Das Ziel aller Träume: Die Schatzkammer mit den wertvollsten Trophäen Foto: DFM

Das hat gefehlt. Seit dem 25. Oktober vergangenen Jahres bittet das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund zum Dribbling durch die Geschichte des beliebten Spiels. Schaun mer mal.

Stuttgart - Es gibt mit Sicherheit Museen, die dem kulturellen Anspruch des Bildungsbürgers eher zur Zierde gereichen. Fußball gilt nicht als bevorzugtes Spielfeld der intellektuellen Flankengeber. Weil er aber mindestens so viel aus dem Leben erzählt wie, zum Beispiel, die Tahiti-Mädels von Paul Gauguin oder der Denker von Auguste Rodin, ist es kein Fehler dort vorbeizuschauen, wo der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Rahn, Seeler, Netzer, Beckenbauer und anderen Sportkameraden nunmehr seit einem Jahr ein Denkmal setzt: 90 Meter lang ist der futuristisch anmutende Bau, 7000 Quadratmeter groß, zwei Stockwerke. Gesamtkosten rund 41 Millionen Euro. Am Königswall 20, mitten in Dortmund. Dort, wo früher ein mausgrauer Busbahnhof den städtebaulichen Glanzpunkt setzte.

Dortmund, wo sonst?

Schon ist man geneigt zu sagen: Dortmund, wo sonst? Was der Causa insofern nicht ganz gerecht wird, weil sich die lieben Nachbarn aus Gelsenkirchen und 13 andere Städte darum beworben hatten, die 1600 Heiligtümer deutschen Balltretertums zur Schau zu stellen. Und der Titel der multimedialen Show, „Wir sind Fußball“, gilt doch, ich sach mal, irgendwie für alle.

Mit 250 000 Besuchern rechnet das Deutsche Fußballmuseum pro Jahr, was als ziemlich ehrgeiziges Ziel erscheinen mag. Aber wer nicht kämpft, hat bekanntlich schon verloren. Das Potenzial an Klienten ist jedenfalls enorm. Immerhin organisieren sich sieben Millionen Menschen im Deutschen Fußball-Bund, in 25 000 Vereinen und 180 000 Mannschaften.

Das konnte noch keiner ahnen, als am 29. Januar 1900 in der Leipziger Gaststätte Mariengarten 30 Delegierte aus 86 Vereinen den DFB gründeten. Seither gilt, frei nach Ernst Happel, dass ein Tag ohne Fußball ein verlorener ist. Was so zwar nicht in den Statuten steht, aber um die hat sich der österreichische Grantler auf der Trainerbank eh nie geschert. Und wenn es stimmt, was der Historiker Joachim Fest sagte, dann ist WM-Kapitän Fritz Walter sogar der mentale Gründungsvater der Bundesrepublik, neben dem politischen, Konrad Adenauer, und dem wirtschaftlichen, Ludwig Erhard.

Logisch ist demnach, dass der Besucher, unter anderem von Stuttgarter Fan-Gesängen beschallt, mit leichtem Tinnitus aus dem Spielertunnel zunächst ins Berner Wankdorfstadion tritt. An einem verregneten Tag im Juli 1954. Mit Helmut Rahn und den Seinen lauscht er der deutschen Nationalhymne, dann bläst er den Ungarn den Marsch. Unter Glas, sakral beleuchtet, das ockerfarbene Spielgerät, das mit seinen Wülsten und Nähten mehr einer Abrissbirne gleicht denn einem Ball. Und der (linke) Kickstiefel vom „Boss“, der die Magyaren mit dem Treffer zum 3:2 ins Verderben stürzte. Regen prasselt, das Publikum tobt vor Begeisterung, und auf der Leinwand zeigen 17 eindrucksvolle Minuten in Schwarz-Weiß, wie verdammt knapp das damals alles war.

WM-Kluft von Horst Eckel

Aber knapp war es im Fußball ja oft. Das erste Länderspiel nach dem Zweiten Weltkrieg gewann Deutschland nur mit 1:0 gegen die Schweiz. Es war am 22. November 1950, im Team stand der VfB-Liebling Kalli Barufka, 110 000 Zuschauer drängten sich im Stuttgarter Neckarstadion bis an den Spielfeldrand. Was eine Vitrine übersichtlich dokumentiert. Das Trikot war in den 50er Jahren allerdings noch kein Marketing-Instrument, und die Sammelleidenschaft der Akteure hielt sich in Grenzen. Weshalb Museumsleiter Manuel Neukirchner sich einen Wolf reden musste, um Horst Eckel seine 54er WM-Kluft aus den Rippen zu leiern. Die eine und einzige. „Wenn ich die hergebe, reißt ihr mir das Herz aus der Brust“, soll der rechte Außenläufer aus dem Wunderteam von Bern gestöhnt haben.

„Es war mühsam, denn es war generell nicht sehr viel da“, sagt Neukirchner. Die Hälfte der Erinnerungsstücke entstammt dem DFB-Archiv. Außerdem präsentieren die meisten Clubs ihre Reliquien lieber selber. Der FC Bayern zum Beispiel und der FC Schalke 04. Und nur wenige Ex-Nationalspieler vermochten wie Uwe Seeler die DFB-Archivare in den Keller bitten: „Nehmt, was ihr gebrauchen könnt.“ Das allerdings traf sich gut. Derzeit läuft in Dortmund eine Sonderausstellung: „50 Jahre nach Wembley.“ Die Geschichte eines Lattentreffers. Engländer sind herzlich willkommen.

