Silke Schacht untersucht ihre Pflege-Igel täglich. Foto: Simon Granville

Sie sind abgemagert, geplagt von Parasiten, manche kurz vor dem Tod – seit einem Jahr päppelt Silke Schacht in Leonberg Igel in Not wieder auf oder gewährt ihnen Unterschlupf in ihrem Garten. Ein Besuch in der Igel-Pflegestelle.

Es raschelt in der großen Plastikbox. Ein großer Haufen Zeitungsschnipsel wackelt, dann lugt kurz eine dunkle Nasenspitze hervor. Igel-Dame Lumpi möchte gern wissen, was da draußen los ist. In einer zweiten Box daneben schiebt Silke Schacht die Schnipsel beiseite und faltet ein Handtuch auf. Darin hat sich Igel Max eingewickelt. „Mami holt dich raus“, sagt Silke Schacht und nimmt ihn geschickt hoch.

 

Ihre Hände stecken dabei in dicken Gummihandschuhen. „Das sind welche aus dem Baumarkt, die man trägt, wenn man zum Beispiel Brombeeren schneidet“, erklärt die 47-Jährige. Seit etwa einem Jahr führt sie in ihrem Haus in Leonberg-Eltingen eine Igel-Pflegestelle. Aktuell hat sie vier der putzigen, aber stachligen Tiere im Haus, die sie pflegt. Im Garten sind noch mehr, aber die halten aktuell noch Winterschlaf.

Max wog nur 200 Gramm

Max ist seit dem Spätsommer bei Silke Schacht. „Er wog damals 200 und ein paar Gramm“, erinnert sie sich. Allein hätte er nicht überlebt, schon gar nicht den Winterschlaf. Mittlerweile hat er ordentlich zugelegt, wiegt ein gutes Kilo. Wie lange er noch bei Silke Schacht bleibt? „Er hat einen Hautpilz, das ist eine langwierige Geschichte“, erzählt sie und setzt ihn auf dem Esstisch auf ein Handtuch. Prompt fallen ein paar Stachel ab.

Alle drei bis vier Tage wird der Igel gebadet und am Folgetag mit Kokosöl eingepinselt, „was er überhaupt nicht mag“. Alle vier Igel werden von Silke Schacht oder ihrem zwölfjährigen Sohn Karl Otto jeden Tag aus der Box genommen, am Esstisch untersucht und je nach Bedarf versorgt. Ihr Mann reinigt dann parallel die Boxen. Lumpi etwa hat einen Abszess, bekommt dafür Medikamente.

Das behandelt Silke Schacht selbst, die Tiere ständig zum Tierarzt zu bringen wäre viel zu teuer. „Ich bin ja vom Fach, irgendwie“, sagt die Eltingerin und lacht. Denn Silke Schacht ist medizinische Fachangestellte, allerdings für menschliche Zweibeiner, arbeitet in einer Hausarzt-Praxis in Leonberg. Viele Jahre lang war sie auch im Vorstand des DRK Leonberg gewesen.

„Ich habe beispielsweise in der Ausbildung vor 30 Jahren noch gelernt, Proben unter dem Mikroskop zu untersuchen“, berichtet sie. Das kommt ihr jetzt in der Igel-Pflegestelle zu Gute. Denn so könne sie den Stuhl der Tiere selbst auf Würmer untersuchen. Diese sind nicht die einzigen Parasiten, den den kleinen Stacheltieren zu schaffen machen. Auch von Flöhen oder Zecken sind sie häufig befallen.

Hauptnahrungsquelle Insekten

Beide Probleme treten vor allem auf, wenn die Tiere hungern und geschwächt sind. „Viele denken ja, dass sich Igel von Schnecken und Würmern ernähren, aber das stimmt nicht. Die fressen sie nur, wenn sie nichts anderes finden“, erklärt Silke Schacht. Das führe wiederum häufig zum Parasitenbefall.

Die Hauptnahrungsquelle von Igeln sind dagegen Insekten. Sie leiden besonders unter dem massiven Insektenschwund in unseren Breiten. „Fehlende Nahrung ist das Hauptproblem für unsere Igel, dazu kommt, dass die Gärten immer weniger durchlässig sind und das den Lebensraum einschränkt“, berichtet sie. Der Igel hat einige wenige Fressfeinde, etwa Dachse oder Eulen.

