In einer sich radikal wandelnden Autoindustrie baut Mercedes neben Innovation auf Tradition, die im Konzernarchiv intensiv gepflegt wird. Zu Besuch in einer Schatzkammer voll ruhmreicher Geschichte und kurioser Episoden.
Wie Geschichte erlebbar gemacht wird, zeigt Mercedes-Benz eindrucksvoll im eigenen Museum in direkter Nachbarschaft zum Untertürkheimer Stammwerk. Doch der historische Anspruch des Konzerns geht darüber hinaus. Die Geschichte des Unternehmens wird nämlich auch fahrbar gemacht – und das in einer noch nie zuvor erreichten originalgetreuen Weise. Das beste Beispiel dafür wird an diesem Wochenende beim Solitude-Revival präsentiert: ein roter Rennwagen, der vor 100 Jahren für das siegreiche Mercedes-Team beim damals wichtigsten europäischen Straßen-Grand-Prix „Targa Florio“ auf Sizilien am Start gewesen ist.
Dieses Jubiläum wurde zum Anlass genommen, das im Mercedes-Museum ausgestellte Targa-Florio-Fahrzeug wieder zum Laufen zu bringen. Gleichzeitig sollte der Wagen in den Urzustand von 1924 zurückversetzt werden. Was bedeutete: alle nachträglich eingebauten Teile durch dem Original entsprechende zu ersetzen. Ein Auftrag für das Mercedes-Classic-Center in Fellbach. Gefragt waren aber nicht nur die dortigen Technikexperten. Entscheidende Bedeutung bei der Umsetzung fiel auch dem Archiv zu.
Kein Siegerauto, dennoch ein großer Erfolg,
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eines der größten Wirtschaftsarchive Europas spürten auf einer Fläche von 17 000 Regalmetern in akribischer Kleinarbeit die benötigten Originalbaupläne des Rennwagens auf. Ihre Recherchen brachten dabei ans Licht, dass die Farbe des Museumsfahrzeugs nach mehrmaliger Umlackierung nicht dem Urzustand entspricht. Es stellte sich außerdem heraus, dass die Startnummer im Lauf der Zeit verändert wurde und es sich nicht, wie angenommen, um das Siegerauto von Christian Werner handelt, sondern um das des neuntplatzierten Christian Lautenschlager. „Zusammen gewannen sie für Mercedes die Teamwertung“, weiß Christian Biederstaedt, der Technikgeschichte studiert hat und im Fellbacher Mercedes-Archiv zusammen mit der Historikerin Frieda Da Silva Sengo maßgeblich am Targa-Florio-Projekt mitgearbeitet hat.
Auch wenn der Mercedes-Vorzeigerennwagen am Ende nicht das Siegerauto gewesen ist, so sind die neuen Erkenntnisse ein großer Erfolg für das Duo aus dem Archiv-Informationsmanagement, wie dieser von Katja Hofmann geleitete Bereich betitelt ist. Und die Mercedes-Schatzkammer mit seinen unzähligen historischen Produkten und Unterlagen ist um eine besondere Geschichte reicher. Zum Titel „Kurioseste Episode“ reicht es allerdings nicht, da bleibt eine andere unerreicht. Worauf auf den ersten Blick allerdings wenig hindeutet.
Es ist lediglich eine Holztafel, auf der ein Mercedes-Stern und in Miniaturformat die amerikanische Flagge sowie die deutsche befestigt sind. Dahinter verbirgt sich die unglaubliche Geschichte, wie das Konzernsymbol einst auf dem Mond gelandet ist.
Es beginnt 1970, als die Astronauten der anstehenden Apollo-14-Mission zu einer vorbereitenden Exkursion nach Deutschland kommen. Das Nördlinger Ries diente den Astronauten um den Kommandanten Alan Shepard als Testgelände. Im Meteoritenkrater sollten sie lernen, welche Gesteinsproben auf dem Mond zu nehmen sind. Abwechslung brachte dabei ein Besuch im Mercedes-Werk Untertürkheim, wo Kontakte zum Unternehmen geknüpft wurden.
Ein Diebstahl, der den Geschädigten freut
Diese Beziehung wurde in den USA vertieft, wo der dortige Vertriebschef Udo W. Danzer in Houston die Crew zu einem Grillfest eingeladen hatte, bevor es für diese dann zum Weltraumbahnhof nach Cape Canaveral ging. Der Abschiedsabend in Texas ließ, wie man hört, nichts vermissen – allein der Mercedes-Stern am neuen Dienstwagen des Gastgebers fehlte am nächsten Tag. Danzer wäre aber niemals auf die Idee gekommen, dass ihn ein Apollo-Astronaut mitgehen ließ – und mit auf den Mond schmuggelte. So erhielt der perplexe Udo Danzer bei der Gegeneinladung nach der Mondfahrt dieses einmalige, auf einer Holztafel befestigte Geschenk.
„Diese Informationen beruhen auf einem uns vorliegenden niedergeschriebenen Gedächtnisprotokoll und der Holztafel von Udo Danzer“, sagt Frieda Da Silva Sengo und fügt an, dass man in diesem Fall deshalb nicht von „absolut verbürgt“ sprechen könne. Historisch sehr korrekt sind sie eben auch im Mercedes-Archiv in Fellbach.