Netzers Aufstand gegen Weisweiler

Nicht ganz so schwer war es, Günter Netzer seine Quadratlatschen vom legendären Pokalfinale 1973 abzuschwatzen. Jetzt stehen sie für die Ewigkeit – in der Tiefe des Raumes. Dass der Passgeber der Gladbacher Fohlenelf, beeinflusst von den Studentenrevolten der 60er Jahre, gegen den autokratischen Trainer Hennes Weisweiler aufbegehrte, ist ein Zeugnis der demokratisch reifenden Republik. Nicht durchgesetzt hat sich dagegen Netzers Praxis der Selbsteinwechslung mit anschließendem Siegtreffer. 1973, im Pokalfinale gegen die rheinischen Rivalen vom 1. FC Köln.

So betrachtet hat es Franz Beckenbauer noch ein bisschen weiter gebracht. Dem Mann, der den letzten Mann für sich erfand, widmet das Museum einen beeindruckenden Schrein. Der Libero ist noch lange geblieben, nicht aber der Kurzhaarschneider, für den er in den 70er Jahren eine derart grausige Werbung machte, dass Spötter sofortigen Haarausfall befürchteten. Vielleicht gibt es deshalb die WM-Lieder der Nationalmannschaft nur im schalldichten Tonstudio zu hören. „Buenos Dias, Argentina“ klingt dann doch ein bisschen wie aus der Zeit gefallen.

Das Trikot von Diego Maradona, aus dem WM-Finale 1990, setzt dagegen bis heute den modischen Trend. Das Leibchen des kleinen Argentiniers schnappte sich nach dem Triumph in Rom der Auswechselspieler Frank Mill. Lothar Matthäus kam zu spät. Die beiden konnten sich angeblich eh so gut leiden wie Zahnweh. Jetzt steht die Mill’sche Leihgabe neben dem Pappkameraden, der den schwäbischen Diego verkörpert. Zwei Welten. Der stille Guido Buchwald wuchs während der WM in Italien zum Helden, im Finale degradierte er den großen Maradona zum Statisten. Und Teamchef Beckenbauer adelte ihn, den so lange Unterschätzten, als besten deutschen Spieler des Turniers. So kommt ein Schwabe ins Museum. Und ohne Eintritt zu bezahlen.

Die Schattenseiten

Weil es aber immer auch Schatten gibt, wo viel Licht ist, unterschlägt die Stätte der Erinnerung nicht die Momente der Beklommenheit. Die Zeit des Nationalsozialismus spielt eine wichtige Rolle und die Frage, wie sich der Fußball missbrauchen ließ. Gut auch, dass die Archivare den Bundesliga-Bestechungsskandal aus den siebziger Jahren noch einmal inszenieren. Auch den politisch indoktrinierten Fußball in der DDR spart das Haus nicht aus. Akten belegen, wie die Stasi den in den Westen geflüchteten Fußballer Lutz Eigendorf in den Tod getrieben hat.

Und das mutmaßlich gekaufte Sommermärchen? „Wenn alles aufgeklärt ist“, sagt Manuel Neukirchner zerknirscht, „wird auch das eine Rolle spielen.“ Noch aber thront Kaiser Franz über der WM 2006 mit dem prophetischen Hinweis: „Die WM im eigenen Land zu haben ist ein Geschenk. Das ist unbezahlbar.“

Öffnungszeiten und Eintrittspreise

Das Deutsche Fußballmuseum wurde am 25. Oktober 2015 eröffnet. Es liegt mitten in Dortmund, schräg gegenüber vom Hauptbahnhof. Adresse: 44137 Dortmund, Königswall 20.

Geöffnet ist das Museum mit rund 1600 Exponaten von Dienstag bis Freitag (9 bis 18 Uhr), Samstag, Sonntag, Feiertage (10 bis 18 Uhr). Der Eintritt für Erwachsene kostet 17 Euro. Für Kinder, Vereine, Gruppen und Familien gibt es Ermäßigungen. Telefonische Ticketauskunft (Di–Fr, 10–16 Uhr): 02 31 / 22 22 19 54.

Das Museum zeigt, erklärt, ordnet ein in Zeiten und Verhältnisse. Mal ändert der Besucher die Perspektive, mal den Standpunkt. Er testet sein Wissen am Touchscreen und kommt im 3-D-Kino seinen Stars ganz nah. Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Manuel Neuer. Er sitzt auf der Auswechselbank, schlüpft in die Rolle des Trainers und kann, wenn er will, eines der schönsten Tore deutscher Fußballgeschichte noch einmal schießen: auf einer Liege, befestigt an der Wand. Klaus Fischers artistischer Fallrückzieher 1977 in Stuttgart, im Länderspiel gegen die Schweiz (4:1). Manchmal treffen Erinnerungen mitten ins Herz.

Die Exponate erzählen vom Drama der großartigen Stuttgarter Kickers, die 1987 so unglücklich das Pokalfinale gegen den Hamburger SV verloren (1:3). Oder vom VfB Stuttgart, Felix Magath und den jungen Wilden. Die Schiedsrichter kommen zu Ehren, die Fan-Kultur, natürlich auch der Frauenfußball und seine Entwicklung. Und kurz vor dem Ausgang mündet alles in die Hall of Fame. Jeder Name eine Geschichte. Ehre, wem Ehre gebührt.

www.fussballmuseum.de