Großer Gewinner des Museumsjahres 2022: Unter anderem mit der Tobias-Rehberger-Ausstellung „I do if I don’t“ hat das Kunstmuseum seine Besucherzahlen nahezu verdreifacht. Foto: dpa/Marijan Murat, Lichtgut/Kovalenko/Rettig

Rund 2,5 Millionen Menschen haben den Stuttgarter Häusern 2022 einen Besuch abgestattet. Beinahe so viele wie vor der Pandemie. Doch manche Museen spüren nach wie vor deutliche Zurückhaltung – vor allem beim älteren Publikum.

4200 Besucherinnen und Besucher am Eröffnungswochenende der Ausstellung „Shift“: Für das Kunstmuseum hat das neue Jahr hervorragend angefangen. Es hat aber auch nicht schlecht geendet. Mit knapp 200 000 Besuchern konnte das Haus 2022 seine Bilanz fast verdreifachen. „Unsere Erwartungen wurden übertroffen“, bekennt Pressesprecher Constantin Neumeister. Vor allem die Ausstellungen „Die Architektur einer Künstlerin“ mit der Südamerikanerin Gego und die bunten Fassadenarbeit von Tobias Rehberger hätten sich als Publikumsrenner erwiesen. Und nun diese fulminante Resonanz auf das brandaktuelle Thema Künstliche Intelligenz: „Wir gehen optimistisch in das Ausstellungsjahr 2023“, sagt Neumeister.

Aufwind auch für die Kleinen

Das Coronatal ist überwunden. Insgesamt 2 477 089 Besucher verzeichneten die Stuttgarter Museen im Jahr 2022 – 2019 waren es 3,07 Millionen. Nicht nur im Kunstmuseum und den anderen großen Häusern geht es steil bergauf. Aufwind bekommen auch kleine Museen wie das Hegelhaus (3500), die Grabkapelle Rotenberg, zu der im Super-Sommer 44 188 Spaziergänger hinaufstiegen, das Lapidarium (6538), das Stadtmuseum Bad Cannstatt (2436) oder die Weilimdorfer Heimatstube (3600), die aus dem Alten Pfarrhaus noch in das sanierte Alte Rathaus expandieren konnte. Überall ein sattes Plus, auf jeden Fall mächtig aufgeholt.

Einbruch beim Stammpublikum

Mit Einschränkungen: „Wir bemerken einen Einbruch bei unserem Stammpublikum“, heißt es in der Staatsgalerie trotz 181 436 Besuchern (im Vorjahr 108 000). Vermutlich seien ältere, vulnerable Menschen zurückhaltend gewesen, aber auch der Krieg in der Ukraine und die gestiegenen Preise hätten sich bemerkbar gemacht. „Dafür kommt ein deutlich jüngeres Publikum“, berichtet Pressesprecherin Charlott Kreuter. Und die Besucherzahlen in der Sammlung hätten mit rund 100 000 sogar das Niveau von 2018 überschritten. „Unter diesen Umständen“, so Direktorin Christiane Lange, „sind wir zufrieden und denken, dass die Zahlen durch unsere starken Sonderausstellungen ‚Cindy Sherman – Ant-Fashion’ und ‚Modigliani – Moderne Blicke’ in diesem Jahr deutlich anziehen werden.“

Weniger Schulklassen

Auch im Linden-Museum mag Sprecher Martin Otto-Hörbrand trotz Verdopplung auf 34 755 Besucher nicht von Zufriedenheit reden: „Vor allem kamen deutlich weniger Schulklassen.“ Davon allein 14 522 Interessierte setzten sich in der Ausstellung „Schwieriges Erbe“ mit dem kolonialen Kunstraub auseinander. „Wir hatten eine starke Resonanz mit weit über tausend Kommentaren.“

Nur „relativ zufrieden“ ist auch Anja Krämer, die Leiterin des Weissenhof-Museums im Haus Le Corbusier, mit 18 648 Besuchern. Umso mehr erhofft sie sich vom Festival der Iba (Internationale Bauausstellung 2027) im Sommer.

