smartphone lesen, berichtet Fischer.

Teilten sich Kinder ein Zimmer, seien Spannungen, Leistungsschwierigkeiten und eine Überforderung der Eltern fast vorprogrammiert, warnt sie.

Schüler sollen Platz zum Lernen haben

Die Mobile Jugendarbeit will angesichts der ersten Lockerungen der Kontaktbeschränkungen etwas Abhilfe schaffen. „Wir möchten einzelnen Schülern und Schülerinnen einen Platz in unserem Büro für das Lernen zur Verfügung stellen, natürlich unter Einhaltung der Abstands- und Hygienemaßnahmen“, sagt Fischer.

Die Sozialarbeiterin traut sich kein Urteil zu, ob Jugendliche oder Kinder im Grundschulalter besser oder schlechter mit der Ausnahmesituation klarkämen. Alle litten unter Langeweile und Kontaktarmut, meint Fischer. „Viele vermissen die Schule sehr“, sagt sie.