Seit einigen Jahren ist eine weitere Gefahr hinzugekommen: Mähroboter, die abends oder nachts den Rasen schneiden. „Igel sind Nachtaktiv“, sagt die Igel-Pflegemutter. Wer einen solchen Mähroboter hat, sollte ihn deshalb tagsüber laufen lassen und öfter nach dem Rechten schauen.

Ihre sechs Pflege-Igel – vier im Haus und zwei weitere im Winterschlaf im Garten – sind allesamt unterernährt zu ihr gekommen. Doch auch die wilden Cousins bekommen bei Silke Schacht etwas zu essen. „Man muss mittlerweile ganzjährig zufüttern, weil sie nicht genug finden“, sagt sie. So sei sie überhaupt erst zur Igelpflege gekommen.

„Wir haben vergangenes Jahr die Terrasse umgebaut und hatten die Grills unter einer Plane. Eines Tages schaute mich da heraus ein Igel an“, erinnert sich Silke Schacht. Das machte sie neugierig. Sie las sich Wissen über Igel an und richtete eine Futterstelle im Garten ein, die sie jeden Tag frisch mit Katzenfutter ausstattete. „War der Napf morgens leer, hieß das, es wird mehr Futter benötigt. Und man sah auch immer mehr Hinterlassenschaften rund um die Futterstelle“, erzählt die Eltingerin.

Keine Haus-, sondern Wildtiere

Als die Tage kürzer wurden und die Temperaturen niedriger ausfielen, bemerkte sie, dass sich wohl ein Igel in einem Haufen Stroh und Blätter in der Ecke der Terrasse eingerichtet hatte. Da liegt er noch immer. Silke Schacht und ihr Mann bauten daraufhin ein Igelhäuschen, kauften eine spezielle Igelkuppel und auch ein Totholzhaufen wurde alsbald für den Winterschlaf hergerichtet. „Es ist unglaublich, wie viel Material die Tiere in so einen kleinen Raum quetschen können“, staunte die Igelmama und blickt über ihren Garten, in dem alles ganz ruhig ist.

„Im Sommer war das ganz anders“, sagt die Eltingerin. Denn von Mai bis August ist Paarungszeit bei Igels. „Das ist ein Grunzen und Quieken, richtig laut. Das klingt eher, als würden sich Wildschweine paaren als Igel.“

Wie viele Igel genau in ihrem Garten überwintern, weiß sie nicht genau. Namen haben nur die zwei offiziellen Pflegetiere, die von ihren Kindern Tim und Struppi getauft wurden. Sie werden voraussichtlich noch bis Ende April oder Anfang Mai schlafen. „Damit sie aufwachen, muss es nachts dauerhaft über acht Grad warm sein“, erklärt sie. Sobald Tim und Struppi wach und für gesund befunden sind, sollen sie wieder ausgewildert werden. In einem Garten in Höfingen. „Auswilderung ist immer das Ziel. Igel sind keine Haustiere“, sagt Silke Schacht, auch wenn sie die Tiere schon fest ins Herz geschlossen hat.

Ehrenamtlich und auf eigene Kosten

Die Igel-Pflegestelle führt sie ehrenamtlich und auf eigene Kosten. „Ich lasse mich aber gerade zertifizieren, um eine offizielle Igelhilfe zu werden“, sagt sie. Denn Igel sind Wildtiere, um diese im Haus zu haben, bedarf es einer Genehmigung durch das Landratsamt. Aktuell baut Familie Schacht im Eltinger Heim ein Zimmer für die Igel um. „Mit dem Geld, das wir im vergangenen Jahr für Ausstattung, Futter, Medikamente ausgegeben haben und jetzt für den Umbau, damit hätten wir als Familie locker einmal in Urlaub fahren können“, sagt Silke Schacht.

Doch das sei es ihr wert. „Die Tiere geben einem viel zurück. Und es ist ein guter Ausgleich zu meinem stressigen Job. Es ist gut zum Runterkommen“, sagt sie. Und auch wenn sie morgens nun eine Stunde früher aufsteht, um die Tiere zu füttern und die Boxen zu reinigen, „komme ich viel entspannter bei der Arbeit an“.