Erfolgreich mit Rausch und Urknall

Das Vor-Corona-Niveau mit mehr als 200 000 Besuchern hat das Landesmuseum Württemberg noch nicht erreicht, ist aber mit 112 291 doch sehr zufrieden, so Pressesprecherin Heike Scholz. Mode ziehe eben immer, spielt sie auf die lange und erfolgreich laufende Ausstellung über Fashion an. Seit Oktober kann man sich ganz ohne Promille berauschen lassen. Wie weit die Dürnitz Café Lounge die Attraktivität des Hauses steigerte, werde gerade evaluiert.

Eine Zeitreise ins Stuttgart der 20er Jahre war eine der erfolgreichen Ausstellungen im Stadtpalais, die dem Haus respektable 185 000 Besucher brachte. Gefolgt von der gern befolgten Aufforderung „Leg Dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ mit überraschenden Hörerlebnissen und dem ersten Teil der historischen Erkundung Stuttgarts beim „Urknall Stutengarten“. Teil 2, stellt Elena Kaifel in Aussicht, kommt im Herbst.

Doppeltes Glück mit Hass und Liebe

„Der Einbruch ist überwunden“, kann auch Paula Lutum-Lenger, die Direktorin vom Haus der Geschichte, angesichts einer mehr als verdoppelten Besucherzahl von 58 000 feststellen. „Was uns bewegt“ heißt die große Landesausstellung, die sich den großen Gefühlen widmet und schon mit den Stichworten Gier und Hass Bewegung ins Haus gebracht hat. „Nun stimmt uns die Liebe optimistisch“, so Lutum-Lenger. Das höchste der Gefühle habe schon im ersten Vierteljahr weit mehr als 10 000 Besucher angelockt. Das Interesse am Lern- und Gedenkort Hotel Silber drückt sich in der Zahl 12 500 aus, die Stauffenberg-Erinnerungsstätte wurde erst im November wieder eröffnet.

Erholung bei den Dinosauriern

„Wir sind wieder auf dem alten Stand und haben mit 225 000 Besuchern fast das Vor-Coronaniveau von 2019 mit 248 000 erreicht“, freut sich Tobias Wilhelm, Sprecher im Staatlichen Museum für Naturkunde am Löwentor und im Schloss Rosenstein. Die Landesausstellung am Löwentor über das Anthropozän sei zwar „kein Blockbuster, aber gut besucht“ gewesen. Und die Dinos und Mammuts ziehen immer, Familien und Schulklassen sind Stammgäste. Auf einen Besucheransturm darf sich das Schloss Rosenstein einrichten: Die neu gestaltete Sammlung begeistert mit einem „Tauchgang“ in die Tiefsee zum Korallenriff.

Anschub für das Automobil

Die Rekordzahlen der Vor-Corona-Zeit mit über 800 000 Besuchern hat das Mercedes-Benz-Museum noch nicht ganz erreicht, ist aber mit fast 627 000 Bewunderern aus 150 Ländern auf dem besten Weg dazu. Jeder zweite Besucher komme aus dem Ausland, vor allem aus Frankreich und der Schweiz. Das Porsche-Museum steht dem mit annähernd 350 000 Besuchern nicht nach, 60 Prozent davon aus aller Welt, an der Spitze aus englischsprachigen Ländern.

Die Baustelle als Besuchermagnet

„Nur tausend weniger Besucher als 2019“, strahlt Sandra Nörpel von Stuttgart-Tourist über 16 688 Gäste im Weinbaumuseum in Uhlbach: Ein Ziel für Genießer, das an den Freitagen zu Weinproben lädt. Mit den Produkten von 22 Partner-Weingütern, alle drei Monate wird das Programm gewechselt.

Den Vogel in dieser Bilanz schießt der Info Turm Stuttgart mit 152 367 (im Vorjahr: 22 125) Baustellenguckern im Jahr 2022 ab. „Die Besucher wollen den Baufortschritt von Stuttgart 21 sehen und sind fasziniert“, sagt der Leiter David Bösinger. Denn das Ende der Baustelle komme immer näher: „Am 14. Dezember, dem Tag des Fahrplanwechsels im Jahr 2025, ist es so weit“, verspricht David Bösinger.